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# taz.de -- Regierungskrise in Österreich: Karl, der neue Kanzler
> Nach dem Abgang von Sebastian Kurz kündigen weitere ÖVP-Politiker ihre
> Rücktritte an. Karl Nehammer soll neuer Parteichef und Kanzler werden.
Bild: Karl Nehammer soll neuer Parteichef werden
Wien taz/dpa | Der 49-jährige Karl Nehammer soll neuer Chef der
konservativen ÖVP und neuer Kanzler Österreichs werden. Das hat der
Parteivorstand der ÖVP am Freitag beschlossen.
So schnell kann es gehen. Wenige Stunden nach dem [1][Abschied von
Sebastian Kurz] und Finanzminister Gernot Blümel aus der Politik bricht das
türkise Gebäude, das Kurz in der schwarzen ÖVP errichtet hatte, zusammen.
Zuerst stellte Bundeskanzler [2][Alexander Schallenberg sein „Amt zur
Verfügung“]. Er gibt damit jenen recht, die ihn immer nur als Platzhalter
für seinen Vorgänger Kurz gesehen hatten.
Dann nahm auch Finanzminister Gernot Blümel, der engste Wegbegleiter von
Kurz, via Facebookvideo Abschied von der Politik. Er legt sowohl seinen
Posten als Finanzminister, als auch den Vorsitz der ÖVP Wien ab. Seinen
Schritt begründet er mit Morddrohungen gegen seine Familie und der Geburt
seines zweiten Kindes. Den Anlass habe dann aber der Rücktritt seines
Freundes Kurz gegeben. Dass gegen beide [3][wegen Korruptionsverdachts]
ermittelt wird, dürfte dabei keine unwesentliche Rolle gespielt haben.
Ironie der Geschichte: erst am Vortag hatte die Gesellschaft für
Österreichisches Deutsch (GSÖD) den Begriff „Schattenkanzler“ als das
österreichische Wort des Jahres 2021 bekannt gegeben. Dabei handle es sich
um einen „ironischen Ausdruck, der nach dem Rücktritt von Bundeskanzler
Sebastian Kurz (ÖVP) aufkam und unterstellt, dass er als ÖVP-Parteiobmann
weiterhin die Politik der Regierung bestimmen wird und nicht sein
Nachfolger als Bundeskanzler, Alexander Schallenberg (ÖVP)“.
Kurz, der bei seiner Rücktrittsrede über den „Eindruck, gejagt zu werden“
geklagt hatte, wird von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft
in mehreren Fällen als Verdächtiger geführt. Dabei geht es unter anderem um
den Vorwurf der Untreue und Bestechlichkeit. Er fühle nicht mehr die
gleiche Begeisterung für das politische Geschäft wie zu Zeiten seiner
triumphalen Wahlsiege 2017 und 2019.
Kurz hatte bei seinem Antritt als Parteichef 2017 die [4][„schwarze“ ÖVP
auf das hippe Türkis umgefärbt], sich weitreichende Vollmachten geben
lassen und eine Seilschaft von hündisch ergebenen Groupies und Karrieristen
auf zentrale Posten gehievt. Jetzt übernehmen wieder die Landeshauptleute
und die Bünde (Bauernbund, Wirtschaftsbund, Arbeiter- und Angestelltenbund)
das Kommando.
## Innenminister Nehammer als Nachfolger?
Bevor noch andere Namen für die Nachfolge von Kurz-Kanzler Schallenberg
genannt werden konnten, legte sich Niederösterreichs mächtige
Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner auf Innenminister [5][Karl Nehammer]
fest. Als Produkt der Kaderschmiede der niederösterreichischen ÖVP verfügt
der 49-jährige Leutnant der Reserve über eine verlässliche Hausmacht. Er
wird als Bindeglied zwischen der türkisen Truppe und der schwarzen ÖVP
gesehen. Der für Freitagmorgen einberufene ÖVP-Bundesparteivorstand wird
den 49-jährigen Kurz-Getreuen voraussichtlich zum neuen Parteichef
designieren.
Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) hat sich dafür
ausgesprochen, dass Parteiführung und Kanzleramt, wie es Tradition ist, in
einer Hand zusammengeführt werden. Schallenberg wird mit weniger als zwei
Monaten als der kürzest dienende Bundeskanzler in die Geschichte der
zweiten Republik eingehen, Sebastian Kurz als der jüngste Altkanzler. Er
hat es in zwei Regierungen immerhin auf dreieinviertel Jahre gebracht.
Der für den ORF tätige Politikwissenschaftler Peter Filzmaier rechnet im
Zuge dieser Rochade mit einer größeren Kabinettsumbildung im Lager der ÖVP.
Die meisten Ministerinnen und Minister seien schließlich nach dem Kriterium
der bedingungslosen Loyalität zu Kurz ausgewählt worden. Nicht gehen will
dem Vernehmen nach die Kurz-Vertraute Elisabeth Köstinger, die als
Landwirtschafts- und Tourismusministerin von einem Fettnäpfchen ins andere
getappt ist.
„Die ÖVP muss eine Abgrenzung zu Sebastian Kurz finden“, sagte Filzmaier im
ORF. Auch Kurz als „Schattenkanzler“ habe ihr geschadet.
Im Januar wird dann im Parlament der neue Untersuchungsausschuss seine
Arbeit aufnehmen, bei dem es um die [6][Korruptionsaffairen der ÖVP] geht.
Weder die Kanzlerpartei noch die Grünen hätten derzeit Interesse an
Neuwahlen, die von den Oppositionsparteien mit unterschiedlicher Vehemenz
eingefordert werden. Die ÖVP kann nur verlieren und die Grünen, die sich
jetzt als Kraft der Stabilität in der Regierung präsentieren können, wollen
ihre Klimaprojekte umsetzen. Beide Parteien könnten sich angesichts der
aktuellen Umfragen bei Neuwahlen in der Opposition wiederfinden.
3 Dec 2021
## LINKS
[1] /Oesterreichs-Ex-Kanzler-Kurz/!5816029
[2] /Oesterreichs-Kanzler-kuendigt-Ruecktritt-an/!5819760
[3] /Oesterreichs-Ex-Bundeskanzler-Kurz/!5816203
[4] /Regierungskrise-in-Oesterreich/!5808029
[5] /Untersuchungsbericht-zu-Attentat-in-Wien/!5746807
[6] /Sebastian-Kurz-unter-Korruptionsverdacht/!5807019
## AUTOREN
Ralf Leonhard
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