# taz.de -- Nach Mord in Idar-Oberstein: Das Gefühl der Bedrohung | |
> Seit dem Tankstellenmord durch einen Querdenker macht sich die | |
> Tankstellenmitarbeiterin Emma Sorgen um ihre Sicherheit. Ein Besuch zur | |
> Nachtschicht. | |
Bild: Viele halten sich beim Betreten der Tankstelle an die Maskenpflicht. Ande… | |
Sonntagnacht, 0.57 Uhr in einer bayrischen Kleinstadt. Nachtschicht an der | |
Tankstelle. Eigentlich hat sie darauf gewartet, dass es passiert. Als der | |
junge Mann ohne Maske die Tankstelle betritt, stockt sie trotzdem kurz. Von | |
hinter dem Tresen ruft sie ihm entgegen: „Setzen Sie bitte eine Maske auf.“ | |
Er, Lederjacke, geschlecktes Haar, überhebliches Grinsen im Gesicht: „Nein, | |
ich habe keine Maske.“ Sein schlendernder Gang, sein Blick machen klar: Er | |
ist sich der Regeln bewusst, er möchte sie nicht einhalten. Über ein Regal | |
mit Chips hinweg schaut er die junge Frau an. Emma seufzt. „Dann musst du | |
eine kaufen oder wieder rausgehen“, sagt sie bestimmt. | |
„Hab keine“, antwortet der junge Mann, jetzt fester. „Geht nicht anders�… | |
pariert sie. Genervt tritt er zurück an die Schiebetür, ruft nach draußen – | |
und kommt mit Maske im Gesicht wieder. „Ich schau mich ein bisschen um. | |
Okay?“, fragt er, leicht provokativ. „Klar.“ Gespräch beendet. Emma nimmt | |
ihren Lappen, wischt weiter den Tresen. Mit anstrengenden Kunden kann sie | |
umgehen, mit Maskenverweigerern nun auch. Emma heißt eigentlich anders, | |
doch sie will ihren Namen aus Angst vor Bedrohung durch Querdenker und | |
Rechte hier nicht lesen. Die 21-Jährige studiert Politikwissenschaft und | |
arbeitet nebenbei seit knapp eineinhalb Jahren in der einzigen Tankstelle | |
ihrer bayerischen Kleinstadt, die 24 Stunden geöffnet hat. | |
Hinter dem jungen Mann betritt ein zweiter die Tankstelle, auch ohne Maske. | |
Emma lässt den Lappen sinken. „Mit Maske, bitte, oder du kaufst hier eine“, | |
ruft sie. „Ich hab keine. Ich hab aber getankt, ich muss zahlen“, sagt er. | |
Er scheint ein bisschen überfordert mit der Situation zu sein. Dann zieht | |
er seinen Pullover über die Nase. „Ich mache es so“, sagt er. Emma zögert | |
kurz – dann geht sie zur Kasse und bedient ihn. Er zahlt und die beiden | |
jungen Männer verlassen die Tankstelle. | |
Früher hat Emma solche Vorfälle einfach weggelächelt. „Nach [1][dem Fall in | |
Idar-Oberstein] mache ich mir aber schon Gedanken über meine Sicherheit“, | |
sagt sie. Der junge Student Alexander W., der dort nachts in der Tankstelle | |
arbeitete, hatte einen Kunden auf die Maskenpflicht hingewiesen. Der Kunde | |
weigerte sich – und erschoss den Studenten. Er habe das gemacht, weil er | |
sich von dem Mitarbeiter unter Druck gesetzt gefühlt habe, sagt er in der | |
Vernehmung. Der Schütze hatte sich [2][in „Querdenker“-Kreisen | |
radikalisiert]. Seine Tat wird seitdem von Maskengegner*innen als | |
Drohung genutzt: Es kann jede*n treffen. | |
## Emma kann nicht überall gleichzeitig sein | |
Samstagabend, 21.30 Uhr, kurz vor Schichtbeginn. Die Agip-Tankstelle liegt | |
am Ortsrand. Emma geht zu Fuß knapp zwanzig Minuten. Es ist die einzige | |
Tankstelle, die hier nachts durchgehend geöffnet hat. Deswegen pilgern alle | |
