| # taz.de -- Nachruf auf Elza Soares: Samba mit Soul | |
| > Die Sängerin vom Planeten Hunger: Elza Soares kam aus der Favela und | |
| > wurde mit jazzigem Samba ein Star. Nun ist sie mit 91 Jahren gestorben. | |
| Bild: Ja, sie liebte es zu singen: Elza Soares während eines Auftritts 2016 in… | |
| Samba? Fußball? Brasilien! Auch das Leben von Elza Soares könnte man als | |
| Bestätigung des alten Klischees lesen. Es ging aber auch noch um ein paar | |
| andere Dinge. Beispielsweise die Umkehr der klassischen | |
| Karrierechronologie: jung und heiß in die Kunst eintauchen, Erfolge | |
| genießen, privates Glück und Krisen, Afterlife. | |
| Elza, geboren 1930, wuchs in bitterer Armut mit neun Geschwistern in der | |
| Favela Moça Bonita in Rio de Janeiro auf. Sie empfand ihre Kindheit im | |
| Nachhinein als schön, auch wenn sie schon früh mit dazu verdienen musste, | |
| etwa indem sie ihrer Mutter bei Putzjobs half. Die schöne Zeit war jedoch | |
| spätestens vorbei, als sie 12-jährig verheiratet wurde und mit 13 ihr | |
| erstes Kind gebar. | |
| Als sie mit 21 Witwe wurde, hatte sie fünf weitere Kinder geboren und | |
| immerhin einen Gesangswettbewerb gewonnen, den sie aus der Not heraus | |
| mitgemacht hatte, die ärztliche Behandlung eines ihrer Kinder bezahlen zu | |
| müssen. | |
| Ja, sie liebte es zu singen. Aber einen Beruf daraus machen? Als | |
| alleinerziehende Mutter von fünf Kindern? 1953 nahm sie an einem | |
| Radio-Talentwettberwerb teil, den der berühmte Komponist Ary Barroso | |
| moderierte. Er begrüßte die wunderliche Erscheinung mit dem Satz: „Und von | |
| welchem Planeten kommst du, meine Tochter?“ – „Vom selben Planeten wie Si… | |
| Seu Ary“, antwortete sie. „Vom Planeten Hunger.“ An diesen historischen | |
| Dialog erinnert ihr letztes Album, das im Herbst 2019 erschienene „Planeta | |
| Fome“. | |
| Nachdem sie mit ihrer Darbietung des Sambas „Lama“ die volle Punktzahl | |
| erreicht hatte, gab ihr Ary Barroso immerhin regelmäßig Gesangsjobs in | |
| Radioshows. Schließlich erhielt sie einen Plattenvertrag und konnte 1960, | |
| 30-jährig, ihr erstes Album veröffentlichen: „Se acaso você chegasse“. | |
| ## Rauchig-kräftige Stimme | |
| Der Untertitel war: „A bossa negra“ – „die schwarze Bossa“, was wenig… | |
| eine korrekte musikalische Einordnung war als eine Marketingentscheidung: | |
| [1][Bossa Nova] hatte 1960 noch nicht die Welt erobert, hatte aber immerhin | |
| Brasilien bereits im Sturm genommen. Elza Soares konnte mit der in diesem | |
| Genre zum Ausdruck gebrachten sanften Melancholie der weißen Mittelklasse | |
| wenig anfangen und hatte für ihr Debüt ein Repertoire älterer und neuerer | |
| Sambas eingesungen, die jedoch von dem Arrangeur Oswaldo Borba mit üppigen | |
| Bläsersätzen in Richtung Big-Band-Jazz gedreht wurden, was sowohl Elzas | |
| Temperament und ihrer rauchig-kräftigen Stimme entgegenkam wie der | |
| Jazz-Neigung der Bossa-Community. „A bossa negra“ war dann gleich auch noch | |
| der Titel ihres zweiten Albums. Sie war in der Spur. Doch dann wurde sie | |
| Spielerfrau. | |
| 1962 vertrat sie ihr Land im Kulturprogramm der Fußball-WM in Chile und | |
| [2][lernte dort Garrincha kennen,] der von vielen Experten auch heute noch | |
| als größtes brasilianisches Fußballgenie aller Zeiten eingestuft wird. Bei | |
| der WM 58 spielte der Rechtsaußen schon eine maßgebliche Rolle beim | |
| Erringen der Trophäe für sein Land, 62 war er noch wichtiger, weil sich | |
| sein kaum weniger talentierter Mitspieler Pelé frühzeitig verletzte. | |
| Hinter der brillanten Sportlerfassade wohnte jedoch auch ein Drang zur | |
| Genussgift-gepowerten Selbstzerstörung. Garrincha und Elza wurden ein Paar, | |
| als er noch verheiratet war, was ihr nicht nur die ewige Feindschaft seiner | |
| engsten Freunde und Familienmitglieder bescherte. Auch die Öffentlichkeit | |
| wurde aufgehetzt und es gab Zeiten, da sie kaum auf die Straße gehen | |
| konnte, ohne von wütenden Passanten beschimpft und bedroht zu werden. | |
| ## Gewalt, Versöhnung | |
| Dennoch heirateten die beiden 1966 und führten nun eine Ehe voller Gewalt, | |
| Streite und Versöhnungen. 1969 verursachte er alkoholisiert einen | |
| Autounfall, bei dem er und Elza selbst schwer verletzt wurden und ihre | |
| Mutter ums Leben kam. Die Ehe wurde 1977 geschieden, Garrincha starb 1983. | |
| Auf der künstlerischen Seite entwickelten sich die Dinge für Elza während | |
| dieser Jahre jedoch positiv. Sie wurde einerseits politischer, trat gegen | |
| Rassismus und für Frauenrechte auf, erweiterte andererseits ihre | |
| Samba-Jazz-Vision um Funk- und Soul-Elemente und entwickelte so auf Alben | |
| wie „Elza pede passagem“ (1972) eine der spannendsten | |
| Black-Atlantic-Varianten für die südliche Halbkugel. | |
| In den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ließ sie es ruhiger | |
| angehen. Mit Ende 60 packte sie jedoch noch mal der Gestaltungswille und | |
| sie krempelte ihre Musik komplett um. Mit dem Komponisten José Miguel | |
| Wisnik und dem Produzenten Alê Siqueira baute sie das Album „Do Cóccix até | |
| o Pescoço“ (2002) zusammen, das mit Gastauftritten von MPB-Prominenz wie | |
| Chico Buarque, Caetano Veloso oder Carlinhos Brown verziert war und ihr | |
| eine Latin-Grammy-Nominierung einbrachte. Es gab die Richtung für ihre | |
| letzten, sehr aktiven Jahre vor. | |
| Höhepunkt war 2015 das Album „A mulher do fim do mundo“, das sie von | |
| Musikern aus dem Dunstkreis der Post-Indie-Rock-Band Metá Metá aus São | |
| Paulo einspielen ließ und mit dem sie endgültig den Respekt und die | |
| Bewunderung von Rock- und Pop-Gourmets und -Kritikern weltweit ersang. Elza | |
| Soares starb am 20. Januar 91-jährig in Rio de Janeiro. | |
| 25 Jan 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Detlef Diederichsen | |
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