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# taz.de -- Neues Album der Band Tame Impala: Überstunden für die Sinne
> Auf ihrem neuen Album präsentiert die australische Rockband Tame Impala
> barocke Psychedelik. Ein aufwendig ausgetüftelter Klang-Overkill.
Bild: Tame Impala aus Perth machen barocke Psychedelia.
Neulich schrieb jemand über Tame Impala die übliche
Einfluss-Akkumulations-Rezension, ziemlich präzise, von den Beatles der
„Revolver“-Zeit bis zu Spacemen 3 und Spiritualized, und ich möchte Todd
Rundgren in seiner Glam-Phase und, ja, Supertramp hinzufügen. Trotzdem
haben wir beide Unrecht.
Was vor allem der als Soundtüftler bereits ziemlich herumgereichte junge
Australier Kevin Parker für dieses zweite lange Produkt seiner Band
zusammengebraut hat, ist kein freundliches psychedelisches Album der
siebten Generation, sondern verhält sich zu seinen Traditionen wie ein
großer, schwarzer, mordlüsterner SUV zu Herbie, dem Hippie-Käfer.
Was hier passiert, ist definitiv ein Umschlag von Quantität in Qualität: so
viel blubbernde, pfeifende, säuselnde, zischende, zwitschernde Klangideen,
so viel breiteste Soundmauern und so viel in Op-Art-Linien vor dem
Trommelfell vibrierende Vokalharmonien kann man nicht einfach nur zum
Zwecke der Steigerung anhäufen. Irgendwann klappt es um und wird ein
anderes Genre. Stadion-Psychedelia? Stereolab als bis an die Zähne
bewaffnete Miliz?
Beginnen wir mit den Drogen! Was nimmt man, wenn man das hier hört, welches
Turbo-LSD? Ketamin? DMZ? Rohopium? Fußpilze? Nichts von alledem! Zum
psychotrop aktivierten Selbstträumen ist „Lonerism“ nicht gedacht. Die
vielen luxuriösen Psych-Soundspuren sind viel zu definiert und
determiniert. Hier wird die Seele schön bei der Hand genommen und mit
Klangtüftel-Overkill bepütschert, in fuzzy Wellness-Gewittern durchgewalkt
und von klebrig-köstlichen Keyboard Kaskaden geknetet. Nichts bleibt dem
Zufall überlassen.
Die Unklarheit der Bedeutungen von den erhabenen Flächen, piepsenden
Pfeifchen und schaumig brummenden Bässen kommt gar nicht erst an die
Oberfläche, weil immer gleich drei weitere Spuren hinzukommen und die
Aufmerksamkeit belegen. Jede neue Klangidee wird so zur Bedeutung ihrer
Vorgängerin, eines verweist auf das nächste im Ringtausch. Im Hintergrund
kann man auch erkennen, dass jemand daran gedacht hat, Songs zu schreiben –
aber das ist nicht entscheidend.
## Bekannte Sounds ganz unbemerkt
Ein merkwürdiges Phänomen ist auch die Bekanntheit der Sounds, und wie die
nicht zu einem durchdringt. Man muss sich zwingen, das eigentlich
Offenkundige wahrzunehmen, dass dies hier ein Terry-Riley-Keyboard (Anno
71) ist und dieses komisch aufdringliche Shuffle-Riff dort allen Ernstes
zuletzt bei The Sweet gehört wurde und dieser Bass hier Doom-Metal an
Drastik übertrifft und das dort, sage und schreibe, die Psychedelic Furs
sind – oder die Comsat Angels? Man denkt das nicht, es erscheint einem
unwichtig, obwohl all diese Erinnerungen stramm durch den Mind Garden
marschieren.
