# taz.de -- Ausstellung „Klasse Gesellschaft“: Der lange Arm der Alten Meis… | |
> In der Ausstellung „Klasse Gesellschaft“ kombiniert die Hamburger | |
> Kunsthalle Alte Meister mit heutigen Promis. Das ist mitunter verblüffend | |
> plausibel. | |
Bild: „Klasse Gesellschaft“ für die Alten Meister: Lars Eidinger (l.) und … | |
Aus der Not eine Tugend machen: Ist das eigentlich typisch flämisch? In der | |
[1][Hamburger Kunsthalle], beinahe schon traditionell unterfinanziert durch | |
die öffentliche, also lange Zeit Kaufleute-Hand, kennen die | |
Verantwortlichen sich damit jedenfalls aus. Und setzen seit Jahren, wo | |
immer es geht, auf die eigenen Bestände beim Konzipieren von Ausstellungen. | |
Was aber heißen kann, dass sie trotzdem beträchtlichen Aufwand betreiben, | |
um kuratorisch gebotene Leihgaben zu beschaffen in Nah oder auch mal Fern: | |
Die dann nahezu komplett [2][von der Pandemie und ihrer Bekämpfung | |
torpedierte De-Chirico-Ausstellung] im ersten Halbjahr 2021 war so ein | |
Fall. | |
„Gemälde des holländischen und flämischen 17. Jahrhunderts bilden einen, | |
wenn nicht den Schwerpunkt innerhalb des Sammlungsbereichs Alter Meister“, | |
schreibt nun Kunsthallendirektor Alexander Klar im Katalog zur Ausstellung | |
„Klasse Gesellschaft“, die noch bis Ende März am Glockengießerwall zu seh… | |
ist. Aber um rund 180 Gemälde, Zeichnungen und Druckgraphiken des 17. | |
Jahrhunderts zeigen zu können, waren eben trotzdem auch die Kontakte zu | |
anderen Häusern zu bemühen. | |
Allein: Die Laufzeit in Hamburg überschnitt sich mit der einer anderen, | |
thematisch verwandten Ausstellung ein ganzes Stück die Elbe rauf, in | |
Dresden: Dort wurden seit September und bis zum Jahresanfang Johannes – Jan | |
– Vermeers „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“ gezeigt, mithin | |
„eines der weltweit bekanntesten Werke der holländischen Malerei des | |
Goldenen Zeitalters“; dazu neun weitere Arbeiten Vermeers sowie etwa „50 | |
Werke der holländischen Genremalerei“. | |
Und diese – ein letztes Mal in eigenen Worten – [3][„bislang größte | |
Vermeer-Ausstellung in Deutschland“] machte es nicht einfacher, | |
einschlägige Stücke auszuleihen. So hängt nun in Hamburg nicht ein einziger | |
Vermeer. Aber das schmälert die von Sandra Pisot kuratierte Ausstellung nur | |
dann, wenn eine*n nur möglichst große Namen ins Museum locken. Und in der | |
üppigen Begleitpublikation hat er dann sehr wohl auch seinen Auftritt. | |
Zugegeben: Ganz auf große Namen, aber andere, verzichtet auch die | |
Kunsthalle nun nicht. Aber es ist nun gerade keine bloß zur Tugend | |
umgelabelte Not, wenn „Klasse Gesellschaft“ dieses Problem durch eine | |
Öffnung umgeht: hin zur Gegenwart, hin zu anderen Techniken als der einst | |
in Flandern und umzu so verfeinerten Ölmalerei – und hin auch zu Leuten, | |
die streng genommen, talentierte Laien sind in dem, was sie nun da | |
ausstellen. | |
Denn in Beziehung gesetzt werden die Adriaen Brouwers und Pieter de Hoochs | |
und David Teniers (der Jüngere) mit Arbeiten zweier heute noch höchst | |
lebendiger Kollegen im sehr weiten Sinne: Stefan Marx und Lars Eidinger. | |
Marx, Jahrgang 1979, ist dabei nicht der Quereinsteiger in die Bildenden | |
Künste. Er [4][arbeitet gerne mit Schrift] und interessiert sich für die | |
Gestaltung von Gebrauchsgütern, das waren früher etwa die [5][Plattencover | |
des Hamburger House-Labels Smallville] oder auch Plakate und Flyer für den | |
[6][Golden Pudel Club]. Inzwischen lebt er in Berlin und gestaltet auch mal | |
Produkte für die Königliche Porzellan-Manufaktur. | |
Im Wunsch, „fast ein Abbild der Zeit zu schaffen, in der ich und wir | |
leben“, so Marx im Gespräch mit Kuratorin Pisot, erkenne er das Verbindende | |
mit den Alten Meistern. Bloß wohnt seinen Arbeiten mindestens ein Schritt | |
mehr Übersetzung inne als den zwar inszenierten, aber eben immer auch dem | |
Realismus verbundenen Alltags-Ölbildern daneben. | |
Aber – Eidinger? Der Schauspieler? Aus dem Tatort? Ja (und nicht nur | |
einem), auch von der Salzburger Festspiel-Bühne, im „Jedermann“. Er | |
fotografiere schon viel länger, als er Schauspieler sei, ließ der | |
46-Jährige [7][zur Ausstellungseröffnung die ungewöhnlich zahlreich | |
erschienene Presse wissen]. | |
