# taz.de -- Neuer Roman von Elizabeth Wetmore: Hier wird scharf geschossen | |
> Der Roman „Wir sind dieser Staub“ von Elizabeth Wetmore ist eine zornige | |
> Liebeserklärung an Texas. Auch seine Bewohnerinnen zeigen sich wehrhaft. | |
Bild: Eine Waffenbesitzerin in Texas posiert in ihrem Wohnzimmer | |
Als die junge Kellnerin Karla aus der kleinen texanischen Stadt Odessa | |
fortzieht, schenken die Kolleginnen ihr zum Abschied „eine kleine Pistole | |
für die Handtasche“. Als das gutbürgerliche Ehepaar Corrine und Potter – | |
sie Lehrerin, er Manager bei einer Ölfirma – zu einem Campingwochenende | |
aufbricht, nehmen sie gleich zwei Waffen mit: „Potter verstaut seinen | |
Armeerevolver im Handschuhfach, Corrine legt ihre Damenpistole dazu.“ | |
Und selbstverständlich hat die junge Mutter Mary Rose Whitehead, die auf | |
einer einsam gelegenen Ranch nah an einem Ölfeld wohnt, ein geladenes | |
Gewehr in der Küche stehen, das sie liebevoll „Old Lady“ nennt. | |
Schusswaffen, das zeigt dieser Roman in vielen solcher kleinen Szenen, sind | |
in Texas sowohl Teil der Folklore als auch Ausdruck eines fortgesetzten | |
Bedürfnisses nach Selbstverteidigung sowie eines durchaus nicht immer | |
ungerechtfertigten Misstrauens gegen die Umwelt. | |
Die Autorin Elizabeth Wetmore (Jahrgang 1968) ist selbst in [1][Odessa, | |
Texas,] aufgewachsen und mit 18 Jahren von dort weggegangen. „Wir sind | |
dieser Staub“ spielt im Jahr 1976, zu einer Zeit, da die Autorin fast im | |
Alter der kleinen Mädchen war, die zum Personal des Buches gehören. Es ist | |
Wetmores Romandebüt; zuvor hatte sie Kurzgeschichten veröffentlicht und | |
unterrichtete ansonsten Kreatives Schreiben an einem College. | |
Der Roman, so erzählte sie dem Magazin Texas Monthly in einem Interview, | |
nahm seinen Anfang ebenfalls als Kurzgeschichte, deren Hauptfigur, Mary | |
Rose Whitehead, später auch zu einer der Hauptfiguren im Roman werden | |
sollte, nachdem die Autorin gemerkt hatte, dass sie mehrere Short Storys | |
geschrieben hatte, die eigentlich zusammengehörten. Zudem habe sie zunächst | |
auch aus männlicher Perspektive erzählt, jedoch bald verstanden, dass der | |
Roman in eine andere Richtung wollte. Er gehörte eindeutig den Frauen. | |
## Ein schockierendes Erlebnis | |
Und er ist nicht nur spannend wie ein Thriller, sondern beginnt auch wie | |
ein solcher: Ein junges Mädchen kämpft um ihr Überleben, als sie nach einer | |
brutalen Vergewaltigung aus der Ohnmacht erwacht und schwerverletzt durch | |
die Wüste, quer über ein Ölfeld, vor ihrem noch schlafenden Vergewaltiger | |
flieht – hin zu einem einsam gelegenen Farmhaus, in dem die junge | |
Ranchersgattin, siehe oben, mit ihrer Tochter Karten spielt und ein | |
geladenes Gewehr in der Ecke stehen hat. Doch auch der Vergewaltiger macht | |
sich nach dem Aufwachen auf den Weg zu der Farm. | |
Nach diesem schockierenden Erlebnis zieht die schwangere junge Rancherin | |
mit ihrer Tochter in die Stadt, wo sie sich sicherer fühlt, jedoch mit | |
Drohanrufen belästigt wird, denn sie hat vor, im bevorstehenden Prozess | |
gegen den Gewalttäter auszusagen. Immerhin gibt es Nachbarinnen, die ihr | |
eine gewisse Stütze sind: darunter die ältere Corrine, die gerade ihren | |
Mann an den Krebs verloren hat und am liebsten die ganze Zeit betrunken | |
wäre. | |
Die grantige ehemalige Lehrerin bekommt oft Besuch von einem kleinen | |
Mädchen, das die meiste Zeit auf sich gestellt ist, seit ihre Mutter vor | |
einiger Zeit das Weite gesucht hat. Das verlassene Kind seinerseits nimmt | |
sich eines einsamen jungen Vietnamveteranen an, der in einer Abflussröhre | |
haust. | |
## Sexistisch-machistische Unkultur | |
All diese und noch mehr Geschichten laufen nebeneinander her, um sich hier | |
und da zu berühren, während die Zeit unbeirrt auf den mit Spannung | |
erwarteten Prozess zuläuft. Trotz aller nachbarschaftlichen Zuwendung trägt | |
Mary Rose ihre Bürde allein, erzählt niemandem von den Drohanrufen, | |
erbittet keine Hilfe, schon gar nicht von ihrem Mann, der draußen auf der | |
Farm geblieben ist. Ihrer kleinen Tochter schenkt sie ein Luftgewehr, damit | |
diese das Schießen lernt. | |
Sie habe sich nach ihrem Weggang erst wieder „in Texas verlieben“ müssen, | |
um diesen Roman schreiben zu können, sagte Elizabeth Wetmore der Texas | |
Monthly. Eine einigermaßen erstaunliche Aussage, ist ihr Roman doch | |
vordergründig eine umfassende, zornige Abrechnung mit der | |
sexistisch-machistischen Unkultur [2][der männlichen Bewohner eines | |
Wüsten-Bundesstaats,] der zudem von der Ausbeutung endlicher natürlicher | |
Ressourcen lebt und in dem die Schusswaffen zu locker sitzen. | |
## Mitgefühl als Tugend | |
Aber auf der anderen Seite ist er ebenso sehr eine Liebeserklärung an | |
Solidarität, Mut und Mitgefühl als menschliche Tugenden (das schließt auch | |
männliche Charaktere ein) – und mindestens ebenso sehr an die texanische | |
Natur, an die Wüste in ihrer Weite und Unwirtlichkeit, die dennoch lebt, | |
wenn man nur genau hinsieht. | |
Elizabeth Wetmore hat sehr genau hingesehen und mit diesem Roman ein | |
mitreißendes Porträt sowohl der wüsten texanischen Landschaft geschaffen | |
als auch der wehrhaften und dabei so verletzlichen Menschen, die in ihr | |
leben. Und die deutsche Fassung von Eva Bonné liest sich großartig. | |
20 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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Schwerpunkt Waffen in den USA | |
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