| # taz.de -- Folterverantwortlicher spricht in Berlin: Zweierlei Maß | |
| > Afghanistans Ex-Geheimdienstchef Nabil war einst für Folter | |
| > verantwortlich. Trotzdem ist er in Berlin als Experte für | |
| > Terrorismusbekämpfung gefragt. | |
| Bild: War 2015 im Streit mit Afghanistans Präsidenten zurückgetreten: Rahmatu… | |
| BERLIN taz | Der vom Bundestag geplante Untersuchungsausschuss zur | |
| Evaluierung des deutschen Afghanistaneinsatzes verzögert sich wegen des | |
| Ukrainekriegs wohl bis nach der Sommerpause, erklärte der | |
| Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin am Mittwoch in einem Interview. Wie | |
| nötig eine Evaluierung ist, zeigt eine öffentliche [1][Veranstaltung der | |
| CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS)] in Berlin, auf der am Donnerstag | |
| in Berlin Experten Auswirkungen der Taliban-Machtübernahme auf den globalen | |
| Terrorismus diskutieren werden. Der Hauptredner ist Rahmatullah Nabil, der | |
| von Juli 2010 bis August 2012 und von August 2013 bis Dezember 2015 Chef | |
| des afghanischen Geheimdienstes NDS war. | |
| Unter der Ägide des heute 53-Jährigen wurde in Haftanstalten des NDS zum | |
| Teil „systematisch“ gefoltert, in anderen war Folter „gängig“, wie eine | |
| [2][Reihe öffentlich zugänglicher Berichte der UN-Mission für Afghanistan | |
| (Unama)] zur „Behandlung von konfliktbedingt Inhaftierten in afghanischem | |
| Gewahrsam“ feststellte. | |
| Afghanische Menschenrechtler:innen halten Nabil zwar Versuche zugute, | |
| dies zu reduzieren. Doch trägt er erhebliche politische Mitverantwortung | |
| dafür, dass es in seinen Amtszeiten um mehr als Einzelfälle ging. | |
| Eine genauere Betrachtung der UN-Berichte zeigt, dass Nabils | |
| Antifoltermaßnahmen entweder nicht weit genug gingen oder nicht ernst | |
| gemeint waren. So stellt die UNO ihrem [3][Bericht von 2013] die Aussage | |
| eines anonymen NDS-Offiziers vom April 2012 – also einer Zeit fast zwei | |
| Jahre nach Nabils erstem Amtsantritt – voran, demzufolge Gefangene aus dem | |
| Hauptquartier in andere NDS-Einrichtungen verlegt wurden, wenn Inspektionen | |
| der UN oder anderer Institutionen anstanden. | |
| ## Selbst Kinder blieben nicht von Folter verschont | |
| Während seiner gesamten Amtszeit verfügte das NDS über Folterzentren, | |
| änderten sich die Foltermethoden nicht und blieben auch Kinder nicht von | |
| Folter ausgenommen. In dem Bericht von 2013 zählte die UNO 14 | |
| Foltermethoden von schweren Schlägen bis zu sexueller Gewalt auf. Im | |
| Bericht von 2015 kam unter anderem „Waterboarding ohne Wasser“ hinzu, also | |
| simuliertes Ersticken mithilfe von Plastiktüten. | |
| Selbst im NDS-Hauptquartier sei gefoltert worden, sagte der von Unama | |
| zitierte NDS-Offizier. Es ist kaum vorstellbar, dass Nabil nicht wusste, | |
| was in seiner eigenen Zentrale passierte. Er hätte das sofort stoppen | |
| können. | |
| Nach dem UN-Bericht von 2013 dekretierte der damalige Präsident Hamid | |
| Karsai ein Folterverbot. Die britische Militärmission installierte | |
| Überwachungskameras in der NDS-Zentrale. Unama übergab der Regierung Listen | |
| von Folterern, stellte jedoch für die Zeit von 2011 bis 2014 deren | |
| „generelle Weiterbeschäftigung“ und eine „allgegenwärtige Kultur der | |
| Straflosigkeit“ fest. Medizinisches NDS-Personal sei „nicht hinreichend | |
| unabhängig“, um über Folter zu berichten. | |
| Die UNO zitierte einen NDS-Menschenrechtsoffizier, der im September 2014 | |
