# taz.de -- Benzinpreis erreicht Rekordhöhe: Schluss mit dem Gejammer | |
> Der Aufschrei-Reflex wegen teurem Sprit ist eine chronische Dummheit der | |
> Gesellschaft. Stur ignoriert sie die Fakten, die klar auf der Hand | |
> liegen. | |
Bild: Schon immer ein Aufreger: Bezinpreis an einer Tankstelle in Düsseldorf 2… | |
Es ist wieder soweit: Der Super-GAU an der Zapfsäule ist eingetreten. | |
Superbenzin E 10 kostete am Mittwoch im Tagesdurchschnitt exakt 1,712 Euro | |
und war damit um volle 1,3 Cent teurer als beim vorherigen deutschen Rekord | |
im Jahr 2012. „So teuer war Benzin noch nie“, sticheln die | |
Nachrichtenportale, und der Puls der Autofahrer springt schon vor der | |
nächsten roten Ampel in den Panikmodus. Die Vokabeln der Krise heißen | |
Preisschock, Tankfrust, Benzinwut – sie breiten sich schneller aus als | |
Omikron BA.2. Zerlumpte, ausgemergelte Autofahrer betteln zu Tausenden an | |
den Tankstellen. Der ADAC rät derweil zur Nachtschicht: nie vor 19 Uhr | |
tanken! Und Bild geht unter die Dichter: „Wenn der Spritpreis in den Himmel | |
springt, es froh in Staates Kasse klingt!“ | |
Aber im Ernst: Das Déjà-vu der Benzinpreis-Empörung macht einen ratlos. Der | |
Aufschrei-Reflex wegen teurem Sprit gehört zu den chronischen Dummheiten | |
einer Gesellschaft, die immer noch „Benzin im Blut“ zu haben scheint und | |
die stur die Fakten ignoriert. Fest steht: Die Tarife für öffentliche | |
Nahverkehre sind stärker gestiegen als die Benzinpreise. Benzin wird auch | |
nicht „immer teurer“, wie behauptet. Siehe oben, der vorherige Preisrekord | |
liegt zehn Jahre zurück, der Preis war lange Zeit ziemlich stabil. Und | |
jeder weiß es: Fossil befeuerte Mobilität ruiniert das Klima. Sie muss | |
teurer werden, damit die Transformation zu anderen Verkehrsformen gelingen | |
kann und sie bis zur Jahrhundertmitte ganz verschwindet. | |
Die Preise für Benzin und Diesel sind auch jetzt noch weit davon entfernt, | |
die ökologische Wahrheit zu sagen: Das Auto ist ein unverändert | |
hochsubventioniertes Vehikel. Soeben hat der Europäische Gerichtshof | |
moniert, dass fossile Energien in fünfzehn Ländern der EU noch immer | |
stärker subventioniert werden als die Erneuerbaren Energien, eine | |
Trendumkehr sei nicht erkennbar. | |
Das Steuerprivileg für Diesel, absurde Entfernungspauschalen und | |
[1][staatliche Zuschüsse für Plug-in-Hybride], die fast nur mit Sprit | |
fahren, sind feste Bestandteile des deutschen Subventionsmonopolys. Auch | |
die Kosten, die durch den Ausstoß von Schadstoffen, Klimagasen oder Lärm | |
anfallen, muss die Allgemeinheit bezahlen. Von der Wartung und dem Bau von | |
Brücken, Straßen, Parkplätzen, von Straßenreinigung et cetera wollen wir | |
gar nicht erst reden. Auch nicht von der physischen Bedrohung oder der | |
Zerstörung unserer Lebensräume. | |
Reden wir lieber von der Erdölförderung und der perfekt verdrängten | |
Perspektive der Endlichkeit. Das Mantra ewigen Wachstums lässt keinen Platz | |
für eine stagnierende oder sogar zurückgehende Förderung. Genau diesen | |
Rückgang können wir gegenwärtig beobachten – mit entsprechenden Folgen für | |
Öl- und Benzinpreise. Der aktuelle Rekord ist also weder staatliche Abzocke | |
noch eine Folge des Klimagroschens durch die CO2-Bepreisung. Er ist die | |
