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# taz.de -- Nordmazedonien und Bulgarien: Erpressung vor EU-Beitritt
> Das Aufnahmeverfahren für EU-Mitgliedsanwärter verlangt Einstimmigkeit.
> Einzelne Staaten können ihre Zustimmung an willkürliche Bedingungen
> knüpfen.
Bild: Der bulgarische Premier Kiril Petkow und der nordmazedonische Premier Bor…
Ausgerechnet an einem kleinen und vielen in Westeuropa weitgehend
unbekanntem Land zeigt sich, was in der Europäischen Union ganz
grundsätzlich schiefläuft. Nordmazedonien mit seinen rund 1,8 Millionen
Einwohner:innen, eingekeilt zwischen Albanien, Kosovo, Griechenland und
Bulgarien, möchte Teil der EU werden. Die ersten Schritte in diese Richtung
hatte das Land schon 2004 getan – nach Slowenien und noch vor Kroatien.
Beide Länder sind längst Mitglieder der EU, während Nordmazedonien von
einer Hürde zur nächsten stolpert. Die jüngste: das Veto Bulgariens, das
nun seit 2020 den Start der Beitrittsgespräche blockiert. In dieser Causa
haben sich der erst seit Montag amtierende Ministerpräsident
Nordmazedoniens, [1][Dimitar Kovačevski], und sein bulgarischer Kollege,
Kirill Petkow, am Dienstag [2][in Skopje zu Gesprächen] getroffen.
Petkow ist selbst erst seit wenigen Wochen im Amt und hatte angekündigt,
die Beziehungen zu Nordmazedonien neu aufzurollen. Zur Enttäuschung Skopjes
beharrt aber auch er auf vielen der bisherigen Forderungen Bulgariens.
Demnach soll Nordmazedonien unter anderem einräumen, dass seine Sprache und
Kultur bulgarische Wurzeln haben und der bulgarischen Minderheit im Land
einen offiziellen Status verleihen – zwei Themen, die jedoch nichts mit
EU-Gesetzen zu tun haben.
Ansonsten würde es bei dem Veto bleiben. Für viele in Nordmazedonien
gleicht das einer Verneinung der eigenen „Identität“ und ist daher ein
rotes Tuch. Mit solchen Erpressungen kennt sich Nordmazedonien bereits
bestens aus. Griechenland hatte über Jahre dem Land den ersehnten
EU-Beitritt aufgrund eines Namensstreits versperrt.
## Schon einmal klein beigegeben
Kovačevskis Vorgänger, Zoran Zaev, der sich ganz dem angestrebten Beitritt
verschrieben hatte, ging sogar so weit, 2018 [3][den Namen „Mazedonien“ zu
ändern], um das Nachbarland mit der gleichnamigen Provinz
zufriedenzustellen. Der Schritt war umstritten, doch die Hoffnung auf
Europa wog schwerer. Dann aber stoppte Frankreich den Prozess – auch für
Albanien, das nur im Zweierpack mit Nordmazedonien seinen Weg in die Union
finden sollte.
[4][Emmanuel Macrons Plädoyer] lautete: Die EU muss den gesamten Prozess
reformieren, erst dann könne es Richtung Osten weitergehen. Im März 2020
sollte es dann endlich losgehen für die beiden Balkanländer – als sich
überraschend Bulgarien mit einem polternden „Ne!“ zu Wort meldete. Seitdem
ist Nordmazedonien wiederholt dem politischen Willen eines einzelnen
EU-Staates ausgeliefert. Dabei sollte die Erweiterung der Union eigentlich
neutral ablaufen.
Dass aber alle 27 Mitgliedstaaten den Schritten der Beitrittsprozesse
zustimmen müssen, birgt die Gefahr, dass sie diese Macht politisch für sich
nutzen – wie es in diesem Fall Bulgarien tut. Denn die Blockade gegen
Nordmazedonien sollte dem damaligen bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko
Borissow vor allem innenpolitisch nutzen. Mit dem Schritt wollte er seinem
nationalistischen Koalitionspartner schmeicheln.