möglichen Nachtschwärmer*innen dorthin – gerade während der | |
Coronapandemie, wenn sonst nichts mehr offen hat. Dunkelbraunes Sweatshirt, | |
das Agip-Logo auf dem Rücken – ein sechsbeiniger Hund, der Feuer spuckt –, | |
eine Arbeitshose. Mit Schichtbeginn steht Emma hinter dem Tresen, macht | |
sich einen Energydrink auf. Vor der Theke sind zwei Plastikwände | |
angebracht, die die Kassierer*innen abschirmen sollen. | |
Um Viertel nach zehn kommt der erste Schwall Menschen herein, Desperados | |
und Bier gehen über die Ladentheke. Eine Frau im schwarzen Mantel hat ihre | |
FFP2-Maske farblich abgestimmt, die anderen tragen weiß. Auf dem Gelände | |
herrscht Alkoholverbot, deswegen zieht die Schar weiter. Emma soll das | |
durchsetzen, kann aber nicht überall gleichzeitig sein. Die Nummer der | |
lokalen Polizeiwache steht auf einem Zettel am Tresen, heute wird sie sie | |
nicht brauchen. Ein paar ihrer Kolleg*innen haben sie schon wählen | |
müssen, sie zum Glück noch nicht. Einige Menschen mit Autoschlüssel in der | |
Hand kommen und gehen, zahlen Benzin und manchmal einen Snack. | |
## „Nettes Zusammensein“ | |
Seit Oktober 2020 arbeitet Emma in der Tankstelle [3][auf 450-Euro-Basis]. | |
„Eigentlich mache ich schon ganz gerne Nachtschicht, da schaffe ich einfach | |
mehr, Aufräumen, Durchwischen, Regale auffüllen, Brötchen aufbacken, denn | |
ich habe weniger Kund*innen als tagsüber“, sagt sie. Emma fragt nicht | |
viel, sie arbeitet die Dinge ab und streicht sie auf einer kleinen Liste | |
aus, die auf dem Tresen liegt. | |
Emma studiert und hat angefangen zu jobben, um unabhängiger zu sein. Dass | |
sie in der Tankstelle gelandet ist, war dabei mehr ein Zufall – der Job war | |
gerade verfügbar. „Aber die Leute hier sind schon auch echt cool. Also es | |
ist schon ein nettes Zusammensein so unter Kolleginnen“, sagt sie. | |
## „Die kommen nur zum Diskutieren“ | |
Am Anfang habe sie großen Respekt vor Nachtschichten gehabt, jetzt hat sie | |
eine gewisse Gewohnheit entwickelt. „In letzter Zeit hatten wir manchmal | |
auch wirklich sehr nette Leute“, sagt Emma. „Viele wünschen einem noch | |
einen guten Abend und sind sehr freundlich. Oft aber werfen sie einem auch | |
nur eine Zahl entgegen, die Zapfsäule, an der sie getankt haben. Und | |
manchmal habe ich das Gefühl, dass sie mir wenig zutrauen, weil ich eine | |
Frau bin. Wenn Dinge nicht so schnell funktionieren, was an der Kasse | |
liegt, wird mir oft unterstellt, ich würde es nicht richtig machen. Das | |
merke ich schon, gerade wenn nachts vor allem Männer unterwegs sind.“ | |
Es ist hell in der Tankstelle, eine Lüftung brummt, daneben die | |
Gefriertruhe. Bisher tragen alle korrekt ihre FFP2-Masken. „Manchmal gibt | |
es Ausreißer, was die Maskenpflicht angeht, und bei vielen davon merkt man: | |
Die kommen nur zum Diskutieren“, erklärt Emma. Manchmal diskutiere sie | |
dann, oft winke sie aber einfach nur ab. „Das bringt bei vielen nichts | |
mehr.“ Aber sonst funktioniere die Maskenpflicht gut. Für sie sei das | |
trotzdem nicht leicht, weil jetzt die Angestellten im Service für die | |
Kontrolle der Regeln zuständig sind. | |
## Sie muss die Maskenpflicht durchsetzen | |
„Tankstelle und mehr“ ist das Motto des Ladens – und das trifft die | |
