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# taz.de -- Los Lobos über Musik aus Los Angeles: „Das Chaos war fantastisch…
> Die Band Los Lobos glaubt an den Reichtum eines kulturellen
> Schmelztiegels wie Los Angeles. Ein Gespräch zur Frage, wann die gute
> Musik explodiert.
Bild: Die Herren von Los Lobos. L.A. Steve Berlin ist der Mann in der Mitte
Kaum eine Band bringt den kulturellen Mahlstrom Los Angeles besser zum
Klingen als Los Lobos. Im nunmehr fünften Jahrzehnt fusioniert die Gruppe
Rock ’n’ Roll, R&B, Blues, Folk und Tex-Mex zu einem urkalifornischen
Sound, der mühelos Stilgrenzen passiert. Ihr jüngstes Album „Native Sons“
enthält zwölf Coverversionen und kann als Liebeserklärung an die Bands und
Musiker von Los Angeles gelesen werden, ihre Lebendigkeit, ihre
Experimentierfreude und die Vielfalt ihrer Stile. Steve Berlin ist der
Saxofonist der Band.
taz: Wie kocht man den Ozean an Songs über Los Angeles auf ein Dutzend ein?
Steve Berlin: Die Herausforderung war, Musik zu finden, die prägend für
unsere musikalische Entwicklung sind und wichtig für die Geschichte der
Stadt. Songs, die zu uns sprechen. „Never No More“ von Percy Mayfield etwa.
Wie ihn gab es viele vergessene Künstler, die Rhythm & Blues einen
L.A.-Touch gegeben haben. [1][Nehmen wir die Midniters,] eine
Chicano-Garagen-Band aus East-L.A., die in den 1960ern super wichtig war
für Los Lobos und die wir heute noch mögen.
Gab es eine Longlist?
Das fiel uns leicht. Nach einer Weile hatten wir an die 100 Songs. Dann
haben wir sortiert. Midniters, Blasters und Lalo Guerrero waren eh gesetzt
für uns. Schließlich hat jeder ein, zwei Favoriten gewählt. Conrad bestand
auf „Sail On Sailor“ von den Beach Boys. Louie wollte unbedingt eine
Jackson-Browne-Nummer. Ich habe den Percy-Mayfield-Song ausgesucht.
Mit Buffalo Springfields „For What It ’s Worth“ und „The World Is A Ghe…
von War finden sich zwei Songs mit klaren antirassistischen Aussagen. Wie
stark zählte das im Auswahlverfahren?
Wir haben „Native Sons“ mitten im US-Wahlkampf 2020 aufgenommen. Als
Trump-Verächter war das Thema bei uns immer präsent. Wir wussten im Studio
ja nicht, unter welcher Regierung das Album nach der Wahl veröffentlicht
werden würde, aber wir wollten ein Zeichen setzen, das definitiv Bestand
hat.
Die Musik wirkt wie ein Soundtrack zur 2015 erschienenen Bandbiografie
„Dream In Blue“. Sie startet mit einer Fahrt durch East L.A., vorbei an
alten Clubs, vergessenen Studios und geschlossenen Plattenläden. Sind Sie
hoffnungslos nostalgisch?
Wir sind in etwa gleich alt und in den 1960ern mit der Musik aus dem Radio
aufgewachsen. Da lief Soul, Folk, Garage, und für uns als junge Teenager,
die wir anfingen, Instrumente zu spielen, war die Mischung toll. Es mag
nostalgisch sein, so what. Mehr zählt doch die Magie dieser Songs. Das Ziel
war nicht, die Uhr zurückzudrehen. Wir schauen als Band nach vorne, aber
wir vergessen auch nicht, woher wir kommen.
Ärgert Sie der Vorwurf, dass nur Bands ohne eigene Ideen Cover-Alben
veröffentlichen?
Ach, in meinem Alter ärgert man sich nicht mehr über viel. Als wir im
Herbst 2019 den neuen Plattenvertrag unterschrieben, sah 2020 noch rosig
aus. Wir wollten viel touren. Dazwischen waren jeweils einige Wochen Pause.
Zu wenig Ruhe, um währenddessen eigene Songs zu komponieren und
aufzunehmen. Ein, zwei Coverversionen lassen sich dennoch erarbeiten, also
planten wir so. Nun haben die meisten Konzerte gar nicht stattgefunden,
aber unser Etappen-Ansatz passte gut zu den Bedingungen der Pandemie mit
Lockdowns und diversen Kontaktbeschränkungen.
„Native Sons“ ist eine Hommage an East L.A. Sie selbst wohnen nicht mehr in
Los Angeles. Was bedeutet die Stadt für Sie?
