# taz.de -- Rot-Grün-Gelb will NSU-Aufarbeitung: „Eine schwelende Wunde“ | |
> Die Ampel will die NSU-Aufklärung forcieren und ein Archiv schaffen. Die | |
> Ombudsfrau der Opferfamilien lobt das – hält aber weitere Hilfen für | |
> nötig. | |
Bild: Erinnerung in Zwickau: im November aufgestellte Bilder und Namen von Opfe… | |
BERLIN taz | Es ist ein [1][Versprechen der künftigen Ampelregierung], das | |
die Betroffenen des NSU-Terrors aufhorchen lässt. „Wir treiben auch | |
innerhalb der Bundesregierung die weitere Aufarbeitung des NSU-Komplexes | |
energisch voran“, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. | |
Geschaffen werden sollen auch ein NSU-Erinnerungsort und ein Archiv zu | |
Rechtsterrorismus. | |
Zehn Jahre ist das Auffliegen der NSU-Terrorzelle inzwischen her, zentrale | |
Fragen dazu sind jedoch [2][bis heute ungeklärt]. Gab es weitere Helfer? | |
Wer beschaffte die vielen Waffen? Wonach wurden die Opfer ausgewählt? Die | |
Ampel will es dabei nicht belassen. Die Frage ist nur: Was folgt daraus | |
konkret? | |
„Der NSU-Terror bleibt eine schwelende Wunde“, sagte Konstantin von Notz, | |
der für die Grünen den Bereich Innere Sicherheit verhandelte, am Donnerstag | |
der taz. „Es herrschte Konsens in den Verhandlungen, dass bei dem Komplex | |
relevante Fragen und Verantwortlichkeiten ungeklärt sind und wir uns damit | |
nicht abfinden wollen.“ Wie genau diese Aufarbeitung aussehen kann, ließ | |
von Notz vorerst offen. Er schloss aber auch einen erneuten | |
Untersuchungsausschuss nicht aus. „Alle Möglichkeiten, doch noch zu | |
Antworten zu kommen, müssen ausgeschöpft werden.“ | |
## „Darf zu keinem Schlussstrich kommen“ | |
Auch Benjamin Strasser, der für die FDP mitverhandelte, betonte: „Zehn | |
Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU darf es zu keinem Schlussstrich in | |
der Aufarbeitung kommen. Zu vieles ist im Dunkeln geblieben.“ | |
Für die Ampel gehört zu der Aufarbeitung auch ein Rechtsterrorismus-Archiv, | |
das maßgeblich mit NSU-Akten befüllt würde – aber nicht nur. „Rechtsterr… | |
hat dieses Land an vielen Orten getroffen“, erinnert von Notz. „Wir wollen | |
diese Orte zusammenführen, das Wissen dazu bündeln und daraus Konsequenzen | |
ziehen.“ Man habe sich generell vorgenommen, wegzukommen von | |
Spontanreaktionen nach Terrortaten, hin zu fundierten, längerfristigen | |
Strategien und Maßnahmen. | |
Auch FDP-Mann Strasser betont, dass mit dem Archiv alle verfügbaren | |
Unterlagen zu rechtsterrorischen Anschlägen in Deutschland langfristig | |
gesichert und systematisch ausgewertet werden könnten. Auch könne sich | |
dieses aktiv „mit der Blockadepolitik von Verfassungsschutzämtern“ | |
beschäftigen. | |
## Thüringen brachte NSU-Archiv schon auf den Weg | |
Mit der Idee eines NSU-Archivs und Gedenkorts dockt die Ampel an eine | |
Initiative aus Thüringen an, wo das NSU-Trio untertauchte. In dem | |
Bundesland ist beides, auf Beschluss des Landtags, bereits seit Längerem in | |
Planung. Der [3][Gedenkort soll in Erfurt] entstehen, wo die | |
parlamentarische Aufklärung des Terrors stattfand. Anfang August wurde | |
dafür laut Thüringer Staatskanzlei ein nichtoffener Gestaltungswettbewerb | |
für Künstler und Landschaftsarchitekten gestartet. Eine Jurysitzung ist für | |
den Sommer 2022 geplant, eine Umsetzung für 2023. | |
[4][Für das Archiv] wurden eigens die Akten der zwei Thüringer | |
NSU-Untersuchungsausschüsse und sämtliche Notizen vor der Vernichtung | |
gerettet. Diese sollen künftig für Wissenschaft, Zivilgesellschaft und | |
Journalist:innen zugänglich sein. Die konkrete Umsetzung gestaltet sich | |
indes schwierig. Eine Sprecherin der Staatskanzlei sprach am Donnerstag von | |