Realität ganz gut: Tankstellen rechnen sich nicht über den Sprit, sondern | |
über den Verkauf im Laden. Kurz nach Mitternacht betreten die beiden | |
anfangs erwähnten jungen Männer ohne Maske den Laden, Emma bleibt gefasst. | |
„Die wollten einfach nur testen, was geht“, erklärt sie, „der eine hat ja | |
nicht einmal etwas gekauft. Aber das haben wir öfter.“ Kurze Zeit zum | |
Sammeln, Raucherpause. Im Mantel setzt sie sich auf die Terrasse. In der | |
Nähe stehen vier junge Erwachsene an einem Auto und trinken. Diese | |
Corona-Alternative zu Bars sieht nicht einladend aus, Emma lässt es laufen. | |
Wie geht es Emma, wenn sie nachts in der Tankstelle arbeitet? „Manchmal | |
mache ich mir schon Gedanken, vor allem nach dem Fall in Idar-Oberstein. | |
Der hat mich schon beschäftigt“, sagt sie. Schließlich sei sie hier in der | |
Tankstelle diejenige, die Masken- und Abstandspflicht durchsetzen müsse – | |
so wie Alexander W. einmal. Seit einigen Monaten mache sie sich deshalb | |
mehr Sorgen über ihre Sicherheit, wenn sie nachts allein hinter dem Tresen | |
steht. Früher war das anders. „Ich habe sonst mit einer sehr großen | |
Selbstverständlichkeit hier allein gearbeitet“, erzählt sie. „Das war | |
vielleicht auch ein bisschen naiv, im Nachhinein.“ | |
## Präsenz von Rechtsextremen | |
Seitdem kennt Emma das Gefühl der Bedrohung. Nicht nur, dass | |
„Querdenker*innen“ in Deutschland sich radikalisieren; in der Gegend | |
gibt es auch einige organisierte Rechte, die ihr im Zusammenhang mit den | |
Coronaregeln besonders Sorgen machen. „Ich gehe jetzt nicht mehr mit meinem | |
Jutebeutel der Linken in die Tankstelle, das ist mir zu gefährlich“, | |
erklärt sie. Sie habe auch angefangen, sich Gedanken darüber zu machen, was | |
sie sagen und tun kann, ohne Coronaskeptiker*innen oder | |
Rechtsradikale zu verärgern. „Die Leute wissen halt im Zweifel, dass ich | |
wieder hier sein werde, und oft ist auch relativ klar, wann ich das nächste | |
Mal da bin“, sagt sie schulterzuckend. | |
2.12 Uhr, eine Gruppe Jugendlicher. Sie suchen Bier. „Ich habe aber keinen | |
Bock auf ein Corona.“ Der junge Mann lacht, zeigt auf den Bierkasten, und | |
checkt, ob die anderen seinen Witz verstanden haben. Coronabier. Um 3.31 | |
Uhr kommen zwei junge Männer – ein untersetzter Typ, der andere in | |
Lederjacke und Stiefeln. Sie sind sehr höflich. Als der erste sich umdreht, | |
prangt Emma ein knallroter Schriftzug entgegen: Thor Steinar. Er muss sich | |
sicher fühlen, so offen [4][mit Markenkleidung, die bei Neonazis sehr | |
beliebt ist], herumzulaufen. Ironie, dass Emma mit ihm keine Probleme | |
bekommt. | |
Bis 5 Uhr schwirren nur ein paar vereinzelte Nachtschwärmer*innen durch | |
den Laden. Emma räumt auf. Dann trifft ihre Ablösung ein; ohne Maske | |
stiefelt der junge Mann in den Laden, später sitzt seine Maske auf | |
Halbmast. Mit den Schlägen der Kirchenglocken um 6 Uhr verlässt Emma die | |
Tankstelle. Sie wirft eine übrig gebliebene Schnapsflasche vor der Tür in | |
den Mülleimer. | |
3 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Sarah Kohler | |
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