| während Nabils zweiter Amtszeit erklärt hatte, beim NDS herrschten „nicht | |
| die notwendigen Bedingungen, dass ich meine Arbeit ausführen kann“. Einzig | |
| positiver Trend laut [4][UN-Bericht von 2017]: Nabil reduzierte während | |
| seiner Amtszeit den Prozentsatz der vom NDS gefolterten Inhaftierten von 49 | |
| Prozent im Jahr2010-11 auf 26 Prozent Ende 2014. | |
| ## Geheimdienst: Folter als bestes Mittel für Geständnisse | |
| Doch bis Ende 2016 ging es wieder auf 29 Prozent hinauf, vor allem wegen | |
| der besonders brutalen Antiterrorismusabteilung des NDS in Kabul. Gefoltert | |
| wurde [5][laut UNO], weil der NDS das „als das beste Mittel betrachtete, an | |
| Geständnisse zu kommen“, und um angebliche oder tatsächliche Terroristen | |
| vor Gericht zu bringen. | |
| 2015 bilanzierte die UNO ein „gemischtes Resultat“ ihrer Untersuchungen und | |
| behauptete stets, Folter sei keine „institutionelle Regierungspolitik“. Das | |
| klingt angesichts der Fakten jedoch eher wie ein Versuch, die vom Westen | |
| gestützte afghanische Regierung und den US-Geheimdienst CIA, Hauptsponsor | |
| des NDS, nicht völlig zu desavouieren. | |
| Einer der Menschenrechtler, der Nabil zunächst seinen Reformwunsch abnahm, | |
| sagte der taz jetzt: „Das Foltern hat nie aufgehört. Vielleicht ist es in | |
| der Zentrale besser geworden, aber woanders nicht.“ | |
| Mit Nabils Einladung zeigt die KAS jetzt, dass in der Bundesrepublik bei | |
| schweren Menschenrechtsverletzungen mit zweierlei Maß gemessen wird. | |
| Einerseits wurde im Januar ein Folterer aus Syrien verurteilt, weil das | |
| dortige Assad-Regime Folter nicht verfolgt. Und jetzt unterstützt auch die | |
| Bundesregierung eine Untersuchung von Kriegsverbrechen in der Ukraine durch | |
| den Internationale Gerichtshof (ICC). | |
| ## Folter wird als Mittel im Kampf gegen Terrorismus legitimiert | |
| Doch zugleich wird hierzulande jemand wie Nabil, der politisch für | |
| Folterungen verantwortlich war, offenbar unhinterfragt als Experte | |
| akzeptiert, auch wenn der NDS nicht wie der syrische Geheimdienst Gefangene | |
| nach der Folter systematisch ermordet hat und Nabil wohl im Gegensatz zu | |
| seinem späteren Amtskollegen Assadullah Khaled nicht selbst gefoltert hat. | |
| Deutschland hat auch wenig dagegen getan, dass der ICC bei geplanten | |
| Untersuchungen in Afghanistan die US- und die frühere Regierungsarmee | |
| ausnimmt. Für Verbündete gelten offenbar andere Maßstäbe. Auch das muss der | |
| Bundestag evaluieren, weil sonst wieder die Gefahr besteht, dass Folter im | |
| Kampf gegen Terrorismus als Mittel legitimiert wird. | |
| Die Konrad-Adenauer-Stiftung ließ Bitten um eine Stellungnahme | |
| unbeantwortet. So blieb offen, ob sie von Nabils Verantwortung für Folter | |
| wusste, ob sie diese thematisierte und wie die Kooperation Menschenrechte | |
| und Demokratie fördern soll. | |
| 6 Apr 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.kas.de/de/veranstaltungen/detail/-/content/the-taliban-s-takeov… | |
| [2] https://unama.unmissions.org/treatment-conflict-related-detainees-afghan-cu… | |
| [3] https://unama.unmissions.org/sites/default/files/master_unama_detention_rep… | |
| [4] https://unama.unmissions.org/sites/default/files/treatment_of_conflict-rela… | |
| [5] https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_detention_report_201… | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Ruttig | |
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