# taz.de -- Berlins Abschiebepolitik: Eine zu hohe Zahl von Einzelfällen | |
> Mehr als die Hälfte der Menschen, die abgeschoben werden, holt die | |
> Polizei nachts ab. Jian Omar (Grüne) kritisiert die Politik von | |
> Rot-Grün-Rot. | |
Bild: Immer wieder firmiert sich Protest gegen die Abschiebungen, so wie am BER… | |
BERLIN taz | In Sachen Abschiebepolitik hält sich Rot-Grün-Rot weiterhin | |
nicht an seine eigenen Vereinbarungen. Dies geht aus einer Antwort der | |
Innenverwaltung auf eine Anfrage des migrationspolitischen Sprechers der | |
Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Jian Omar, hervor, die der taz | |
exklusiv vorliegt. | |
Danach wurden mehr als die Hälfte der 1.126 Menschen, die im Zeitraum von | |
1. Januar 2021 bis 31. Januar 2022 abgeschoben wurden, zur Nachtzeit aus | |
ihrer Unterkunft oder Wohnung geholt. Ganz genau „erfolgten 645 Festnahmen | |
in der Zeit zwischen 00:00 und 06:00 Uhr“, schreibt die Innenverwaltung. | |
Omar sagte dazu: „Nächtliche Abholungen zum Zweck der Abschiebung sind | |
äußerst belastend, insbesondere für Familien mit Kindern. Genau deswegen | |
haben wir als rot-grün-rote Koalition vereinbart, dass auf nächtliche | |
Abschiebungen verzichtet werden soll.“ | |
Rechtlich und politisch ist die Sache eigentlich klar geregelt: Laut dem | |
2019 geänderten Aufenthaltsgesetz darf die Wohnung eines | |
Abschiebekandidaten nur in Ausnahmen zur Nachtzeit betreten oder durchsucht | |
werden. Auch in einer Vereinbarung zwischen Innen- und Sozialverwaltung von | |
Ende 2019 heißt es, „im begründeten Einzelfall (ist) auch ein Betreten oder | |
Durchsuchen zur Nachtzeit (ganzjährig von 21:00 bis 06:00) zu ermöglichen“. | |
Im neuen Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot steht sogar explizit: „Auf | |
nächtliche Abschiebungen, insbesondere bei Familien mit Kindern, alten | |
Menschen und Menschen mit Behinderung oder schwerer Erkrankung, soll | |
verzichtet werden.“ | |
## Hohe Zahl sei „kritikwürdig“ | |
Dass dennoch mehr als die Hälfte der Abschiebungen zu dieser Zeit | |
passieren, begründet die Verwaltung nebulös mit „verbindlichen Vorgaben der | |
Zielstaaten zu Abflug- und Ankunftszeiten“. Allerdings ist die | |
„Organisation einer Abschiebung“ laut Aufenthaltsgesetz kein Grund für eine | |
nächtliche Festnahme. Die hohe Zahl nächtlicher Abschiebungen hatte | |
[1][auch der Berliner Flüchtlingsrat in der Vergangenheit verschiedentlich | |
kritisiert]. | |
Schon die an sich hohe Zahl von Abschiebungen aus Berlin ist kritikwürdig, | |
findet Omar. Dies sei „ein Armutszeugnis“ für eine Regierung, die | |
allenthalben betone, dass Berlin ein „sicherer Hafen“ sei. Auch dass Berlin | |
im vorigen Jahr – zumindest vereinzelt – Afghanen abgeschoben hat, könne er | |
nicht nachvollziehen. Laut Antwort wurden im Januar zwei Afghanen | |
abgeschoben, im März einer – also zu einem Zeitpunkt, „als die Lage dort | |
schon dramatisch war“. | |
Auffällig ist, dass weiterhin der überwiegende Teil der Abschiebungen | |
Menschen aus Moldau betrifft. Allein im Januar dieses Jahres gingen 84 (von | |
101) Abschiebungen dorthin, im vorigen Jahr waren es 409 von 1.005. Die | |
meisten von ihnen sind offenbar Rom*nja, die in dem bitterarmen Land laut | |
einem aktuellen Bericht von Pro Asyl und Berliner Flüchtlingsrat | |
systematisch diskriminiert werden – und dennoch hier kein faires | |
Asylverfahren bekommen. Die meisten, die in Deutschland Asyl beantragen, | |
werden in Berlin untergebracht – und schlecht behandelt, etwa durch | |
Unterbringung in separaten Unterkünften, [2][kritisiert der Bericht]. | |
Einen weiteren Regelbruch sieht Omar in der Tatsache, dass allein im Januar | |
121 Menschen abgeschoben wurden, obwohl man laut neuem Koalitionsvertrag | |
auf Winterabschiebungen verzichten will. „Im Winter soll auf Abschiebungen | |
verzichtet werden, wenn Witterungsverhältnisse dies humanitär gebieten“, | |
heißt es dort. „Ich erwarte, dass sich der gesamte Senat an den | |
Koalitionsvertrag hält“, sagte Omar vor allem in Richtung der neuen | |
Innensenatorin Iris Spranger (SPD). | |
28 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Kritik-an-Berliner-Abschiebepolitik/!5816246 | |
[2] https://www.proasyl.de/news/diskriminiert-und-abgelehnt-romnja-aus-moldau/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Rot-Grün-Rot | |
Abschiebung | |
Grüne Berlin | |
Innensenatorin Iris Spranger | |
Asylrecht | |
Migration | |
Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Abschiebegewahrsam am BER: Am linken Minister vorbeigeschoben | |
Bei der Planung des Abschiebezentrums am Flughafen BER agiert Brandenburgs | |
Innenministerium intransparent. Das legt eine Medienrecherche nahe. | |
Behinderung und Migration: Eine Frage der Existenz | |
Martha lebt seit zehn Jahren in Deutschland und braucht | |
24-Stunden-Assistenz. Als die Abschiebung droht, gerät alles ins Wanken. | |
Abschiebungen aus Berlin: Die Polizei kommt weiter nachts | |
Die rot-grün-rote Landesregierung in Berlin hält an der umstrittenen Praxis | |
nächtlicher Abschiebungen fest. Das belegen neue Zahlen. |