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# taz.de -- Rechtsextreme Drohschreibenserie: Anklage im Fall NSU 2.0 erhoben
> Die Staatsanwaltschaft klagt einen 53-jährigen Berliner für 116 Schreiben
> an. Die Betroffene Seda Başay-Yıldız sieht „weiter viele offene Fragen�…
Bild: Hat weiter offene Frage im „NSU 2.0“-Komplex: Anwältin Seda Başay-Y…
Frankfurt/Main taz | Über Jahre erreichten die wüsten Drohschreiben eines
selbsternannten „[1][NSU 2.0]“ die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıld�…
und andere politisch engagierte Personen, vorrangig Frauen. Anfang Mai
erfolgte dann endlich die Festnahme eines Verdächtigen im Auftrag der
Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main: [2][des Berliners Alexander M.] Nun
sieht die Behörde den Verdacht gegen 53-Jährigen bestätigt – und erhob
Anklage.
Demnach soll Alexander M. vom 2. August 2018 bis zum 21. März 2021
insgesamt 116 Drohschreiben verschickt haben, per Email oder via
kostenloser SMS- und Faxdienste. Seine Identität habe er dabei über einen
Tor-Browser verschleiert, informierte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag
über die 120-seitige Anklageschrift. [3][Die Schreiben erreichten zunächst
Başay-Yıldız], die im NSU-Prozess Opferangehörige vertrat. Danach erhielten
diese auch mehrere Politiker:innen, Engagierte gegen Rechtsextremismus,
Behörden und Journalist:innen wie die taz-Autorin Hengameh
Yaghoobifarah.
In den Schreiben soll der zuletzt arbeitslose, alleinstehende und mehrfach
vorbestrafte Berliner die Angeschriebenen als „Türkensau“, „Volksschädl…
oder „hirntoter Scheißdöner“ beleidigt haben. Gedroht wurde,
Familienangehörige würden „mit barbarischer sadistischer Härte
abgeschlachtet“. Dazu erfolgte wiederholt die Grußformel „Heil Hitler“ o…
die Selbstbezeichnung als „SS-Obersturmbannführer“.
## Die Anklage listet 67 strafbare Delikte
In 67 Fällen habe Alexander M. damit Straftaten der Beleidigung, versuchten
Nötigung, Volksverhetzung, Bedrohung oder Verunglimpfung des Andenkens
Verstorbener verübt, so die Anklage. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm zudem
den Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften, einen tätlichen
Angriff auf Vollstreckungsbeamte bei seiner Festnahme und einen Verstoß
gegen das Waffengesetz vor. Bei der Festnahme von Alexander M. in seiner
Wohnung hatten Beamte kinderpornografisches Material sowie eine Schusswaffe
gefunden, die sich später aber nicht als „scharf“ herausstellte. Die
Anklage wirft ihm aber den illegalen Besitz zweier Würgehölzer vor.
Alexander M. selbst bestreitet die Vorwürfe. Er sitzt seit seiner Festnahme
am 3. Mai in Untersuchungshaft.
Auffällig war, dass in den Schreiben an Başay-Yıldız persönliche Daten
enthalten waren, auch von ihren Familienmitgliedern – die zuvor auf einem
Frankfurter Polizeirevier abgefragt wurden. Später gelangte der Verfasser
auch an die neue Adresse von Başay-Yıldız, die nach ihrem Umzug in den
Behörden eigentlich geheim gehalten werden sollte. Auch im Fall der
Linken-Vorsitzenden Janine Wissler oder der Kabarettistin Idil Baydar
beinhalteten die Schreiben persönliche Daten – und gab es
Polizeidatenabfragen im Vorfeld.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main vermerkt dazu nun, dass Alexander M.
die Daten „unter Einsatz einer Legende“ erlangt habe, indem er etwa
telefonisch vorgab, Bediensteter einer Behörde zu sein. Der Verdacht,
Polizeibeamte könnte ihn wissentlich „in strafrechtlich relevanter Weise“
unterstützt haben, habe sich „nicht bestätigt“. Soll heißen: Die Beamten
ließen sich von Alexander M. schlicht übertölpeln.
## Für Başay-Yıldız ist noch einiges ungeklärt
Seda Başay-Yıldız begrüßte am Donnerstag die Anklageerhebung. „Es bleiben
für mich aber weiter viele offene Fragen“, sagte sie der taz. So sei schwer
nachzuvollziehen, dass sich Polizeibeamte in gleich mehreren Fällen am
Telefon zu Datenabfragen hätten überreden lassen – die ihr vermeintlicher
Kollege ja auch selbst hätte ausführen können. Auch bleibe weiter unklar,
wie ihre gesperrte neue Adresse an den Drohbriefschreiber kam.
Tatsächlich laufen bis heute Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
Frankfurt/Main gegen mehrere Beamte aus dem Frankfurter Revier, in dem 2018
die Privatdaten von Başay-Yıldız und ihren Familienangehörigen abgerufen
wurden. Im Zuge der Ermittlungen war auch eine rechtsextreme Chatgruppe der
Beamten aufgeflogen. Auch in ihren Fällen davon wird nun aber davon
ausgegangen, dass die PolizistInnen von dem Angeklagten getäuscht und über
dessen Legende die Datenabfragen veranlasst wurden, sagte eine Sprecherin
der Staatsanwaltschaft am Donnerstag der taz. Geprüft würden aber weiterhin
mögliche strafbare Inhalte in der Chatgruppe.
Im Fall Alexander M. prüft nun das Landgericht Frankfurt/Main die Anklage
und wird über eine Prozesseröffnung entscheiden. Die Ermittler waren dem
Berliner letztlich auf die Schliche gekommen, weil er unter anderem auf dem
islamfeindlichen Onlineportal „PI News“ Kommentare mit sehr ähnlichem
Wortlaut wie in den Drohschreiben verfasste.
28 Oct 2021
## LINKS
[1] /taz-Recherche-zu-Drohmails/!5709468
[2] /Verhaftung-nach-NSU-20-Drohserie/!5765449
[3] /taz-Recherche-zu-Drohmails/!5709468
## AUTOREN
Konrad Litschko
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Schwerpunkt Rechter Terror
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