Die politische Komponente der Beitrittsverhandlungen wird deutlich, wenn
man sich die Liste der Länder anschaut, die sich bereits mitten im
Prozedere befinden: Die Türkei, Serbien und Montenegro sind allesamt
Staaten mit massiven Defiziten in den Bereichen Menschenrechte,
Pressefreiheit und Korruption. [5][Nordmazedonien und Albanien] hingegen
haben viele Reformen unternommen, um der EU näher zu kommen, von der
Umbenennung des eigenen Landes bis zu juristischen Reformen.
## Weitreichende Reformen eingeleitet
Natürlich bleibt auch hier viel zu tun. Der Vergleich mit Serbien,
Montenegro und der Türkei lässt trotzdem Zweifel an der Gerechtigkeit des
Prozesses aufkommen. Nicht zuletzt schaffen die recht vagen Forderungen
Bulgariens einen gefährlichen Präzedenzfall überall dort, wo
Geschichtsschreibung und Identität zur Disposition stehen. Das ist
insbesondere auf dem Balkan der Fall, wo Streit über gemeinsame Geschichte
und Sprache an allen Ecken gärt.
Dass etwa Serbien jemals einem EU-Beitritt Kosovos oder Bosnien und
Herzegowinas zustimmen würde – beides potenzielle Kandidaten –, scheint vor
diesem Hintergrund unmöglich. Hier muss sich die EU dringend etwas
einfallen lassen, um solchen Mechanismen vorzugreifen. Die Leidtragenden
dieser Mauscheleien sind vor allem die jungen Menschen in Nordmazedonien.
Sie galten lange als besonders Europa-begeistert. Doch fragt man sie heute
nach der EU, zucken die meisten desinteressiert die Achseln.
Andere werden sogar wütend und werfen ihrer Regierung vor, das eigene Land
zu verscherbeln, für einen Beitritt, der den Menschen hier ohnehin nicht
nützen würde. Die junge Generation sucht deshalb eigene Wege in Richtung
Westeuropa, weg von der Perspektivlosigkeit im eigenen Land. Ganze Dörfer
und Universitäten in Nordmazedonien sind mittlerweile verwaist. Dass die EU
zu ihnen kommt, darauf können und wollen sie nicht warten.
Denn dass Bulgarien und Nordmazedonien ihren Konflikt beilegen, das kann
dauern. Lange herrschte Stillstand, da in Bulgarien im vergangenen Jahr
eine Neuwahl auf die andere folgte, ohne stabile Regierung in Sicht. Dass
sich Petkow nun so früh in seiner Amtszeit um die Beziehungen zu
Nordmazedonien kümmert und nach Skopje gereist ist, ist ein gutes Zeichen –
auch wenn es bei dem Treffen wie erwartet zu keinem Durchbruch gekommen
ist.
Immerhin haben die beiden Regierungschefs wöchentliche Arbeitsgruppen zu
strittigen Themen und eine Luftverbindung zwischen Skopje und Sofia
beschlossen. Sie reden nun wieder miteinander. Im Grunde wäre es jedoch
Aufgabe der EU, in dieser verfahrenen Situation zu vermitteln und
Mechanismen zu entwickeln, dass es gar nicht erst so weit kommt. Dass die
Zukunft eines Staates vom Willen eines anderen abhängt, darf kein
Dauerzustand bleiben.
20 Jan 2022
## LINKS
[1] /Gespraeche-Nordmazedonien-und-Bulgarien/!5828561
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/petkow-nordmazedonien-101.html
[3] /Mazedonien-billigt-Umbenennung/!5564814
[4] /Macrons-Vorschlaege-zu-EU-Erweiterung/!5638836
[5] https://www.eu-info.de/europa-punkt/politikbereiche/erweiterung/kandidaten/
## AUTOREN
Jana Lapper
## TAGS
Nordmazedonien
Bulgarien
EU-Mitgliedstaaten
Albanien
GNS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Albanien
Lesestück Recherche und Reportage
Nordmazedonien
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