Ich bin an der Ostküste aufgewachsen, in Philadelphia, aber die Jungs
wohnen heute noch in Ost-Los Angeles, ganz in der Nähe, wo sie groß
geworden sind. Bevor es ein Chicano-Viertel war, war East L.A. eine
jüdische Gegend, aber in den Sixties zogen fast ausschließlich Latinos
dahin – und dann explodierte es vor guter Musik. Es gab R&B-Combos,
Psychedelic-Bands, Soul-KünstlerInnen. Wenn man mit den Band-Mitgliedern
durch East L.A. fährt, haben sie zu jeder Ecke Geschichten parat.
Wären Los Lobos in einer kleineren Stadt wie Portland möglich gewesen?
Das glaube ich nicht. Der kulturelle Reichtum von Los Angeles, die Vielfalt
der Einflüsse, die schiere Masse unterschiedlicher Musik ist einmalig.
Naheliegend, dass uns das geformt hat, aber etwas anderes war noch
wichtiger.
Nämlich?
[2][L.A.s Punkszene,] Anfang der 1980er. Es gab damals keinen anderen Ort
auf der Welt, der so lebendig war. Es gab so viel aufregende Musik zu
entdecken, es war so viel Energie in der Stadt, dass sich niemand für die
Welt außerhalb interessierte. Bands wie Black Flag, X und die Blasters
hatten einen großen Einfluss auf uns.
Dabei waren Los Lobos damals so wenig eine Punkband wie heute.
Es ging nicht um Punk als orthodoxen Musikstil. Es gab Bands wie Gun Club,
die eher vom Blues kamen, Rockabilly-Combos wie die Blasters, in denen ich
damals spielte, durchgedrehte Elektronik-Frickler, und alle verstanden sich
als Teil derselben Szene. Wichtiger waren Experimente. Leute probierten
Gitarreneffekte und Identitäten aus, neue Namen, neue Haarschnitte und
dergleichen. Das ging ein paar Jahre, bis sich dieses fantastische Chaos
lichtete. [3][Dann wurde es langweiliger.]
Sie kamen als Saxofonist nach L.A., aber mit großem Interesse an Punk und
New Wave. Wie oft haben Sie überlegt, das Instrument zu wechseln?
Nie. Ich war einer der wenigen Saxofonisten der Szene, und gleichzeitig gab
es in vielen Bands große Bereitschaft, gegen musikalische Konventionen zu
verstoßen. So kam ich zu den Flesheaters, einer der intensivsten
L.A.-Bands, und später zu den GoGos, alles Musikerinnen. Ich war der Typ
mit dem Sax in der Szene und konnte mit allen möglichen Künstlern spielen.
Für mich grandios.
Als Sie 1984 einstiegen, existierte Los Lobos schon zehn Jahre als
Lokalband. Dann landete Sie mit dem Cover von „La Bamba“ einen
Nummer-1-Hit. Was macht das mit einem?
Der Hit kam aus heiterem Himmel. Wir arbeiteten an einem obskuren Film über
Ritchie Valens mit. Es drohte ein Flop mit Ansage. Regisseur Luis Valdez
hatte noch keinen Film fertiggestellt, die Darsteller waren jenseits von
L.A. völlig unbekannt. Das Drehbuch änderte sich ständig, es gab
Besetzungswechsel, Chaos bei den Dreharbeiten. Erst ganz am Ende wurde im
Schnitt aus dem Durcheinander etwas Gutes.
War es schwer, sich nach dem Hit Offenheit zu bewahren?
Unser Erfolg baute auf dem Erfolg des Films auf. „La Bamba“ ist ein
perfekter Sommersong, aber nur durch den Film bekam er Momentum. Als der
Hype vorbei war, spielten wir wieder in den kleinen Läden wie zuvor.
Und dann?
„La Pistola“, das nachfolgende Album, war ein bewusster Stilbruch. Damit
machten wir klar, wir sind nicht die „La Bamba“-Partyband.
Zuletzt traten Sie mehr auf der Bühne in Erscheinung. Hat die Pandemie Sie
hart getroffen?
Das Virus hat alle Bands getroffen, und alle mussten überlegen, ob sie sich
einen anderen Job suchen müssen. Wir spielen momentan die erste Tour. Aber
keiner weiß, wie es weitergeht.
Sie nutzten die Lockdown-Zeit, um Saxofon-Stunden zu nehmen. Sonderbare
Idee nach 40 Jahren Künstlerkarriere als Saxofonist in Bands.
Die Pandemie hat mich zum Innehalten gebracht. Aus einem Saxofon bekomme
ich zwar Töne, aber dahinter stecken Techniken, die zu lernen ich mir nie
die Mühe gemacht hatte. Der Unterricht hat definitiv geholfen. Zumindest
verstehe ich jetzt, wie mein Instrument funktioniert.
28 Aug 2021
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## AUTOREN
Gregor Kessler
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