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# taz.de -- Ethiker zu Schweineherz-Transplantation: „Komplexer als ein Steak…
> In den USA wurde einem Mann ein Schweineherz eingesetzt. Ethiker Nikolaus
> Knoepffler über die Vorteile speziesübergreifender Transplantationen.
Bild: Ärzte in Baltimore während der Schweineherz-OP
taz: Herr Knoepffler, in Baltimore in den USA haben Mediziner einem Mann
ein [1][Schweineherz transplantiert.] Das Ärzteteam bezeichnet das als
einen „Meilenstein für die Medizin“. Ist es das?
Nikolaus Knoepffler: Natürlich. Ich sehe das als ähnlichen Durchbruch wie
[2][die erste Herztransplantation von Christiaan Neethling Barnard] in
Südafrika, bei der er 1967 erstmals einem Menschen das Herz eines anderen
Menschen einsetzte. Technisch gesehen ist die Transplantation des
Schweineherzens ein ungeheurer Schritt, weil sie zeigt, dass man über die
Speziesgrenzen hinweg Organe transplantieren kann.
Dass bislang noch unklar ist, wie lange der Patient mit dem Schweineherzen
überleben kann, spielt keine Rolle?
Der erste Patient von Barnard ist nach 18 Tagen gestorben. 20 Jahre später
waren Transplantationen dann zu einer gängigen Methode geworden, mit der
seitdem Menschen zu einem längeren Leben mit Lebensqualität verholfen wird.
Wir erleben hier den Anfang von etwas. Ich gehe davon aus, dass noch in
unserer Lebenszeit Xenotransplantationen – also Organverpflanzungen vom
Tier auf den Menschen – zum Standard bei Transplantationen werden könnten.
Das hätte viele Vorteile.
Zum einen würden wir die zähen Diskussionen über Organspenden überwinden.
Es gibt einfach nicht genug Spender: Jedes Jahr sterben in Deutschland mehr
als tausend Menschen, die man hätte retten können, wenn genügend Organe zur
Verfügung stünden. Auch medizinisch hätten die tierischen Organe Vorteile.
Das Herz des Schweins kann gentechnisch so verändert werden, dass es beim
Empfänger oder der Empfängerin keine starken Abstoßungsreaktionen auslöst,
die normalerweise auftreten.
Bei Transplantationen von menschlichen Organen werden diese Reaktionen
bislang verhindert, indem das Immunsystem der Empfänger deutlich
heruntergefahren wird. Es erkennt das fremde Organ nicht mehr als fremd.
Krebszellen werden aber oftmals auch nicht erkannt, folglich erkranken die
Empfänger von Organspenden häufig später an Tumoren. Mit gentechnisch
veränderten Organen von Tieren könnten wir dieses Problem lösen.
Ist es nicht zu früh, von einem Meilenstein zu sprechen, nur weil bei einer
bislang einzigen Operation der Patient nicht sofort gestorben ist?
[3][Es gibt ja schon Vorläufer, in denen etwa Schweineherzen in Paviane
transplantiert wurden], die damit einige Monate überleben konnten. Der
Meilenstein hier besteht aber darin, dass es keine sofortige
Abstoßungsreaktion gegeben hat. Wir müssen bedenken: Die Alternative für
diesen Patienten war es zu sterben. Er hätte kein menschliches Spenderherz
mehr erhalten. Wenn er in einer solchen Situation zustimmt, ein tierisches
Organ eingesetzt zu bekommen, ist es richtig, das zu versuchen, auch wenn
der Versuch scheitern sollte.
Weil das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass der Patient stirbt – und
das würde er ohne Transplantation auch?
Na ja, der schlimmste Fall wäre ein anderer. In dem Genom von Schweinen
gibt es schlafende Viren, die den Tieren keinen Schaden zufügen. Seit
Jahren besteht der Verdacht, dass diese Viren aber aufwachen und aktiv
werden könnten, wenn sie in einen menschlichen Organismus versetzt werden.
Daraus könnte sich am Ende eine neue Pandemie entwickeln. Das wäre dann der
schlimmste Fall.
Es scheint aber so zu sein, dass die Mediziner hier die größten
Schwierigkeiten überwunden haben. Mit der Gentechnikmethode Crispr/Cas
haben sie das Genom des Schweins so verändert, dass die Virenproblematik
gelöst zu sein scheint und das Herz im menschlichen Körper keine starken,
sofortigen Abstoßungsreaktionen hervorgerufen hat.
Das können wir jetzt schon sagen?
Natürlich können wir noch Überraschungen erleben, aber es sieht doch sehr
danach aus, dass das Erbgut des Schweins erfolgreich verändert wurde.
