| # taz.de -- Deutsche Außenpolitik und Afghanistan: Zuhören lernen | |
| > In Afghanistan hat Deutschland historisch versagt. Eine Lehre: | |
| > Feministische Außenpolitik muss Sicherheit weniger militärisch sehen. | |
| Bild: Mächtiges und bisweilen überfrachtetes Symbol im Kampf um Frauenrechte,… | |
| Mädchen dürfen keine weiterführenden Schulen mehr besuchen, einst | |
| berufstätige Frauen – ehemals mit Karrieren in Politik, Wissenschaft und | |
| Bildung – kümmern sich nur noch um den Haushalt, und ein Großteil der | |
| Frauenrechtsorganisationen hat die Tätigkeiten eingestellt: Die | |
| [1][gegenwärtige Situation für Frauen in Afghanistan ist dramatisch], | |
| Strukturen der Zivilbevölkerung sind fast vollständig zerstört. Indes wurde | |
| das sogenannte Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung | |
| des Lasters wieder eingeführt, um für die Umsetzung der misogynen Erlasse | |
| des neuen Regimes zu sorgen. Sollte der Militäreinsatz in Afghanistan nicht | |
| einst dafür sorgen, dass die Lage für Frauen sich verbessert? | |
| Deutschland und der sogenannte Westen haben in ihrer Unterstützung | |
| historisch versagt. Es gilt nun, das Versagen konstruktiv aufzuarbeiten. | |
| Schließlich hat die Bundesregierung Anfang des Jahres ihre Außenpolitik als | |
| feministisch postuliert. Wenn sie wirklich umsetzt, was sie propagiert, | |
| muss Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik aus vergangenen | |
| Fehlern lernen. Laut Definition des Auswärtigen Amtes geht es bei | |
| feministischer Politik um die Förderung der Rechte, Repräsentanz und | |
| Ressourcen von Frauen und marginalisierten Gruppen sowie um Diversität. | |
| Afghanistan ist das Negativbeispiel schlechthin für das Fehlen einer | |
| solchen Politik. Und zwar, weil Deutschland Sicherheit zu militärisch | |
| definiert und vorwiegend Streitkräfte unterstützt. Einen politischen Wandel | |
| allein mit Aufrüstung erreichen zu wollen, ist kurzsichtig. Stattdessen | |
| sollte sich deutsche Sicherheitspolitik am UN-Konzept der „menschlichen | |
| Sicherheit“ orientieren, also der Situation der Menschen in | |
| Konfliktsituationen, [2][so lautete 2021 die Einschätzung Martina | |
| Fischers], Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung bei Brot für die | |
| Welt. | |
| Deutschland hat sich in der Vergangenheit damit gebrüstet, für Afghanistan | |
| Geldgeberland Nummer eins und manchmal Nummer zwei zu sein. Bis 2010 wurden | |
| in Forschrittsberichten die angeblichen Erfolge der | |
| Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan gefeiert und schöngeredet. Die | |
| Stärkung der Zivilgesellschaft stand dabei allerdings eher unten in der | |
| Agenda, der Kontakt mit der Zivilgesellschaft blieb gering und | |
| oberflächlich. Die starke feministische Zivilgesellschaft war in den | |
| Friedensverhandlungen nicht ausreichend repräsentiert. In ihrer Position | |
| konnte sie [3][bei der Machtübernahme der Taliban] kaum etwas ausrichten. | |
| ## Zu viele klassische Frauenprojekte | |
| Bereits in einer Ausgabe der norwegischen Tageszeitung Klasenkampen von | |
| 2010 kritisierte Politikwissenschaftlerin Astri Suhrke die zaghaften | |
| Hilfsstrategien des Westens. [4][Es müsse, schreibt sie], mehr direkte | |
| Unterstützung gezahlt werden statt durch die UN. „Die afghanische Regierung | |
| kann halbherzigen Druck aus dem Ausland ignorieren“, schrieb sie, „bei | |
