# taz.de -- Abschiebungen aus Berlin: Die Polizei kommt weiter nachts | |
> Die rot-grün-rote Landesregierung in Berlin hält an der umstrittenen | |
> Praxis nächtlicher Abschiebungen fest. Das belegen neue Zahlen. | |
Bild: Nächtliche Abschiebungen wie hier vom Flughafen Leipzig-Halle gibt es in… | |
BERLIN taz | Groß waren die Hoffnungen, als in Berlin das rot-rot-grüne | |
Zeitalter begann. Auch in flüchtlingspolitischer Hinsicht würde sich doch | |
wohl einiges ändern, mit grünen „Multikulti-Freunden“ und linken | |
„Weltverbesserern“ auf den Beifahrersitzen der Hauptstadtmacht, erwarteten | |
nicht wenige, als der CDU-SPD-Senat anno 2016 abgewählt wurde. | |
Tatsächlich versprach das Mitte-links-Bündnis im ersten Koalitionsvertrag | |
einen „Paradigmenwechsel“ in der Abschiebepolitik. Das klang gut, hatte | |
aber mit der Wirklichkeit wenig zu tun, [1][wie der Berliner Flüchtlingsrat | |
wiederholt feststellte]: Es wurde weiter fleißig abgeschoben, sogar in der | |
Pandemie, als in anderen Bundesländern die Zahlen bei den Abschiebungen | |
runtergingen. Zudem wurden humanitäre Bleiberechtsmöglichkeiten – entgegen | |
den Versprechungen – kaum beachtet. Unter anderem wurden regelmäßig | |
[2][Menschen nachts aus ihren Unterkünften geholt, um sie abzuschieben] – | |
was nicht einmal das von CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer 2019 | |
verschärfte Aufenthaltsgesetz zulässt, das nächtliches Abholen zur | |
Abschiebung nur in Ausnahmen (§ 58, Absatz 7) gestattet. | |
Dass sich an der Berliner Abschiebepraxis bis heute nichts geändert hat, | |
belegen [3][neue Zahlen], die die Berliner Innenverwaltung in dieser Woche | |
veröffentlichte. Danach wurden vom 1. Januar 2021 bis 31. Januar 2022 | |
insgesamt 1.126 Menschen abgeschoben – und mehr als die Hälfte von ihnen, | |
genau 645, zwischen 0.00 und 6.00 Uhr morgens dafür festgenommen. Obwohl im | |
neuen rot-grün-roten Koalitionsvertrag von Dezember 2021 explizit steht: | |
„Auf nächtliche Abschiebungen, insbesondere bei Familien mit Kindern, alten | |
Menschen und Menschen mit Behinderung oder schwerer Erkrankung, soll | |
verzichtet werden.“ Ein „Armutszeugnis“ seien diese Zahlen, kritisiert | |
daher der Berliner Grünen-Abgeordnete Jian Omar, der die Anfrage gestellt | |
hat, gegenüber der taz. „Nächtliche Abholungen zum Zweck der Abschiebung | |
sind äußerst belastend, insbesondere für Familien mit Kindern.“ Genau | |
deswegen habe man vereinbart, darauf zu verzichten. | |
Die Berliner Innenverwaltung rechtfertigt die Praxis damit, dass sie | |
„aufgrund von verbindlichen Vorgaben der Zielstaaten zu Abflug- und | |
Ankunftszeiten“ erfolge. Allerdings ist die „Organisation der Abschiebung“ | |
laut Aufenthaltsgesetz ausdrücklich kein Grund für nächtliche Festnahmen – | |
und diese somit rechtswidrig, wie der Flüchtlingsrat feststellt. | |
Der SPD-Innenverwaltung ist das offenbar ebenso egal wie der eigene | |
Koalitionsvertrag. Dort heißt es auch: „Im Winter soll auf Abschiebungen | |
verzichtet werden, wenn Witterungsverhältnisse dies humanitär gebieten.“ | |
Dennoch wurden im Dezember und Januar 141 Menschen nach Moldau abgeschoben, | |
als im [4][„Armenhaus Europas“, wo Rom*nja systematisch diskriminiert | |
werden], Temperaturen um den Gefrierpunkt herrschten. | |
Der Flüchtlingsrat weist auf weitere Punkte hin, die nicht mit den | |
Versprechen des Koalitionsvertrags in Einklang zu bringen sind: | |
„Regelmäßig“ komme es bei Abschiebungen zu Familientrennungen sowie zu | |
Abschiebungen von kranken Menschen und Menschen mit Behinderung. | |
4 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Fluechtlingsrat-zieht-Bilanz-von-R2G/!5799881 | |
[2] /Kritik-an-Berliner-Abschiebepolitik/!5816246 | |
[3] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-10… | |
[4] https://www.proasyl.de/news/diskriminiert-und-abgelehnt-romnja-aus-moldau/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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