Das Genom des Tieres wurde [4][mit der Genschere Crispr/Cas] an insgesamt
zehn Stellen verändert. Zellen wurden umprogrammiert, damit sie bestimmte
Zucker nicht bilden, die das menschliche Immunsystem als fremd erkennt; das
Herz wurde am Wachstum gehindert, damit es nicht zu groß für den
menschlichen Körper wird; insgesamt wurden vier Gene abgeschaltet, sechs
menschliche Gene hinzugefügt. Dürfen Menschen andere Lebewesen nach ihren
eigenen Bedürfnissen genetisch verändern?
Das machen sie mit traditioneller Züchtung auch schon. Alle modernen Nutz-
und Haustiere sind Ergebnis von Züchtung und wurden nach menschlichen
Bedürfnissen verändert. Wir müssen hier verschiedene Güter abwägen,
speziell den Schutz von Tieren gegen die Rettung von Menschenleben. Das
Ziel, Menschenleben zu retten, ist so hochwertig, dass es rechtfertigt,
Tiere zu gebrauchen. Eine ethische Bewertung ist immer dann nötig, wenn ein
Konflikt auftaucht.
Wenn Sie etwa ein Verbrechen beurteilen, brauchen Sie in der Regel keinen
Ethiker, da ist die Sache klar. Aber in der Frage von Xenotransplantationen
ist das nicht so: Sie müssen erstens Güter abwägen – Tierschutz gegen die
Rettung von Menschenleben. Und zweitens vergleichen: Wozu nutzen wir Tiere
sonst noch? Solange eine Gesellschaft entscheidet, dass es erlaubt und
vertretbar ist, Tiere zu essen und tierische Produkte wie Leder oder
Knochen zu nutzen, ist es auch vertretbar, ihre Organe zu verwenden.
Ob es ethisch vertretbar ist, Tiere zu essen oder zu töten, um ihr Fell zu
verarbeiten, darüber wird aber intensiv gestritten …
Ich halte es eher für ethisch vertretbar, ein Tier für eine Organentnahme
zu töten als dafür, einen Gürtel aus ihm herzustellen oder es aufzuessen.
Für Fleisch als Nahrungsmittel gibt es schließlich Alternativen. Diese Wahl
hat ein todkranker Mensch nicht. Ich sehe aber auch gar nicht, dass die
Gesellschaft es grundsätzlich in Frage stellt, Tiere zu essen oder zu
nutzen.
Es gibt natürlich eine Diskussion über Massentierhaltung, das müssen Sie
aber voneinander trennen. Die meisten Formen der Massentierhaltung sind
ethisch sehr problematisch, weil darin Tiere leiden, übermäßiger
Fleischkonsum Menschen schadet und zu ökologischen Problemen wie dem
Klimawandel beiträgt. Wenn Schweine für Organentnahmen gezüchtet und dabei
so gehalten werden, dass sie nicht leiden, ist das ethisch zu
rechtfertigen.
Dürfen wir Tiere mit steigenden Möglichkeiten durch wissenschaftlichen
Fortschritt unbegrenzt nutzen?
Die Grenze setzt uns zum einen die Leidensfähigkeit und das Lebensinteresse
der Tiere. Das spricht zum Beispiel dagegen, sie in zu engen Ställen ohne
Bewegungs- und damit Entfaltungsmöglichkeiten einzusperren. Das ist ein
wesentliches ethisches Argument gegen die meisten Formen einer
Massentierhaltung.
Das können wir im Fall der Zucht für Organentnahmen aber sogar umgehen. Wir
können die Schweine gentechnisch so verändern, dass wir ihr
Schmerzempfinden und ihre Intelligenz senken. Diese Wesen hätten dann noch
das Genom eines Schweins; wir könnten aber darüber streiten, ob es sich
noch um Schweine handelt.
Puh. Das klingt erst mal fürchterlich, quasi empfindungslose Zwischenwesen,
ein Schwein mit Menschengenen …
… wieso klingt das fürchterlich? Unser Genom gleicht denen vieler
Lebewesen. Die Ähnlichkeit erstreckt sich nicht auf Primaten oder höhere
Säugetiere wie Schweine. Auch das Genom von Mensch und Fadenwurm
unterscheidet sich deutlich geringer, als wir das lange dachten. Wir
sollten konkret darauf achten, Leiden bei Tieren zu lindern.
Warum konzentriert sich die Wissenschaft nicht lieber gleich darauf,
künstliche Organe zu züchten? Fleisch aus der Petrischale gibt es doch auch
schon.
Organe sind deutlich komplexer als ein Steak. Es ist derzeit nicht
absehbar, dass Herzen oder gar ungleich kompliziertere Organe wie Nieren
oder Lebern künstlich erzeugt werden könnten. Darum ist es derzeit klar:
Wir werden absehbar einen bestehenden Organismus benötigen, damit
transplantierbare Organe wachsen können.
25 Jan 2022
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