# taz.de -- Stadtwerke-Chefin über die Energiewende: „Wir hoffen auf Habeck�… | |
> Die Chefin der Berliner Stadtwerke, Kerstin Busch, im Interview über | |
> teure Neukunden, Windkraft mit Abstand und Solarkraft auf dem eigenen | |
> Dach. | |
Bild: Die Stadt braucht weiterhin 'ne Menge Saft | |
taz: Frau Busch, die Energiepreise steigen und steigen – Sie haben deshalb | |
zuletzt Ihren KundInnen eine Preisgarantie angeboten. Was hat es damit auf | |
sich? | |
Kerstin Busch: Wir hatten erst 2021 ein neues [1][Tarifmodell mit | |
unterschiedlichen Laufzeiten] eingeführt, gegen Ende des Jahres mussten wir | |
allerdings – wie fast alle anderen Erzeuger auch – wegen der Entwicklung | |
auf dem Strommarkt unseren Bestandskunden schon eine Preiserhöhung | |
mitteilen. Wir haben ihnen aber folgendes Angebot gemacht: Wenn sie bei uns | |
bleiben, erhalten sie als Treuebonus einen zwar erhöhten, aber dennoch | |
etwas günstigeren Tarif als der für Neukunden. Außerdem bleibt dieser Tarif | |
stabil, wenn sie sich für ein oder zwei Jahre darauf festlegen. Bei den | |
derzeitigen Turbulenzen am Strommarkt war das ein attraktives Angebot und | |
wurde recht gut angenommen. | |
Ist es nicht ein wirtschaftliches Risiko für Sie, solche Verträge | |
anzubieten? Die Einkaufspreise können doch auch noch kräftig weitersteigen? | |
Wir haben ja entsprechend vorgesorgt, indem wir langfristig garantierte | |
Strommengen für unsere Bestandskunden am Markt gekauft haben. Dabei haben | |
wir eine bestimmte Entwicklung der Kundenzahlen prognostiziert und uns | |
entsprechend eingedeckt. Kommen mehr Neukunden zu uns, als wir erwartet | |
haben, dann müssen wir für sie zusätzlich einkaufen und sind dann auch von | |
der aktuellen Preis-Rallye betroffen. | |
Sie mussten den Preis erhöhen, weil Sie zu viele neue KundInnen hatten? | |
Zu viele kann man nie haben, sagen wir: unerwartet viele gerade jetzt. Wir | |
haben allein im vergangenen Jahr rund 8.000 neue Kunden gewonnen. Wenn der | |
Strompreis, den wir am Markt bezahlen müssen, wieder sinkt, werden wir die | |
Neukundentarife natürlich auch wieder nach unten anpassen. Aktuell | |
berechnen wir pro Kilowattstunde für Neukunden rund 38 Cent, das liegt im | |
Durchschnitt der Stadtwerke in Deutschland. | |
Vor einigen Jahren gehörten Sie noch zu den preisgünstigsten Anbietern | |
insgesamt. | |
Wir vergleichen uns lieber mit klassischen Ökostromanbietern wie | |
Greenpeace, Naturstrom oder Lichtblick und anderen, die derzeit zwischen 40 | |
und 42 Cent pro Kilowattstunde liegen. Im Übrigen haben im Januar viele | |
Anbieter aufgrund der aktuellen Situation gar keine neuen Kunden mehr | |
angenommen – die stellen einfach ihr Webportal aus. | |
Auch Sie verzichten zurzeit auf Werbekampagnen. | |
Ich denke, wir sind durch unsere Projekte in der Stadt trotzdem sehr | |
präsent, durch den Bau neuer Windkraftanlagen oder unsere | |
Quartiersprojekte. Da braucht es im Moment keine großen Werbebudgets. Die | |
Leute nehmen wahr, dass wir die Energiewende vor Ort vorantreiben, dass wir | |
den Strom nicht hauptsächlich von außen kaufen, sondern auch vor Ort | |
produzieren und einspeisen. | |
Trifft es zu, dass Sie derzeit mehr Strom produzieren, als Sie an Ihre | |
Kunden verkaufen können? | |
Wenn wir über private Endkunden reden, ist das bilanziell so. Aber wir | |
