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# taz.de -- Künstlerin Sutapa Biswas: Von Rachegöttern und Hoffnung
> Sutapa Biswas bearbeitet das Trauma der Kolonialzeit in Indien. Zwei
> Ausstellungen in England präsentieren ältere und neue Arbeiten.
Bild: Still aus „Lumen“ von Sutapa Biswas
Cambridge taz | In einem eleganten englischen Haus spricht eine Frau im
schwarzen Sari mit leichtem nordenglischen Akzent über die Geburt ihrer
Tochter. Wen die Schauspielerin Natasha Patel hier gerade darstellt, ist in
Sutapa Biswas’ neuester Filmarbeit „Lumen“ nie ganz klar, denn sie spielt
gleichzeitig die Rollen von Biswas’ Großmutter, Mutter und von Biswas
selbst.
Die 59-Jährige Künstlerin wurde in Shantiniketan in Westbengalen, der
indischen „Heimstatt des Friedens“, geboren und kam mit ihrer Familie als
vierjähriges Kind 1966 nach England. Mit ihrer Kunst will sie gegen das
westliche Vorurteil von der Passivität südasiatischer Frauen kämpfen und
deren ungehörte, nicht erzählte Geschichten öffentlich machen. In zwei
Ausstellungen, in Cambridge und im nordenglischen Gateshead, stehen Biswas’
Beiträge zur Black-Arts-Bewegung in Großbritannien und zur sich wandelnden
britischen Nachkriegskunst im Mittelpunkt.
Ihr neuer Film „Lumen“ erzählt eine halbfiktionale Geschichte der
Migration, wobei es vor allem die Erfahrung ihrer Mutter ist, die den Film
prägt. Deren Erinnerung an die indische Landschaft mit ihrem einzigartigen
Grün vermischt sich mit Filmmaterial, das Brit:innen in der Kolonialzeit
in Indien einst von sich selbst drehten. Die Bilder Tennis spielender
englischer Damen und zum Appell versammelter Soldaten werden zu einer
Anklage gegen das Traumata kolonialer Gewalt und gegen die verschüttete
Geschichte des Völkermords nach der Teilung des Landes im
Ostpakistan-Konflikt.
Für ihre frühe Videoarbeit „Kali“ (1984) stülpte sie ihrer damaligen
Professorin an der Universität Leeds, Griselda Pollock, einen weißen
Kissenüberzug über den Kopf. Als Verkörperung des weißen Imperialismus
fesselte sie sie an einen Stuhl. Biswas selbst spielte die titelgebende
Rachegöttin Kali.
## 40 Jahre vor Black Lives Matter
Mit der Performance, so Pollock über ihre Studentin, zwang sie „uns alle
die eurozentrischen Grenzen des Diskurses anzuerkennen, in dem wir uns
bewegten“. 40 Jahre vor [1][Black Lives Matter] arbeitet die
Kunsthistorikerin an der Entkolonialisierung ihres Lehrplans.
Eine von Biswas’ bekanntesten Arbeiten aus ihrer Studienzeit in Leeds ist
„Hausfrauen mit Steakmessern“ (1983–85). Wieder soll die Göttin Kali das
Böse aus der westlichen Welt jagen. In der linken Hand hält sie den Kopf
des enthaupteten britischen Raj-Herrschers, und an einer Halskette hängen
die Köpfe Hitlers, Trotzkis und anderer als Trophäen.
Das berühmte Gemälde Artemisia Gentileschis von der Enthauptung des
Holofernes (1612/13), als fotokopierte Seite aus einem Buch Pollocks, ist
zusammen mit einer roten Rose, dem Symbol Englands, in der rechten Hand der
Göttin zu sehen. Mit diesen ersten Werken machte Biswas sich in den 1980er
Jahren einen Namen innerhalb des britischen Black Art Movement.
Bei ihrer ersten Rückkehr nach Indien erfuhr Biswas dann, dass ihre
Großmutter eine dort bekannte Verehrerin der Göttin Kali war. Biswas nahm
das als Beleg dafür, dass Fetzen ihrer Erinnerung zu zentralen Objekten
ihrer Kunst geworden waren und eine Verbindung zu einer ihr verlorenen Welt
darstellen, die nur noch in ihrem Unterbewusstsein existierte. Dazu gehört
auch ein immer wiederkehrendes Kleidungsstück in ihren Arbeiten, ein rotes
T-Shirt.
Erst 2017 zum 70. Jahrestag der Teilung Indiens wurde in den britischen
Medien deutlich über das bisher nicht ausreichend konfrontierte Trauma
gesprochen. „Lumen“ lässt dieses Trauma und die damit verbundenen
Erfahrungen in England nachfühlen. Der Film gibt der Hoffnung Ausdruck, wie
Sutapa Biswas dem Kurator des Baltic-Kunstzentrums erzählte, „… dass du
akzeptiert wirst mit all deinen Idiosynkrasien, als Mensch, der du bist“.
Lumen stelle deshalb das Licht der Hoffnung und aller Menschen dar.
28 Jan 2022
## LINKS
[1] /40-Jahre-nach-Brand-in-London/!5749509
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
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Bildende Kunst
zeitgenössische Kunst
Film
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Kolonialismus
Migration
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Indien
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Schwerpunkt Rassismus
Frauenrechtlerin
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