| # taz.de -- Vor Prozessstart zu NSU 2.0-Drohserie: Doch Polizisten beteiligt? | |
| > Am Mittwoch beginnt der Prozess zur „NSU 2.0“-Drohserie. Nun wird | |
| > bekannt: Die Polizeiabfragen zu Anwältin Başay-Yıldız waren weit | |
| > umfangreicher. | |
| Bild: Sie sieht die Polizei im Fall der NSU 2.0-Drohserie nicht entlastet: Anw�… | |
| BERLIN taz | Fast drei Jahre lang erreichten die [1][„NSU | |
| 2.0“-Drohschreiben] Anwält:innen, Politiker:innen oder | |
| Journalist:innen mit wüsten, rassistischen Beschimpfungen. Am Mittwoch | |
| nun beginnt der Prozess gegen einen 54-jährigen Berliner, welcher der | |
| Verfasser sein soll: [2][Alexander Horst M.] | |
| Laut Anklage verschickte er insgesamt 116 „NSU 2.0“-Schreiben an dutzende | |
| Betroffene. Das erste ging am 2. August 2018 an die Frankfurter | |
| NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız, inklusive privater Daten. Auffällig in | |
| ihrem Fall: Nur kurz zuvor gab es zu genau diesen Daten [3][eine Abfrage im | |
| 1. Polizeirevier in Frankfurt/Main]. Gleiches geschah später auf anderen | |
| Polizeiwachen bei Drohschreiben gegen die Linkenchefin Janine Wissler und | |
| die Kabarettistin Idil Baydar. | |
| [4][Die Anklage gegen Alexander M.] aber glaubt nicht, dass | |
| Polizist:innen wissentlich an der Drohserie beteiligt waren. Vielmehr | |
| habe der 54-Jährige die Beamten mit Anrufen, in denen er sich als | |
| Behördenvertreter ausgab, ausgetrickst und so die Daten erlangt. Doch | |
| Başay-Yıldız, die als Nebenklägerin am Prozess teilnehmen wird, und mehrere | |
| andere Betroffene haben daran weiterhin große Zweifel. Die These sei eine | |
| bloße „Behauptung“ der Ermittler, sagte Başay-Yıldız der taz. „Und di… | |
| in meinem Fall auch noch ziemlich realitätsfern.“ | |
| ## Polizeiabfrage zu Başay-Yıldız erfolgt gleich 17 Mal | |
| Tatsächlich lässt zumindest das erste Drohschreiben an Başay-Yıldız Zweifel | |
| an der Einzeltäterthese aufkommen. Denn nach taz-Informationen war die | |
| Polizeiabfrage am 2. August 2018 deutlich akribischer als bisher bekannt: | |
| Sie erfolgte über sechs Minuten lang in gleich mehreren Datenbanken und mit | |
| einer Vielzahl an Abfragen zu Başay-Yıldız – nach ihrer Adresse, den dort | |
| gemeldeten Personen oder dem Auftauchen der 46-Jährigen als Beschuldigte | |
| oder Geschädigte von Straftaten. | |
| Başay-Yıldız selbst bestätigte den Vorgang der taz und spricht von | |
| insgesamt 17 Abfragen zu ihrer Person in drei Polizeidatenbanken an diesem | |
| Tag. Für sie ist das ein Hinweis, dass zumindest an dem ersten Drohfax an | |
| sie doch auch Polizisten mitwirkten. „Eine solch detaillierte Abfrage ist | |
| auf telefonischen Zuruf sowohl faktisch als auch zeitlich ausgeschlossen“, | |
| glaubt Başay-Yıldız. „Das wirkt vielmehr, als hätten die Beamten all ihre | |
| Daten durchsucht, um gezielt etwas über mich herauszufinden.“ | |
| Für Başay-Yıldız bleibt zudem unerklärlich, wie der Drohschreiber später | |
| auch an ihre neue, geheimgehaltene Adresse kam. Zudem habe auch nach der | |
| Festnahme von Alexander M. keiner der befragten Frankfurter Polizeibeamten | |
| von fingierten Anrufen berichtet. Nach taz-Informationen beteuerten die | |
| Polizist:innen allesamt nur, sich nicht mehr an den damaligen | |