versorgen ja auch das Land Berlin. Die öffentlichen Verwaltungen beziehen | |
derzeit ungefähr 700 Gigawattstunden im Jahr – also 700 Tausend | |
Kilowattstunden. Damit ist das Land ein Kunde, für den wir lokal selbst | |
wohl nie genug eigenen Strom werden produzieren können. | |
Spätestens zum Jahreswechsel 2022/23 [2][fällt die Umlage nach dem | |
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) komplett weg]. Was bedeutet das für die | |
Stadtwerke, die ja ausschließlich Ökostrom verkaufen? | |
Das ist in erster Linie für unsere Endkunden relevant, denn die EEG-Umlage | |
ist ein Teil der Abgaben und Umlagen, die sich im Strompreis summieren. Der | |
Bund hält die EEG-Umlage durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt schon seit | |
Jahren niedrig, und wenn sie gar nicht mehr erhoben wird, werden wir die | |
Endkunden anschreiben und ihnen mitteilen, dass wir diesen gesetzlichen | |
Vorteil an sie weitergeben. Die Einspeisevergütung für uns als Produzenten | |
von Strom aus Erneuerbaren Energien fällt deswegen aber nicht weg. Die wird | |
komplett aus dem Steuersäckel beziehungsweise aus den geplanten Energie- | |
und Klimafonds bezahlt. | |
Die Stadtwerke arbeiten viel mit „Mieterstrom“, sprich: sie erzeugen Strom | |
aus Photovoltaik auf Gebäuden von Wohnungsbaugesellschaften oder | |
Genossenschaften, der dann nach Möglichkeit direkt von den MieterInnen | |
genutzt wird. Dafür gibt es staatliche Zulagen. An dem Modell gibt es | |
grundsätzlich viel Kritik, vor allem für kleinere Vermieter scheint sich | |
der bürokratische Aufwand kaum zu lohnen. Ab welcher Größenordnung lohnt es | |
sich für Sie? | |
Auch für uns und die Eigentümer, mit denen wir kooperieren, ist dieses | |
Modell erst ab ungefähr 100 Mietern machbar, wegen der hohen Fixkosten und | |
dem administrativen Aufwand, der damit verbunden ist. Da hat der Bund | |
bislang leider versäumt, die Regularien zu vereinfachen. Unser Ziel ist es, | |
bei den einzelnen Projekten möglichst viele Mieter zu erreichen, und da | |
evaluieren wir das Potenzial natürlich im Vorfeld. | |
Und was passiert, wenn zu viele MieterInnen nachträglich den Anbieter | |
wechseln? Das steht denen ja immer frei. | |
Auch dann kann sich der Eigenverbrauch des lokal erzeugten Stroms weiterhin | |
lohnen – entweder der Gebäudeeigentümer hat noch Bedarf für den sogenannten | |
Hausstrom, oder er baut vielleicht noch eine Ladestation, an der die Mieter | |
ihre E-Autos laden können. Da gibt es einige Möglichkeiten. | |
Nach dem neuen Berliner Solargesetz müssen bis Ende 2024 auf allen | |
geeigneten Dächern öffentlicher Gebäude Solarmodule installiert werden. Ab | |
2023 gilt auch die Pflicht für Private, bei Neubauten und Dachsanierungen | |
Photovoltaikanlagen zu bauen. Betrieben werden können die auch von Dritten. | |
Kommt da eine große Welle auf Sie zu? | |
Auf jeden Fall. Allein auf den Dächern der Landes- und Bezirksverwaltungen | |
gibt es noch ein Potenzial für Photovoltaik mit rund 600 Megawatt Leistung. | |
Und auf allen Berliner Dächern zusammen sind erst 125 Megawatt installiert. | |
Von allem, was in den letzten fünf Jahren neu gebaut wurde, haben wir als | |
Stadtwerke allein gut 40 Prozent realisiert. Da muss also noch eine Menge | |
passieren. Für uns ist das eine willkommene Herausforderung, und wir haben | |