marktwirtschaftliche Antwort auf den zuletzt rasant bis auf 90 Dollar je | |
Barrel gestiegenen Ölpreis. Der hat damit den höchsten Stand seit 2014 | |
erreicht und er könnte – Worst Case – sogar bald dreistellig werden. Sagen | |
wir es mit Harald Welzer: Früher war auch die Zukunft besser! | |
## Der Rohstoff wird knapper und knapper | |
Die Lage ist in der Tat angespannt: Fast alle Förderländer, vor allem aber | |
die Big Three Russland, Saudi-Arabien und die USA, pumpen bis zum Anschlag, | |
um ihr Förderniveau aus der Vorpandemiezeit wieder zu erreichen. Dies ist | |
trotz eines motivierend hohen Ölpreises bisher nicht gelungen. Es ist | |
technisch immer aufwendiger, in weitgehend leergepumpten Ölfeldern hohe | |
Förderquoten zu erzielen. Während die saudische Ölförderung weitgehend | |
intransparent bleibt, kommen aus Russland verlässlichere Informationen zu | |
den offenbar großen Problemen der Förderung, vor allem in Westsibirien und | |
im Wolga-Ural-Gebiet. | |
Unterm Strich war die Nachfrage nach Öl nach Angaben der Internationalen | |
Energieagentur (IEA) zuletzt jedenfalls höher als die Förderung. Und dies, | |
obwohl der Flugverkehr coronabedingt noch reduziert ist. Die | |
internationalen Lagerbestände haben sich folglich stark geleert, die Preise | |
klettern. Nach Zahlen der IEA lag der globale Ölverbrauch zuletzt bei | |
täglich 99 Millionen Barrel. Das Elektroauto hat noch keine nennenswerten | |
Bremsspuren in der Verbrauchsstatistik hinterlassen. | |
Müssen wir uns womöglich noch einmal mit Peak Oil beschäftigen, jener | |
Lieblingsvokabel der als Vulgärapokalyptiker verspotteten Expertenschar? Am | |
Ende haben diese Menschen sogar noch recht, weil sich Naturgesetze auch von | |
Spöttern nicht aushebeln lassen. Erdöl ist endlich, es gibt so gut wie | |
keine neu entdeckten Ölfelder mehr, und in den meisten Förderländern geht | |
der Output zurück. Allein die Fracking-Industrie der USA konnte in den | |
vergangenen Jahren eine Verknappung dieses Rohstoffs verhindern. | |
Aktuell verzeichnen aber auch die USA einen Rückgang der Förderung | |
gegenüber der Vorcoronazeit. Im Rückspiegel betrachtet könnte 2018 | |
tatsächlich das Jahr der historisch höchsten Ölförderung gewesen sein. Es | |
wäre nicht der Beginn, es wäre der historische Meilenstein im Endspiel des | |
fossilen Zeitalters. Der Peak und seine einschneidenden Folgen würden unser | |
kulturelles Gedächtnis in ein Davor und ein Danach einteilen. | |
## Die Mär vom „armen Pendler“ | |
Die Autofahrenden wissen von der Ölförderung so viel wie die Kuh vom | |
Innenleben ihres Melkroboters. Die große Mehrheit wirkt wie einbetoniert in | |
ihren Lebensstil, zu dem das Grundrecht auf billiges Benzin gehört wie das | |
Schnitzel in der Bratpfanne. Eine Information oder Diskussion zu möglichen | |
Folgen einer fossilen Verknappung findet nicht mehr statt, seitdem in den | |
Medien ausgemacht ist, dass [2][die Peak-Oil-Jünger] sich getäuscht haben | |
und wir doch sowieso aus allen klimakritischen Brennstoffen aussteigen | |
wollen. | |
Natürlich wollen alle das Klima retten, aber bis dahin wollen alle auch | |
genau so weitermachen wie immer und zwar zu „vernünftigen“ Preisen für Ga… | |
Kohle und Benzin. Die Politik – vor allem die SPD – reagiert auf hohe | |
Benzinpreise in der Regel aufgescheucht, entdeckt ihr soziales Herz und | |
