| # taz.de -- Rot-Grün-Rote Pläne zu Videoüberwachung: Kontrolle rund um die U… | |
| > Die SPD setzt Videoüberwachung an „gefährlichen“ Orten durch. Dafür | |
| > bekommen Linke und Grüne mehr Bürgerrechte versprochen. Ob der Deal hält? | |
| Bild: Ein sogenannter „kriminalitätsbelasteter Ort“: Berlin-Alexanderplatz | |
| Berlin taz | Von Licht und Schatten hatte die Linken-Landesvorsitzende | |
| Katina Schubert gesprochen, als sie [1][am Samstag beim | |
| Linken-Sonderparteitag] um Zustimmung für den rot-grün-roten | |
| Koalitionsvertrag warb. Zu den Schattenseiten gehört die Einführung von | |
| Videoüberwachung. Nicht nur Linke, auch Grüne sind eigentlich gegen dieses | |
| Einsatzmittel. Die SPD, genau gesagt Innensenator Andreas Geisel und die | |
| Bürgermeisterin in spe, Franziska Giffey, haben sich in der Frage aber | |
| durchgesetzt. Dem Vernehmen nach war es ein hartes Ringen, geeinigt hat | |
| sich Rot-Grün-Rot am Ende auf einen Kompromiss. Grüne und Linke setzen im | |
| Gegenzug drei Neuerungen [2][im Polizeigesetz] durch, mit denen sie auf der | |
| bürgerrechtlichen Seite punkten können. | |
| Bei Identitätsüberprüfungen an sogenannten kriminalitätsbelasteten Ort | |
| (kbO) soll die Polizei fortan, wie in Bremen, eine Kontrollquittung | |
| ausstellen – vorausgesetzt, die Betroffenen verlangen das. Zweitens: | |
| Kontrollen an kbOs dürfen nur aufgrund eines verdächtigen Verhaltens | |
| erfolgen und nicht aufgrund einer Hautfarbe oder des äußeren | |
| Erscheinungsbildes. Verankert werden soll damit im Polizeigesetz | |
| ausdrücklich das Verbot von Racial Profling. Der dritte Punkt ist von | |
| allgemeiner Bedeutung: Im Falle einer Speicherung in der polizeilichen | |
| Datenbank wird eine Benachrichtigungspflicht der Betroffenen eingeführt, | |
| soweit davon nicht Strafverfolgung und Gefahrenabwehr beeinträchtigt | |
| würden. | |
| Alle Neuerungen müssen im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz | |
| (ASOG) verankert werden. Das gilt auch für die Einführung der | |
| Videoüberwachung. Die Polizei darf zwar schon jetzt temporär und | |
| anlassbezogen Aufzeichnungen machen, was mithilfe von mobilen, auf | |
| Polizeifahrzeuge montierten Kameras geschieht. Fortan kann die Polizei an | |
| kriminalitätsbelasteten Orten aber fest installierte Technik verwenden und | |
| die Kameras bei Bedarf rund um die Uhr laufen lassen. | |
| Einschränkend heißt es im Koalitionsvertrag, die Überwachung dürfe nur an | |
| begrenzten Orten unter Wahrung der Privatsphäre erfolgen. Der Einsatz von | |
| Videotechnik im direkten Wohnbereich wie etwa Hauseingängen sei aber tabu. | |
| Außerdem müsse alle sechs Monate über eine Fortdauer der Maßnahme | |
| entschieden werden. | |
| ## Datenflut auch auswerten | |
| Tom Schreiber, neu in der Funktion des innenpolitischen Sprechers der SPD, | |
| geht davon aus, dass Kameras am Kotti und Alex kommen werden. „Da, wo auch | |
| die Brennpunkteinheiten tätig sind, macht es Sinn“, meint er. Aber er könne | |
| sich kaum vorstellen, dass rund um die Uhr aufgezeichnet werde. „Die | |
| Datenflut muss ja auch ausgewertet werden.“ | |
| Videoüberwachung verhindere keine Straftaten, ist Benedikt Lux, | |
| innenpolitischer Sprecher der Grünen, überzeugt. Das Thema habe bei den | |
| Koalitionsverhandlungen „sehr prominent“ im Raum gestanden. Niklas | |
| Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linken, bestätigt: Die SPD habe | |
| darauf insistiert, für die Linken sei das schwierig gewesen. Wenigstens | |
| habe man die Möglichkeiten der Überwachung eingeschränkt. | |
| Bis Ende 2022 sollen im ASOG die Voraussetzungen geschaffen sein, dass die | |
| Polizei loslegen kann – so steht es im Koalitionsvertrag. Ende 2022, sagt | |
| Lux, sei dann auch der Zeitpunkt, zu dem die drei Bürgerrechtsverordnungen | |
| im ASOG festgeklopft sein müssten. | |
| Von den Kontrollquittungen erhoffen sich Grüne und Linke einen Rückgang des | |
| Racial Profling. Die Polizei soll an KbOs den Grund aufführen, warum eine | |
| Person kontrolliert wurde. Dass der Betroffene die Quittung explizit | |
| verlangen muss, werde sich in der Community schnell herumsprechen, ist | |
| Schrader sicher. Durch Aufklärung werde man die Opfer von Racial Profling | |
| empowern, ihre Rechte wahrzunehmen. | |
| