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# taz.de -- Abschiebung nach Pakistan: Trotz Suizidgefahr abgeschoben
> Sechs Jahre lang hat Muhammad Ibraheem in Niedersachsen gelebt. Obwohl er
> eine schwere Depression hat, wurde er nach Pakistan abgeschoben.
Bild: Bereits im vergangenen Jahr protestierten Aktivist*innen gegen die Abschi…
Hannover taz | Muhammad Ibraheem geht es nicht gut. Schweiß rinnt dem
39-Jährigen über die Stirn. Auf dem verpixelten Bild des
Whatsapp-Videoanrufs sind seine Gesichtszüge kaum zu erkennen. Aber
Ibraheem will reden. Er ist außer sich und wirkt sehr unruhig. „Mir geht es
gar nicht gut, ich habe Angst und kann nicht schlafen“, erzählt er. Seit
Tagen habe er seine Medikamente nicht mehr.
Seit dem 8. März ist Ibraheem wieder in Pakistan. Nach sechs Jahren in
Deutschland wurde er mit einer Sammelabschiebung mit 25 weiteren Personen
von Hannover nach Islamabad geflogen. Es ist die immer gleiche Routine, der
die Abschiebungen in Hannover folgen: Am Terminal D kommen – außer
Sichtweite des normalen Flugbetriebs – Gefangenentransporter und Busse aus
dem gesamten Bundesgebiet an, um Schicksale im Schutze der Nacht zu
besiegeln. Einige Personen, die abgeschoben werden, wurden morgens zuhause
abgeholt. Andere seien unter dem Vorwand anderer Gründe in die
Ausländerbehörden bestellt worden, heißt es in einer Mail, die in der
pakistanischen Community zirkuliert.
Muhamamad Ibraheem saß in Langenhagen in Abschiebehaft. Er erzählt, wie ihn
die Beamt*innen zwangen, sich umzuziehen, bevor es zum Abschiebecharter
ging. „Im Flugzeug saß ein Polizist links und einer rechts von mir und ich
konnte nirgendwo hin“, so Ibraheem. „Mir ging es so schlecht, ich bin bis
Islamabad quasi ohnmächtig gewesen.“ Seine Handschellen seien in Hannover
abgenommen worden, andere im Flugzeug seien aber bis zur Ankunft in
Pakistan angekettet gewesen. „Einer wollte nicht im Stuhl sitzen, die haben
ihn gezwungen“, so Ibraheem. Bei der Ankunft in Islamabad hätte ihn die
pakistanische Polizei körperlich misshandelt, erzählt er. Seine gesamte
Kleidung und sein Geld seien ihm abgenommen worden. Im Videoanruf zeigt er
Abschürfungen der Haut an seinem Kopf.
Ein Großteil der Menschen, die am 8. März abgeschoben wurden, lebte in
Niedersachsen. Bereits im vergangenen Jahr protestierten Aktivist*innen
in Hannover [1][gegen Abschiebungen nach Pakistan]. In dem Land steht es
schlecht um die Menschenrechte. Meinungs- und Religionsfreiheit sind
eingeschränkt, die Rechte von Frauen und LGBTQI beschnitten.
## Seit drei Jahren stand er unter gesetzlicher Betreuung
Ob die Betroffenen in Deutschland eigentlich mitten im Leben stehen, spielt
kaum eine Rolle. Das zeigt auch der Fall von Ibraheem. Nach Angriffen in
Pakistan und aus Angst vor weiterer Verfolgung hatte er in Deutschland Asyl
gesucht. Er war das, was gemeinhin als „integriert“ bezeichnet wird: Seit
2016 hat er in Laatzen bei Hannover gelebt, hat zeitweise als Küchenhilfe
gearbeitet und hatte Freund*innen.
Wie viele Geflüchtete kämpfte Ibraheem aber auch mit Trauma und Depression.
Mehrfach war er beim „Netzwerk für Traumatisierte Flüchtlinge in
Niedersachsen“ in Beratung. Seit etwa drei Jahren stand er unter
gesetzlicher Betreuung. Mehrfach war er in einer geschlossenen Psychiatrie
untergebracht, etwa im Klinikum Wahrendorff.
