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# taz.de -- Dekret zu Frauenrechte in Afghanistan: Taliban machen auf Frauenrec…
> In einem Dekret sprechen sich die Taliban gegen Zwangsheirat aus. Doch an
> anderer Stelle zeigen sich für Frauen gravierende Lücken.
Bild: Straßenszene in der afghanischen Stadt Herat am 3. November 2021
Berlin taz | „Eine Frau ist kein Eigentum, sondern ein wirklicher freier
Mensch.“ Und: „Für den Zeitpunkt ihrer Ehe ist die Zustimmung der
erwachsene Frau notwendig.“ So steht es in einem sogenannten Dekret über
Frauenrechte, das [1][Afghanistans neue Herrscher – die Taliban] – am
Freitag veröffentlicht haben.
Mit dem Dekret wendet sich Talibanführer Maulawi Hebatullah Achundsada, der
seit der Machtübernahme höchstens mit Audiobotschaften an die
Öffentlichkeit getreten ist, an „alle Verantwortlichen“ der
Taliban-Regierung, die Geistlichkeit, die Stammesführer sowie die Medien,
„ernsthafte Schritte zu unternehmen“, damit dieses und andere Rechte
„verwirklicht“ werde.
Dazu gehört auch ein Verbot des in Afghanistan weit verbreiteten
Gewohnheitsrechts, Frauen nach dem Tod ihres Ehemanns gegen ihren Willen an
Verwandte weiter zu verheiraten oder als Gegenleistung bei der Schlichtung
von Streitfällen zwischen Gemeinschaften oder Familien an die andere Partei
zu geben, das sogenannte bád.
Das Dekret betont ferner, dass das islamische Recht – und zwar in seiner in
den meisten Teilen der islamischen Welt anerkannten Auslegung – den Frauen
das Recht auf einen dort bestimmten Anteil am Erbe ihrer Ehemänner oder
Kinder, Gleichberechtigung in einer im Islam legalen Vielehe, sowie das
Recht auf ein Brautgeld (mahr) bei Wiederverheiratung zuspricht. In großen
Teilen der afghanischen Gesellschaft fällt die Praxis oft hinter diese
Festlegungen zurück, legitimiert als rewádsch (Tradition).
## Respekt nur für Mütter, Schwestern und Ehefrauen
Was sich zunächst progressiv anhört, wird relativiert durch das, was im
Dekret fehlt: Nämlich die Rolle von Frauen [2][in anderen Bereichen der
Gesellschaft]. Talibanvertreter sehen Frauen oft nur in ihrer Rolle als
Ehefrau. So erklärte der Sprecher des Innenministeriums der
Taliban-Regierung und frühere Chef ihrer sozialen Medien, Kari Said Chosti,
in einem am 26. November ausgestrahlten Interview mit dem privaten
afghanischen Fernsehsender OneTV, das islamische Recht gebe den Frauen
„eine hohe Stellung und Respekt“, aber eben nur als „Mütter, Schwestern,
Ehefrauen“.
Das Dekret spricht auch nicht von Gleichberechtigung, wie die bisherige,
offiziell noch nicht außer Kraft gesetzte Verfassung. Darauf berufen sich
auch Frauengruppen, die nach der Taliban-Machtübernahme im August zunächst
öffentlich für Frauenrechte protestierten. Wegen [3][Übergriffen von
Taliban-Polizisten] zogen sie sich [4][zuletzt in Privaträume zurück] und
veröffentlichen ihre Aktionen nunmehr in sozialen Medien.
Torunn Wimpelmann, Forschungsleiterin am Christian-Michelsen-Institut im
norwegischen Bergen, arbeitet seit langem zu Afghanistan und Frauenrechten.
Sie schrieb auf Twitter, dass die Taliban eine ähnliche Politik bereits
während ihrer ersten Herrschaftszeit 1996-2001 proklamiert hatten. In dem
Dekret stehe kein Wort „über Scheidung und Schutz vor Gewalt in der Ehe.“
Heather Barr von Human Rights Watch verweist darauf, dass sie in der Praxis
„Frauen nicht schützen, die Männer herausfordern“ – etwa bei den Protes…
gegen ihre drohende Entrechtung. Das Frauenministerium und das von der
vorherigen Regierung erlassene Gesetz über Eliminierung von Gewalt gegen
Frauen wären „Mechanismen gewesen, das durchzusetzen“.
## Zweideutig in Bezug auf Kinderehen
Die Taliban haben das Frauenministerium mit einer Ministerin an der Spitze
durch ihr Ministerium zur Durchsetzung der sharia-definierten Moral
ersetzt. Frauen spielen hier keine Rolle. Noch Anfang August hatte Human
Rights Watch die alte Regierung dafür kritisierte, dass sie daran
„gescheitert“ sei, das Anti-Gewalt-Gesetz umzusetzen.
Wimpelmann hält auch den expliziten Bezug auf die Freiwilligkeit der
Eheschließung „erwachsener Frauen“ für zweischneidig. Kinderehen seien
damit nicht ausdrücklich untersagt. Allerdings kann man die Formulierung
auch so lesen, dass nach Ansicht der Taliban eben nur erwachsene Frauen
heiraten sollen.
Auch das Thema Mädchenbildung bleibt undurchsichtig. Im September öffneten
die Taliban nach einer Coronapause zwar wieder die Schulen ab der 6. Klasse
– aber nur für Jungs. [5][Mädchen sollten sich gedulden], bis sich die
Geistlichkeit auf eine Verfahrensweise für sie geeinigt habe. Ihr Sprecher
Sabihullah Mudschahed ließ neulich gegenüber der BBC durchblicken, das
solle bis zum neuen Schuljahr nach der dreimonatigen Winterpause im März
geschehen.
Hier spielen afghanische Traditionen, viele von den Taliban beeinflusst,
eine Rolle. Demnach sollen Mädchen mit einsetzender Pubertät generell von
den Jungen getrennt werden. Konservative Kreise bestehen gar auf komplett
getrennte Schulen. Woher eines der ärmsten Länder der Welt die Mittel dafür
nehmen soll, ist fraglich. Immerhin fehlt der Hälfte aller Schulen im Land
immer noch ein festes Gebäude. Mit einer Trennung müsste die vierfache Zahl
an Schulen errichtet werden.
4 Dec 2021
## LINKS
[1] /Voelkerrechtler-ueber-Taliban-Regierung/!5805427
[2] /Medienfreiheit-in-Afghanistan/!5816886
[3] /Frauen-aus-Afghanistan-berichten/!5799900
[4] /Aktivistin-ueber-Frauen-in-Afghanistan/!5789681
[5] /Nach-Machtuebernahme-in-Afghanistan/!5814301
## AUTOREN
Thomas Ruttig
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