| # taz.de -- Drohmail-Affäre „NSU 2.0“: Angeklagter weist Vorwürfe zurück | |
| > Der Beschuldigte Berliner bestreitet, 116 Drohschreiben verschickt zu | |
| > haben – eine Darknetgruppe stecke dahinter. Die Indizien sprechen gegen | |
| > ihn. | |
| Bild: Seit Mittwoch steht Alexander M. vor Gericht | |
| Frankfurt am Main taz | Er gibt sich als Unschuldiger. Die Vorwürfe gegen | |
| ihn seien „unsäglich“, [1][erklärt Alexander M. am Donnerstag vor dem | |
| Frankfurter Landgericht.] Er werde hier als „nützlicher Idiot“ hingestellt, | |
| dem man aufgrund seiner Vorstrafen „alles in die Schuhe schiebt“. Dabei | |
| habe er kein einziges NSU 2.0-Schreiben verschickt, kenne keine der | |
| Bedrohten. „In keinem einzigen Fall habe ich eine Straftat begangen.“ | |
| Dabei sind die Vorwürfe und Indizien gegen Alexander M. massiv. Fast drei | |
| Jahre lang soll der 54-jährige Berliner als selbst ernannter „NSU 2.0“ 116 | |
| Drohschreiben an zumeist Engagierte gegen Rassismus verschickt haben, an | |
| die [2][NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız], Linken-Chefin Janine Wissler | |
| oder die Kabarettistin Idil Baydar. Wüste, rassistische Beschimpfungen, mit | |
| expliziten Todesdrohungen, oft gespickt mit privaten Daten – die in den | |
| Fällen von Başay-Yıldız, Wissler und Baydar zuvor auf Polizeirevieren | |
| abgerufen wurden. Bis Alexander M. [3][am 3. Mai 2021 in Berlin | |
| festgenommen wurde]. | |
| ## Er sagt, er habe „Polizeiinsiderwissen“ | |
| Seit Mittwoch steht der Erwerbslose nun vor Gericht, am zweiten Prozesstag | |
| zückt er einen Zettel mit einer Erklärung, setzt seine Lesebrille auf und | |
| legt aufgeregt berlinernd los. Nicht er, sondern eine Gruppe in einem | |
| Darknetforum, zu der [4][auch Polizisten gehörten], habe die „NSU | |
| 2.0“-Schreiben koordiniert, behauptet er. Er selbst sei dort über einen | |
| Bekannten Mitte 2019 Mitglied geworden, ein Jahr später aber wieder | |
| ausgestiegen. Es sei um „rechte Politik“ gegangen, mit „lustigen“ Chats, | |
| der Umgangston sei aber „unter aller Sau“ gewesen. Başay-Yıldız sei bedr… | |
| worden, weil sie für Ärger in der hessischen Polizei gesorgt habe, sagt M. | |
| Dass ihre kleine Tochter bedroht wurde, sei „eine Sauerei“. „Ich wars | |
| jedenfalls nicht.“ | |
| Aber: Der Ärger für die hessische Polizei ging überhaupt erst nach den | |
| ersten Drohschreiben an Başay-Yıldız los. Und Alexander M. nennt weder den | |
| Namen des Forums, noch die von Mitgliedern. Das brächte ihm Nachteile, er | |
| bräuchte ein Zeugenschutzprogramm, sagt er im Gericht. Dass er laut Anklage | |
| über fingierte Anrufe an Polizeidaten kam, weist er als „hanebüchenen | |
| Unsinn“ zurück. Kein Polizist würde einfach so am Telefon Daten | |
| herausgeben. Und die Diktion der Schreiben spreche eher für „politisch | |
| frustrierte Polizeibeamte“. Aber M. raunt, er habe aus der Darknetgruppe | |
| „Polizeiinsiderwissen“, etwa über den Suizid eines hessischen Polizisten. | |
| Der Staatsanwalt kontert prompt: Der Fall habe auch in der Zeitung | |
| gestanden. | |
| ## Nachfragen des Gerichts will er nicht beantworten | |
| Wozu Alexander M. indes fast nichts sagt, sind die „NSU 2.0“-Drohschreiben | |
| oder Fragmente davon, die auf seinem Computer gefunden wurden. Oder die | |
| Zugriffsdaten auf ein Yandex-Emailpostfach, von dem fast alle Schreiben | |
| verschickt wurden. Da habe er sich mal was aus dem Darknetforum | |
| runtergeladen, sagt er nur. Und auch seine vielen Vorstrafen „sagen gar | |
| nichts“. | |
| Nachfragen des Gerichts aber will Alexander M. nicht beantworten. Seine | |
| Verteidiger wollten das nicht, sagt er. Ob er denn seine teils noch | |
| verschlüsselte Rechnerfestplatte freigeben würde, fragt Richterin Corinna | |
| Distler. Alexander M. lehnt auch das ab. „Ich verspreche mir daraus keine | |
| Verbesserung meiner Verhandlungsposition.“ Als Antonia von der Behrens, die | |
| Anwältin von Başay-Yıldız, M.s Erklärung für leicht zu widerlegen erklär… | |
| wird dieser aufbrausend. Immer wieder fällt er ihr ins Wort. „Die spinnt | |
| ja“, schimpft der 54-Jährige. „Mit Frauen wie Ihnen hab ich ein Problem.“ | |
| Die Richterin weist M. zurecht: „Mäßigen Sie sich bitte!“ | |
| Auch einige der Betroffenen gehen davon aus, dass Alexander M. tatsächlich | |
| im Darknet unterwegs war. „Aber die Drohschreiben hat er schon selbst | |
| verschickt“, ist von der Behrens überzeugt. Dafür lägen ausreichend | |
| Indizien vor. Nur wie M. an die Polizeidaten kam und ob er auch das | |
| allererste Drohfax an Başay-Yıldız verschickte, bleibe ungeklärt. Hier | |
| spreche viel für eine Kooperation von M. mit Beamten, vielleicht ja im | |
| Darknet, glaubt die Anwältin. | |
| Die Staatsanwaltschaft ermittelt hier tatsächlich weiterhin gegen zwei | |
| Beamte. Die Aussage von Alexander M. aber brachte dazu keine Aufhellung. | |
| Ein Urteil gegen ihn wird nicht vor Ende April erwartet. | |
| 17 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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