Die Ärzt*innen dort hätten es so beurteilt, dass sich seine psychische
Ausnahmesituation stabilisiere, erzählt Muzaffer Öztürkyilmaz, vom
niedersächsischen Flüchtlingsrat, der die Details des Falls kennt. Eine
Abschiebung hätte ihrer Einschätzung nach aber dazu führen können, dass
sich seine suizidalen Tendenzen wieder verstärken, wegen des Drucks und der
fehlenden Perspektiven in Pakistan, so Öztürkyilmaz.
Über die Jahre seien deshalb immer wieder Atteste vorgelegt worden. Im Juni
2021 hieß es in einem Schreiben, das der taz vorliegt: „Für den Fall einer
Abschiebung erachten wir eine erneute akute Suizidgefährdung auf dem Boden
einer psychischen Dekompensation als äußerst wahrscheinlich. Aus
fachärztlicher Sicht ist Herr Ibraheem deshalb bis auf weiteres
reiseunfähig.“
In Abschiebehaft kam er dennoch. Ein Psychiater der Anstalt habe einen Tag
vor der Abschiebung ein kurzes Gespräch mit ihm geführt und einen
Fünfzeiler verfasst, erzählt Ibraheem. Er habe seine Situation geschildert,
seinen Schwindel und die Angst. Der Arzt habe aber gesagt, er sei gesund –
ohne ihn richtig zu untersuchen.
## „Sehr kurze Untersuchung“
Das Verwaltungsgericht Hannover zweifelte daraufhin die Darstellung der
Fachärzt*innen des Wahrendorff-Klinikums an, obwohl Ibraheem sich im
gesamten Dezember dort in stationärer Behandlung befand. Die
Bescheinigungen seien durch die Stellungnahme des Psychiaters der
Ambulanten Psychiatrischen Versorgung der JVA Hannover am 7. März
hinreichend widerlegt. Demnach habe es aktuell keine psychotischen Symptome
und kein Fremd- oder Eigengefährdungspotential gegeben.
Der Antragsteller sei aus psychiatrischer Sicht reise- und flugfähig, heißt
es im Beschluss vom 6. März, der der taz vorliegt. „Wir fragen uns unter
anderem, wie der JVA-Psychiater im Rahmen dieser einmaligen und sehr kurzen
Untersuchung zu seinen Feststellungen kommen konnte“, sagt Öztürkyilmaz vom
Flüchtlingsrat Niedersachsen.
Trotz eines im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung angekündigten
Paradigmenwechsels in der Migrationspolitik wird in einigen Bundesländern
weiter abgeschoben. Eigentlich soll es ein „Chancen-Bleiberecht“ für
Menschen geben, die sich am 1. Januar 2022 mindestens fünf Jahre im
Bundesgebiet aufgehalten haben. Das Bundesinnenministerium verweist auf
Anfrage der taz darauf, dass die Länder beim Vollzug des Aufenthaltsrechts
zuständig sind. Das Ministerium plane nicht, möglichen Gesetzesänderungen
vorzugreifen.
Einige Bundesländer haben dennoch anders auf die Ankündigung reagiert.
Rheinland-Pfalz etwa hat den Ausländerbehörden nahegelegt, bei der
Entscheidung zu Abschiebungen das anstehende Gesetzgebungsverfahren zu
berücksichtigen und gegebenenfalls „zurückzupriorisieren“, schreibt der
[2][Flüchtlingsrat Niedersachsen auf seiner Website]. Ähnlich gehe auch
Schleswig-Holstein vor. Der Flüchtlingsrat fordert die niedersächsische
Landesregierung auf, diesem Beispiel zu folgen.
Entgegen der Prognose des JVA-Psychiaters hat Ibraheem nun akute
Suizidgedanken, erzählt er beim Videotelefonat. Er könne seit Tagen nicht
schlafen, habe Angst und schlage sich selbst. Seine Familie verstehe nicht,
was vor sich gehe.
29 Mar 2022
## LINKS
[1] /Sammelabschiebung-nach-Pakistan/!5772947
[2] https://www.nds-fluerat.org/51943/aktuelles/kritik-an-region-hannover-wegen…
## AUTOREN
Michael Trammer
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Abschiebehaft
Abschiebung
Pakistan
Hannover
Bayern
Frontex
Abschiebehaft
Berlin
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