Und natürlich haben zumindest im globalen Norden und Westen heute viele | |
Menschen derart leistungsfähige Kameras bei sich, dass wenigstens rein | |
technisch etwas Brauchbares herauskommt, wenn sie irgendwo draufhalten. | |
[8][Das hat, ein wenig verkürzt gesagt, Eidinger getan], und weil er | |
ziemlich herumkommt, hängen da nun Fotos – etwas Bewegtbild gibt es auch – | |
aus Baden-Baden und Berlin, Berkeley und Mexiko-Stadt: Menschen in zumeist | |
ganz alltäglichen Situationen, wartend, irgendwas auf ihrem Handy machend, | |
schlafend oder auch bettelnd. | |
Die Ethik des Zustandekommens ist eine genauere Betrachtung wert: Gefragt | |
hat er die Gezeigten nicht, auch das ließ Eidinger wissen, mit einer | |
einzigen Ausnahme. Aber zu erkennen sind sie eben auch nicht in ihren so | |
trivialen, mitunter ja auch sehr verletzlichen Situationen. | |
Eben das Alltägliche an den Motiven, sagen die Verantwortlichen, verbindet | |
diese so heutigen Momentaufnahmen im charakteristischen Hochformat mit den | |
Jahrhunderte alten Bildern aus den nördlichen Niederlanden – bei allen und | |
nicht ganz wenigen Unterschieden, versteht sich: Die Gemälde waren | |
Auftragsarbeiten, deren bloße Existenz etwas erzählt über den sozialen | |
Wandel in der Region, über Kunden, die zu Geld gekommen waren, zu einem | |
eigenen Stolz entwickelnden Bürgertum; im Übergang von einer Stände- zu | |
einer Klassengesellschaft begründet sich ja auch eine Lesart des Hamburger | |
Ausstellungstitels; die andere will hinaus aufs Zusammentreffen nicht ohne | |
Weiteres zueinander Gehöriger, also der Alten Meister und der beiden | |
jungen. | |
Aber eine Folge war eben: Gemalt wurden nun auch ganz normale Menschen, | |
Dinge tuend, die zuvor kaum für kunstwürdig erachtet wurden. Neben solchen | |
inhaltlichen Qualitäten zeichnet sich diese niederländische Malerei im | |
„Goldenen Zeitalter“ – grob gesagt dem 17. Jahrhundert – auch aus durch… | |
Interesse am Spiel mit den Techniken, an der Verschachtelung von | |
Bildebenen, am Einbau auch von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. | |
Das wiederzufinden in den – im Kern ja doch Schnappschüssen – aus Berliner | |
Kaufhaus-Umkleiden oder ostasiatischen Flughäfen, dazu braucht es schon | |
etwas Fantasie seitens der Betrachtenden. „Viele meiner Motive sind | |
unerklärlich“, so Eidinger nun [9][im Katalog], und dass ihn „das | |
Unsichtbare“ interessiere. Aber dann wieder ist es doch verblüffend, wie | |
kurz nur der Weg zu sein scheint, wie leicht zu überbrücken der mehrere | |
Jahrhunderte währende Abstand zwischen [10][den roten Stühlen] auf mehreren | |
niederländischen Gemälden und, eben, [11][einem Eidinger’schen Bild aus dem | |
KaDeWe]. | |
10 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Kunsthalle-Hamburg/!t5016225 | |
[2] /Hamburger-Ausstellung-in-Coronazeiten/!5769739 | |
[3] https://gemaeldegalerie.skd.museum/ausstellungen/vermeer-johannes-vermeers-… | |
[4] https://www.hatjecantz.de/stefan-marx-7677-0.html | |
[5] /!5206374/ | |
[6] /Golden-Pudel-Club/!t5277746 | |
[7] /Lars-Eidinger-im-Museum/!5815425 | |
[8] https://www.hatjecantz.de/lars-eidinger-7822-0.html | |
[9] https://www.hatjecantz.de/klasse-gesellschaft-7984-0.html | |
[10] https://www.hamburger-kunsthalle.de/sites/default/files/styles/hkh_lightbo… | |
[11] https://www.hamburger-kunsthalle.de/sites/default/files/styles/hkh_lightbo… | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
## TAGS | |
Kunst | |
Hamburger Kunsthalle | |
Hamburg | |
Malerei | |
Lars Eidinger | |
Tatort | |
Wochenendkrimi | |
zeitgenössische Fotografie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Murot-„Tatort“ aus Wiesbaden: Familie und Genickschuss | |
Ein obdachloser Ex-Professor wird ermordet, nun braucht es eine | |
Familienaufstellung. Der zehnte Murot-„Tatort“ macht vieles richtig und | |
Spaß. | |
Kiel-„Tatort“ mit Lars Eidinger: Kai Korthals ist zurück | |
Der neue „Tatort“ ist der dritte Teil um den von Lars Eidinger gepielten | |
Serienmörder. Es ist ein richtig guter Krimi – nicht nur der Dialoge wegen. | |
Kunst im öffentlichen Raum: Leben im Schrumpfmodus | |
„Miss You“, eine Plakatausstellung im öffentlichen Raum, legt uns gerade | |
nicht sichtbare Künstler:innen ans Herz. Jedes Bild hat eine Geschichte. |