# taz.de -- Porträt von US-Popstar Cuco: Sehnsucht nach Leichtigkeit | |
> Die Songtexte reichen von Düsterkeit bis Hoffnung. Der Pop ist mal | |
> verspielt, mal sentimental: das Album „Fantasy Gateway“ des | |
> US-Multitalents Cuco. | |
Bild: Will mehr sein als nur ein „artist of color“: Musiker Cuco | |
Es war das womöglich seltsamste und bemerkenswerteste Konzert beim | |
Hamburger Reeperbahn-Festival 2018: Was man hörte und was man sah, passte | |
nicht so recht zusammen. | |
Man hörte: sehr slicken, mitunter fast sentimentalen, aber | |
wohlkomponierten, aufwendig arrangierten und souverän gespielten Soul-Pop, | |
größtenteils downtempo und mit einer gewissen Zeitlosigkeit, sodass man mit | |
geschlossenen Augen für einen Moment je nach Song denken konnte, in einem | |
Konzert von Earth, Wind & Fire, Leon Ware oder gar Tim Maia irgendwann in | |
den 1970er Jahren gelandet zu sein. | |
Man sah: eine [1][respekteinflößende Bande] aus finster wirkenden Latinxs, | |
die auch in einem Film über Gangs in Los Angeles eine überzeugende Figur | |
abgegeben hätten, hier sich aber als exzellent eingespielte große Band | |
inklusive Bläsersektion ebenfalls sehr gut schlugen, und davor einen etwas | |
verloren wirkenden Knaben mit Hornbrille und schlaffer Körperhaltung, der | |
sich auch nicht die geringste Mühe gab, handelsübliche Frontmann-Routinen | |
darzubieten, sondern einfach seine Songs sang und gut. | |
Das war Cuco. Vor sechs Jahren. | |
## Zündung der zweiten Karrierestufe | |
Damals hatte sich das 1998 als Omar Banos geborene Multitalent gerade von | |
einem schweren Tourbus-Unfall erholt und sein Debütalbum eingespielt, für | |
das ihm der Musikkonzern Universal einen siebenstelligen | |
US-Dollar-Vorschuss gezahlt und absolute künstlerische Freiheit zugesichert | |
hatte. Das war sozusagen die Zündung der zweiten Karrierestufe. | |
Die erste hatte er in seinem Kinderzimmer im südkalifornischen Städtchen | |
Hawthorne (wo sechs Jahrzehnte zuvor die Wilson-Brüder zu [2][Beach Boys] | |
gereift waren) auf den Weg gebracht, in dem er zunächst Piano, Gitarre, | |
Bass, Schlagzeug, Trompete, Waldhorn und Posaune erlernte und dann mit | |
kleinstem Equipment erste Eigenproduktionen online stellte. | |
Dabei landete er mit dem Song „Lo que siento“ 2017 einen Volltreffer: Der | |
ohne Label selbst veröffentlichte Song wurde mittlerweile fast 240 | |
Millionen mal gestreamt. Mit diesem Rückenwind konnte er dem | |
Bieterwettstreit der großen Plattenfirmen gelassen zusehen. | |
## Klassische Schlafzimmerproduktion | |
Das 2019 veröffentlichte Album „Para mi“ klang anders als der | |
Reeperbahn-Auftritt. Es war eine klassische Schlafzimmerproduktion, | |
vollsynthetisch, traumverloren, psychedelisch. Wurden irgendwelche | |
Instrumente tatsächlich gespielt, so klangen sie anschließend nach etlichen | |
Klangmanipulationsgängen auch nicht anders als ihre programmierten | |
Kollegen. | |
Was jedoch blieb, war Cucos Händchen für sehnsüchtige Balladen an der | |
Grenze zur Sentimentalität (und manchmal auch dahinter). Es führte dazu, | |
dass Cuco nun in die „Dreampop“- und „Chillwave“-Kategorie einsortiert | |
wurde, was er selbst vehement ablehnt, obwohl er zugibt, von Bands wie | |
[3][Tame Impala] und Toro Y Moi maßgeblich beeinflusst zu sein. | |
Sein neues Album „Fantasy Gateway“ adressiert den Eskapismus nun offensiv: | |
„We will go where no one has gone / where the dreamworld and purgatory | |
cross“, verkündet eine Geisterstimme im Opener „Heaven Is Lucid Dreaming�… | |
Diese Traumwelt wird bestimmt von [4][einer Sehnsucht] nach einem | |
„Universum, das sich etwas leichter anfühlt und etwas wehmütig“, wie er d… | |
US-Internetmusikagazin Pitchfork erzählte. | |
## Erinnerungen an die Zukunft | |
Er beschwört Melancholie und eine Nostalgie „nach etwas, woran man sich | |
erinnert, was aber erst in der Zukunft passiert“. Zugleich setzt er sich | |
dort mit den Depressionen und Angstzuständen auseinander, die ihn | |
regelmäßig heimsuchen, und mit jener dunklen, nun jedoch überstandenen | |
Phase seines Lebens, in der er beflügelt vom ersten Erfolg diversen | |
Genussgiften so sehr zusprach, dass er die Kontrolle zu verlieren drohte. | |
Ein feines Hin- und Herschwanken zwischen Düsterkeit und Hoffnung | |
charakterisiert die Texte, während sich die Musik zwischen | |
Erfindungsreichtum, hoher Sophistication und offener Sentimentalität | |
bewegt. | |
Der nerdige Junge aus Hawthorne ist mittlerweile Role Model und | |
„Heartthrob“ speziell für Chicanx-Teenager, wie man den unzähligen | |
Kommentaren auf seinen Social-Media-Accounts entnehmen kann. | |
Einerseits identifiziert sich Cuco mit dieser Welt und tritt unter anderem | |
bei der Veranstaltungsreihe „Solidarity for Sanctuary“ für die Rechte von | |
Migrant*innen ohne Papiere auf. Andererseits fürchtet er, von der | |
Musikindustrie in die Kategorie „Latin“ eingepasst zu werden, denn „dann | |
wird man nicht mehr für alle Kategorien von Festivals gebucht, sondern nur | |
noch in der Latin-Sparte; sie wollen, dass man dann nur noch Latin ist. Ich | |
habe kein Problem damit, bei solchen Veranstaltungen zu spielen, aber meine | |
Musik ist nicht nur für eine bestimmte Gruppe von Menschen gedacht, sondern | |
für alle.“ | |
So tastet sich Cuco vorsichtig vor in die Welt von Migrationspolitik und | |
Identitätsdiskussionen. Dabei gibt er sorgfältige Statements ab: „Es ist | |
cool, diese Industrie-Stereotype aufzubrechen, und ich hoffe, obwohl ich | |
kaum Ahnung von Politik habe, dass ich mehr tun kann, als nur ein ‚artist | |
of color‘ zu sein. Ein ‚artist of color‘ zu sein ist ja schon eine Form v… | |
Aktivismus, aber ich möchte noch besser werden und mehr tun.“ | |
6 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Detlef Diederichsen | |
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