Die hier etablierte ästhetische Kommandoebene, von der aus das alles
organisiert und kontrolliert wird, ist so makellos stimmig, dass andere
Existenzweisen dieser Klänge oder andere Heimaten, in denen sie etwas
bedeutet haben, niemals die Oberhand bekommen. Sie liegen Kevin Parker und
seinen Leuten dermaßen sicher in der Hand, dass niemand auf die Idee kommen
wird, sie hätten einen Vorbesitzer gehabt und irgendjemand mache sich die
Mühe, auf diesen zu verweisen. Die Postmoderne ist schon lange vorbei.
Der Song-Titel „Apocalypse Dreams“ trifft es ganz gut, vorausgesetzt, dass
man „Apokalypse“ hier nur als Steigerung von Traum begreift, ohne
Eigenbedeutung: forcierte Träume, nicht von einem selbst geträumt,
fremdgeführtes, dichtes Assoziationsmaterial – sich selbst als Medium
erleben ohne eingreifen zu können. Andere Titel verfehlen den Charakter des
Albums auf geradezu symptomatisch verräterische Weise: „Music To Walk Home
By“ ist das zum Beispiel gerade nicht, sondern vielmehr eine Musik, in die
man eintreten muss und sich anschnallen, ein sehr schöner Song, by the way.
„Feels Like We Only Go Backwards“ könnte der verstimmte Kulturkritiker dem
achtundreißigsten Psychedelic-Revival vorhersehbarerweise
entgegenschleudern, wär’ aber im Unrecht. Ist ja gerade was ganz Neues,
dass man so mit dem Alten umgeht – allenfalls die Vollbedienung, das
Rundumversorgte, das Passivierende hat was von Rückwärtsgehen, von ermattet
irgendwo Einsinken, von Sofa-Werden. Die elaborierteste Beschreibung des
absoluten Gegenteils dieses Albums aber ist der Titel des vorletzten
Tracks: „Nothing That Has Happened So Far Has Been Anything We Could
Control“.
## Maximaler Grad an Kontrolle
Im Gegenteil, nichts, was bisher geschah, klingt nicht nach maximaler
Kontrolliertheit eines eigentlich unkontrollierbaren Zustands, nach
Zwangsreverie. Allenfalls könnte man sagen, gemessen an dem hier
vorgeführten Grad von Kontrolle im zeitgenössischen Pop, gegen den selbst
Air und die Decemberists einem vorkommen wie freie Improvisation um 1967,
hat die Menschheit bisher nicht gewusst, was Kontrolle ist. Die
entscheidende Frage ist natürlich, ob das nun geil oder gemeingefährlich
ist. Ich kann mich nicht ganz entscheiden.
Zum einen landet der Hörer nur Millimeter neben einer totalen
Übersättigungsdepression und auch nicht weit vom musikalischen Pendant zu
„Infinite Jest“, wobei ich hier auch offen lassen will, ob „Infinite Jest…
als literarische Leistung oder als lebensbedrohlicher Seelenzustand. Auch
„Leni Riefenstahl“ denkt man manchmal anlässlich der eisernen Pranke, mit
der dieser Einfallsreichtum einem keine Wahl lässt, oder: „Euro-Disney“.
Zum anderen wäre man wohl selber schon tot, wenn man über so einen reich
gedeckten Tisch nicht erst einmal herfallen würde. Schwelgen und Baden in
sämigen Rahmbonbonfäden ungewisser Herkunft, aber vermutlich von Monsanto
genmanipuliert. Gut gemästet wegsacken, den Mund voller Pralinen.
Dass die Sinne Überstunden machen, war für eine ältere neopsychedelische
Gruppe, XTC, noch eine Verheißung. Hier passiert’s und es wäre eine
langweilige Reaktion, wie Kinderfernsehmacher nach mehr Raum für die
Rezeption und das mitdenkende mündige Hirn zu rufen. Wahrscheinlich muss
man sich diesem Barock erst einmal einfach hingeben. Am Morgen danach kann
man sich dann immer noch verkatert beschweren, dass das alles keine
Erfahrung war, sondern sinnlicher Imperialismus. Oder zu süß.
8 Oct 2012
## AUTOREN
Diedrich Diederichsen
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