auch schon jetzt Absichtserklärungen mit den Bezirken über die Installation | |
von 30 Megawatt abgeschlossen. In den vergangenen Jahren mussten wir die | |
Bezirksämter noch überzeugen, jetzt gibt es einen gesetzlichen Auftrag, und | |
wir sind sehr gut dafür aufgestellt. Ganz alleine können wir das natürlich | |
nicht leisten. | |
Laut ihrer Website betreiben die Berliner Stadtwerke demnächst 16 eigene | |
Windräder und halten eine Beteiligung an einem Windpark. Zusammen macht das | |
schon mehr als 68 Megawatt Leistung, womit rechnerisch 56.000 Haushalte | |
versorgt werden können. Werden Sie auch in Berlin noch mehr Windräder | |
bauen? | |
Wir schauen uns gerade jetzt Potentialflächen in Berlin an. Allerdings sind | |
hier im Gegensatz zu Brandenburg keine Flächen eigens für Windkraft | |
ausgewiesen, und wegen der dichten Besiedlung und dem Schutzstatus der | |
Waldflächen ist kaum noch etwas möglich. Aber im Berliner Umland stehen | |
auch etliche ältere Windräder, einige davon auch auf den Flächen der | |
Stadtgüter, die dem Land gehören. Bei denen werden wir auch die Möglichkeit | |
zum Repowering nutzen, das heißt, wir ersetzen diese alten Windräder durch | |
leistungsfähigere. | |
Die Brandenburger Landesregierung hat gerade ein Gesetz beschlossen, nach | |
dem Windräder nur noch mit 1.000 Meter Abstand zur nächsten Wohnbebauung | |
errichtet werden dürfen. Das schränkt auch Ihren Spielraum weiter ein. | |
Ja, wir hoffen da auch auf Bundeswirtschaftsminister Habeck, dass bei der | |
Genehmigung einiges vereinfacht wird – etwa dass pro Anlage eine geringere | |
Fläche ausgewiesen werden muss. Zurzeit dauern die Genehmigungsverfahren | |
für eine Windkraftanlage im Schnitt vier bis sechs Jahre! | |
Mittlerweile [3][gehört das Stromnetz] in Berlin wieder der öffentlichen | |
Hand. Was ändert sich dadurch für Sie? | |
Wir brauchen den Netzbetreiber sehr, denn nur er kann unsere neuen Anlagen | |
mit dem Netz verbinden. Rein formal ändert sich jetzt erst einmal nichts, | |
es gibt keine Bevorzugung der Stadtwerke durch das Stromnetz. Andererseits | |
ist es für unsere Projekte natürlich gut, einen engeren Draht und eine | |
schnellere Kommunikation zu haben. Das ist ja auch das erklärte Ziel der | |
Politik, die Berliner Energiewelt enger zusammenwachsen zu lassen. Die | |
Ablösung des Stromnetzes von seinem privaten Eigentümer wird in jedem Fall | |
einen großen Mehrwert für die Stadt haben. | |
Eine Frage noch: Warum haben die Stadtwerke eigentlich keine Photovoltaik | |
auf dem eigenen Dach? | |
(lacht) An unserem Unternehmenssitz am Köllnischen Park sind wir Mieter, | |
insofern haben wir das am Ende nicht in der Hand. Wir haben natürlich mit | |
unseren Vermietern darüber gesprochen, allerdings wurde das Dach gerade | |
erst ausgebaut, deshalb konnte bislang keine Photovoltaikanlage installiert | |
werden. Ich verweise aber gerne auf unser Mutterunternehmen, die Berliner | |
Wasserbetriebe. Die betreiben auf ihren Flächen und Gebäuden schon jetzt | |
etliche sehr große Anlagen. | |
21 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://berlinerstadtwerke.de/produkte/berlinstrom/ | |
[2] /Nach-Abschaffung-der-EEG-Umlage/!5834428 | |
[3] /Senat-einigt-sich-mit-Vattenfall/!5762803 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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