verspricht sofortige Erleichterung. | |
Dann wird das Szenario vom armen Pendler ausgemalt, der in Wahrheit ein | |
vermögender ist. Zuletzt wurde die Entfernungspauschale deutlich erhöht. | |
Sie kommt, wie Untersuchungen zweifelsfrei belegen, [3][vor allem reicheren | |
Männern] zugute und sie belohnt ausdrücklich das Pendeln über große | |
Entfernungen. Frauen, Ärmere und Alte pendeln weniger und kürzer, der | |
Radius wächst mit dem Einkommen und dem männlichen Geschlecht. | |
Nach dem Modell linke Tasche, rechte Tasche wird krampfhaft versucht, dem | |
steigenden Benzinpreis die Wirkung zu nehmen. Das ist keine | |
erfolgversprechende Perspektive und dauerhaft auch nicht durchzuhalten. | |
Deshalb wird trotz neuer Kompensationsversprechen ein höherer Benzinpreis | |
das Umsteigen aufs Elektroauto ein wenig beschleunigen. Bestenfalls wird er | |
in den Metropolen auch nachhaltige Mobilitätsformen aus eigener Muskelkraft | |
anschieben. | |
Mit weiteren Sprüngen könnte der Benzinpreis dann irgendwann der | |
ökologischen Wahrheit nahekommen. Eine Schweizer Untersuchung nennt einen | |
Literpreis von umgerechnet fünf Euro als halbwegs angemessen. Bis dahin ist | |
noch viel Luft nach oben. Benzin, das ist nun wirklich kein Geheimnis, ist | |
immer noch und bis auf Weiteres vor allem eines: viel zu billig. | |
5 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Foerderung-von-Plug-In-Hybriden/!5782203 | |
[2] /Historischer-Preis-Crash/!5680207 | |
[3] /Streit-ueber-hoehere-Benzinpreise/!5774943 | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
## TAGS | |
Fossile Rohstoffe | |
Benzinpreise | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
GNS | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Nachhaltigkeit | |
Auto | |
CO2-Emissionen | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Spritpreis-Senkung in Frankreich: Zapfsäulen-Populismus | |
Ein Wahlgeschenk für Frankreich: Kurz vor der Wahl will Emmanuel Macron den | |
Spritpreis um 15 Cent senken. Populär ist das – nachhaltig nicht. | |
ADAC-Analyse zu Nachhaltigkeit: Treibhausgas und lahme Züge | |
Seit Jahren soll der Verkehr in Deutschland nachhaltiger werden. | |
Ausgerechnet der ADAC hat nun analysiert, inwieweit das Ziel erreicht | |
wurde. | |
Umstieg vom Verbenner aufs E-Auto: Mehr Stromtankstellen nötig | |
Der Verband der Automobilindustrie fordert von der Regierung die | |
Einberufung eines „Ladegipfels“. So sollen genug Ladepunkte für E-Autos | |
entstehen. | |
CO2-Preis auf Rekordhöhe: Fast 100 Euro pro Tonne | |
Der CO2-Preis klettert im Emissionshandel auf einen historischen | |
Höchstwert. Analysten gehen davon aus, dass der Anstieg weitergehen wird | |
Streit über höhere Benzinpreise: Tiefergelegter Verstand | |
Der geschröpfte kleine Autofahrer ist wieder da. Doch wissenschaftliche | |
Daten belegen: Von billigem Sprit profitieren vor allem Reiche. | |
Fossile Rohstoffe und Klimawandel: Öl bleibt Öl | |
Bei Ölkonzernen ist es gerade en vogue, Klimaschutzpläne zu schmieden. | |
Expert*innen haben indes nachgewiesen, dass sie weiter in fossile Rohstoffe | |
investieren. | |
Historischer Preis-Crash: Die umgedrehte Ölkrise | |
Nach dem Preis-Crash rückt „Peak Oil“ näher. Retten könnte die Industrie | |
eine alte Ökoforderung: Staatsgeld fürs Nichtstun. |