# taz.de -- Historischer Preis-Crash: Die umgedrehte Ölkrise | |
> Nach dem Preis-Crash rückt „Peak Oil“ näher. Retten könnte die Industr… | |
> eine alte Ökoforderung: Staatsgeld fürs Nichtstun. | |
Bild: Immer mit Schulden und anfällig gegen Niedrigpreise: Fracking in Midland… | |
BERLIN taz | Die Luft ist schwül und salzig, auf dem Gelände stehen | |
zwischen sumpfigen Wiesen ein paar Tanks und niedrige Häuser. Dicke weiße | |
Pipelines führen in den Boden, ab und zu schafft es ein Alligator durch den | |
Hochsicherheitszaun. | |
Aber das Eigentliche ist auch in Bryan Mound im US-Bundesstaat Texas | |
unsichtbar: 600 Meter unter dem Boden liegt in 19 Salzkavernen das größte | |
Öllager der USA: Knapp 250 Millionen Fass (je 159 Liter) passen in die | |
größte Lagerstätte der „strategischen Ölreserve“ (SPR), die an vier | |
Standorten 714 Millionen Fass für schlechte Zeiten hortet. | |
Die Zeiten sind schlecht, und die SPR wird so wichtig wie selten – um den | |
Überfluss aufzufangen. Denn momentan herrscht weltweit die umgedrehte | |
Ölkrise: nicht zu wenig, sondern zu viel Öl. Und plötzlich bekommen die | |
strategischen Reserven, die Theorie von „Peak Oil“, dem Gipfel der | |
Ölförderung und die Idee, den Rohstoff im Boden zu lassen, eine völlig neue | |
Bedeutung: nicht als Mittel zum Klimaschutz, sondern als Rettungsring für | |
die Ölindustrie. | |
## Wer kauft, bekam Geld dazu | |
Die ist seit Montagnacht in Aufruhr. An der New Yorker Börse wurde das Fass | |
Öl zum ersten Mal in der Geschichte zu einem „negativen Preis“ von 37 | |
Dollar gehandelt – wer es abnahm, bekam noch Geld dazu. Der Grund: Weltweit | |
ist durch den Coronaschock, den Stillstand der Weltwirtschaft und des | |
globalen Verkehrs die Nachfrage nach Öl von 100 auf etwa 70 Millionen Fass | |
pro Tag gesunken. | |
Vom „schwarzen April der Ölwirtschaft“ spricht die Energieagentur IEA. Und | |
am Dienstag wurden die „Futures“, Verträge für Öllieferungen im Mai, | |
fällig. Da verkauften viele zu jedem Preis. | |
Der Minuspreis hat Eugen Weinberg schockiert. Der Analyst und Ölexperte der | |
Commerzbank sagt: „Ich hätte so etwas ausgeschlossen. Das entspricht nicht | |
den Gegebenheiten am Markt.“ Der Absturz, der am nächsten Tag schon wieder | |
leicht ins Plus drehte, habe verschiedene Ursachen: „Die Stimmung und die | |
Daten sind natürlich schlecht“, sagt Weinberg. „Aber es gab auch | |
Zwangsliquidierungen von Fonds, die spekuliert haben und verkaufen mussten. | |
Das war ein technischer Ausrutscher.“ | |
Allerdings rutscht gerade die globale Ölindustrie bergab. Wenig Nachfrage | |
trifft auf Überproduktion, die erst im Mai nach einer Einigung zwischen | |
Saudi-Arabien und Russland um 10 Millionen Fass pro Tag gedrosselt werden | |
soll – immer noch viel zu viel, meinen Experten, die Preise würden niedrig | |
bleiben. | |
Die US-Fracking-Industrie, ohnehin überschuldet und seit Jahren am Rande | |
der Pleite, braucht mindestens 30 Dollar pro Fass, um profitabel zu sein. | |
Fracking-Firmen, die ohnehin schon einen großen Teil ihres Börsenwerts | |
verloren haben, werden pleite gehen, warnen Analysten. | |
Den Öl-Überschuss in den USA soll nun die strategische Reserve aufnehmen, | |
hat das Energieministerium beschlossen. Aber bereits in etwa einem Monat | |
laufen diese Tanks voll. Wenn bis dahin die Weltwirtschaft nicht wieder so | |
viel Öl verbrennt wie zuvor, wird vor allem die US-Ölindustrie schwer | |
leiden. | |
## Geld dafür geben, kein Öl zu fördern | |
Um den Kollaps einer zentralen Industrie und hoher Arbeitslosigkeit im | |
Wahlkampf zu vermeiden, denkt die Regierung von US-Präsident Donald Trump | |
offenbar darüber nach, Ölfirmen zu bezahlen, wenn sie kein Öl fördern – | |
ironischerweise eine alte Forderung der Klimaschützer, um Staaten wie | |
Ecuador den Verzicht auf fossile Förderung schmackhaft zu machen. | |
Aber wird der Ölverbrauch je wieder so hoch wie vor Corona? Oder ist Peak | |
Oil erreicht, weil der Verbrauch sinkt? Commerzbank-Experte Weinberg | |
zitiert einen alten Spruch: „Die Steinzeit endete nicht wegen eines Mangels | |
an Steinen. Auch das Ölzeitalter geht nicht zu Ende, weil das Öl ausgeht.“ | |
Er nimmt an, dass einen „nachhaltigen Knick“ in der Nachfrage geben wird: | |
Weniger Flüge, weniger Kreuzfahrten, weniger Pendelei und mehr Homeoffice. | |
Ähnlich sieht das Hans-Josef Fell, grüner Energiepolitiker und Chef der | |
kritischen Energy Watch Group. Die Ölnachfrage werde im nächsten Jahr | |
deutlich niedriger liegen, in der Krise werde weniger in den Urlaub | |
geflogen. „Es gibt sicher auch ein anderes Bewusstsein für die Krise und | |
den Drang, sich etwa mit einem E-Mobil vom Ölmarkt unabhängig zu machen“. | |
Vor allem sieht Fell die fossilen Industrien in die Krise rutschen, weil | |
ihre strukturelle Überschuldung deutlich werde und die Banken ihnen kaum | |
noch mit Kapital helfen: „Die Frage ist, wie lange Ölkonzerne wie Shell, BP | |
oder Exxon aushalten können, ohne mit Staatsgeld gerettet zu werden.“ | |
21 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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