| Tagesablauf erinnern zu können. Başay-Yıldız erinnert zudem daran, dass | |
| einige Beamte des Reviers nachweislich in einer rechtsextremen Chatgruppe | |
| waren. | |
| ## Staatsanwaltschaft ermittelt noch gegen zwei Beamte | |
| Tatsächlich hat auch die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main den Verdacht | |
| gegen die Frankfurter Polizeibeamten nicht gänzlich aufgegeben. Eine | |
| Sprecherin bestätigte der taz, dass weiterhin gegen zwei Beamte wegen der | |
| Datenabrufe zu Başay-Yıldız und des Vorwurf des Geheimnisverrats ermittelt | |
| wird. Gegen eine Polizistin, an deren Dienstrechner die Abfrage zu | |
| Başay-Yıldız erfolgte. Und gegen einen Beamten, der im Revier mit rechten | |
| Chats auffiel. Bislang hätten die Ermittlungen aber keinen hinreichenden | |
| Tatverdacht ergeben, so die Sprecherin. Man wolle aber noch abwarten, ob | |
| der Prozess gegen Alexander M. neue Erkenntnisse bringe. | |
| In einer am Montag veröffentlichten Erklärung nannten es auch die | |
| Linken-Politikerinnen Janine Wissler, Martina Renner, Baydar sowie die | |
| taz-Autorin Hengameh Yaghoobifarah, die allesamt ebenfalls Drohschreiben | |
| erhielten, einen „Skandal“, dass sich die Ermittlungen bisher auf einen | |
| Einzeltäter konzentrierten. „Der NSU 2.0-Komplex ist mit der Festnahme des | |
| Angeklagten nicht aufgeklärt“, erklärten die Betroffenen. | |
| Vielmehr gebe es Hinweise auf eine „mindestens gezielte Datenweitergabe aus | |
| Polizeikreisen“. Erst durch die Verwendung der privaten Daten in den | |
| Schreiben habe die Drohserie eine „besondere Brisanz“ bekommen. Es müsse | |
| daher weiter „nachdrücklich“ auch zu den Abrufen der Polizeidaten ermittelt | |
| werden. | |
| ## Wurden Daten im Darknet ausgetauscht? | |
| Başay-Yıldız will im nun beginnenden Prozess gegen Alexander M. darauf | |
| drängen, dass die Frage, ob und wie die Polizisten an den Drohungen | |
| beteiligt waren, dort aufgeklärt wird. So müsse geprüft werden, ob es etwa | |
| im Darknet Verbindungen von M. zu Polizeikräften gab. Auch sei offen, ob | |
| Verbindungen zu anderen Drohserien existierten und wie gefährlich der | |
| Angeklagte wirklich war. Bei seiner Festnahme waren auch [5][eine | |
| Schusswaffe und zwei Würgehölzer] gefunden worden. | |
| Alexander M. war – nach langen, zunächst erfolglosen Ermittlungen – im Mai | |
| 2021 verhaftet worden. Fahnder hatten Kommentare eines Nutzers auf dem | |
| rechtsextremen Internetportal „PI News“ gefunden, die dem Duktus der „NSU | |
| 2.0“-Drohschreiben ähnelten. Unter gleichem Namen fand sich auch ein | |
| Account auf einem Schachportal – über dessen Bestandsdaten Alexander M. | |
| identifiziert werden konnte. Der vielfach Vorbestrafte sitzt seitdem in | |
| U-Haft und bestreitet nach taz-Informationen die Vorwürfe. Der Prozess | |
| gegen ihn ist vorerst bis Ende April terminiert. | |
| 14 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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| an. Die Betroffene Seda Başay-Yıldız sieht „weiter viele offene Fragen“. | |
| Adresse von bedrohter Anwältin geleakt: Immer wieder Hessen | |
| Die hessische Landesregierung hat die Privatadresse der | |
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| Auch an die AfD. | |
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