einem „sehr komplexen Vorgang“, der unterschiedliche Institutionen binde | |
und die Prüfung mehrerer Rechtsvorschriften nötig mache. Den Ampel-Plan | |
begrüßte sie: „Wenn die neue Bundesregierung eine Initiative für ein | |
zentrales Archiv zum Rechtsterrorismus plant, erwarten wir die Konzeption | |
mit Spannung und freuen uns auf den Austausch.“ | |
In Sachsen wiederum soll ein [5][NSU-Dokumentationszentrum in Zwickau] | |
entstehen, wo der NSU einen Unterschlupf hatte. Erst zu Monatsbeginn | |
überreichte dort Justizministerin Katja Meier (Grüne) dem Verein „Regionale | |
Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie“ (RAA) einen | |
Fördermittelbescheid von 95.000 Euro für die konzeptionelle Planung. Das | |
Zentrum solle „ein lebendiger Ort“ für Bildungsarbeit und demokratischen | |
Austausch sein, erklärte Meier. Sie betonte aber auch: „Die | |
Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex ist von nationaler Tragweite.“ | |
Das greift die Ampel nun auf. Eine Kooperation mit dem Thüringer Archiv | |
oder dem sächsischen Dokumentationszentrum sei denkbar, erklärte von Notz. | |
„Die konkrete Ausgestaltung des Archivs ist noch nicht geklärt, soll aber | |
auch nicht auf die lange Bank geschoben werden.“ Im Koalitionsvertrag ist | |
für das Rechtsterror-Archiv ausdrücklich eine „Zusammenarbeit mit | |
betroffenen Bundesländern“ festgehalten. | |
## Keine Geheimakten für 120 Jahre mehr | |
Und auch in zwei weiteren Punkten zieht die Ampel Konsequenzen aus dem | |
NSU-Versagen. Zum einen soll es künftig keine Aktensperrungen von 120 | |
Jahren mehr geben, wie es [6][bei einer hessischen NSU-Akte] geschah – die | |
Frist wurde von der schwarz-grünen Landesregierung erst nach Druck | |
abgesenkt. Hier hält der Ampel-Koalitionsvertrag nun „archivrechtliche | |
Schutzfristen von maximal 30 Jahren“ fest. Bei Streitfragen über | |
VS-Einstufungen soll eine unabhängige Kontrollinstanz entscheiden. | |
Zum anderen sollen die Einsätze von [7][V-Leuten] nochmals gesetzlich | |
geregelt und „parlamentarisch überprüfbar“ werden, „unter Wahrung der | |
notwendigen Anonymität“. Von Notz spricht auch hier von „notwendigen | |
Schritten, um ein erneutes Versagen wie beim NSU-Terror oder dem Anschlag | |
vom Breitscheidplatz entgegenzutreten“. | |
## Ombudsfrau hofft auf neue Erkenntnisse | |
Die Betroffenen des NSU-Terrors begrüßen die Pläne. „Es ist eine gute | |
Nachricht für die Opfer und Hinterbliebenenfamilien, dass die neue | |
Bundesregierung unter das Thema NSU keinen Schlussstrich ziehen will“, | |
sagte Ombudsfrau Barbara John am Donnerstag der taz. Die an vielen Stellen | |
archivierten Dokumente zum Rechtsterror zusammenzuführen, könnte „zu neuen | |
Erkenntnissen über rechtsradikale Netzwerke führen und helfen, offene | |
Fragen zu weiteren Beteiligten zu beantworten“. | |
John betonte aber, dass es auch anderweitig noch Probleme für die Familien | |
gebe. „Dazu gehört an erster Stelle, Opfer und Hinterbliebene | |
ausländerrechtlich als Härtefälle zu behandeln, besonders wenn es darum | |
geht, ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik zu sichern.“ | |
Auch die Amadeu-Antonio-Stiftung und der Bundesverband der Mobilen | |
Opferberatungen (BMB) verwiesen auf eine Leerstelle. So sei es | |
„ernüchternd“, dass die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag nicht die | |
Empfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse erwähne, die „dringend | |
vollständig“ umgesetzt werden müssten. Insgesamt sei der Koalitionsvertrag | |
aber „ein starkes Signal gegen Rechtsextremismus“. | |
25 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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