| einer starken politischen Bewegung im eigenen Land geht das schlechter. Je | |
| breiter die Bewegung, desto schwerer wird es für konservative Afghanen, | |
| Gleichberechtigung als ausländische, von außen aufgedrückte Idee | |
| darzustellen.“ Das hätte es afghanischen Frauen leichter gemacht, auch nach | |
| dem Abzug der westlichen Streitkräfte und NGOs Gegenwehr zu leisten. | |
| Stattdessen wurden klassische Frauenprojekte zum Beispiel in Form von | |
| Handarbeitskursen realisiert. Filterblasen beschränkten Kontakte zu Frauen | |
| in der Zivilgesellschaft zumeist nur auf die immer gleichen Teile der | |
| Elite. Es braucht für eine wirklich feministische Außenpolitik auch eine | |
| inklusivere Sichtweise. Zwar gab es eine Frauenquote im afghanischen | |
| Parlament. Jedoch ist fraglich, wie viel es zur Demokratie beiträgt, wenn | |
| dort zum Teil die Töchter der Warlords sitzen. | |
| Problematisch ist laut Wenzel Michalski von Human Rights Watch vor allem, | |
| dass stets mit den Leuten verhandelt wurde, die auch für den Niedergang | |
| Afghanistans verantwortlich waren. | |
| Andrea Schmitz von der Stiftung Wissenschaft und Politik, plädiert derweil | |
| für mehr Zurückhaltung. „Wir sind immer sehr schnell mit moralischen | |
| Bewertungen, hören aber zu wenig zu und hinterfragen unsere eigenen | |
| Perzeptionsklischees zu wenig. Feministische Außenpolitik fordert ja zu | |
| Recht ein Ende der simplen dichotomen Weltsicht. Das heißt, dass die | |
| Fokussierung auf die Vorstellungen und Bedürfnisse von globalen Eliten | |
| nicht ausreicht, um gute Politik zu machen“, so Schmitz. „Eine | |
| feministische Politik muss zuhören, und das bedeutet, die eigenen | |
| Gleichstellungsforderungen unter Umständen nach hinten schieben und sich | |
| stattdessen stärker mit dem Denken der Anderen zu befassen.“ | |
| ## Mehr zuhören | |
| Wie ist feministische Außenpolitik nun gefragt? Sicherheit bedeutet auch | |
| ganz konkrete Sicherheit für die Betroffenen. Es sollte also bürokratische | |
| Erleichterungen bei Aufnahmeprogrammen geben. „Bei den Rettungsaktionen | |
| standen Männer im Mittelpunkt, doch die Anstrengung muss auch die mutigen | |
| FrauenrechtlerInnen mit einbeziehen, die immer noch für ihre Rechte | |
| kämpfen. Die sind fast in noch größerer Gefahr“, fordert Wenzel Michalski. | |
| In Afghanistan ist ein Neuansatz der Beziehungen notwendig. Diplomatische | |
| und Entwicklungspolitische Instrumente müssen gestärkt werden. Doch | |
| angesichts der Realität sind Verbesserungen nur durch kleine Schritte der | |
| Annäherung möglich. Deutschlands Umgang mit Afghanistan hat gezeigt, dass | |
| Zuhören eine Fähigkeit ist, die der Großteil des postkolonialen Westens nie | |
| richtig gelernt hat. Dieser Aspekt feministischer Außenpolitik ist in | |
| Anbetracht des wachsenden Populismus- und Autoritarismustrends weltweit | |
| jedoch dringlicher denn je. Auch wenn es dafür reichlich spät ist. | |
| 3 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Aktivistinnen-in-Afghanistan/!5831895 | |
| [2] https://www.brot-fuer-die-welt.de/blog/2021-deutsche-aussenpolitik-lehren-a… | |
| [3] /Nach-Machtuebernahme-der-Taliban/!5799137 | |
| [4] https://www.cmi.no/publications/file/5682-we-shall-speak-where-others-are-s… | |
| ## AUTOREN | |
| Betania Bardeleben | |
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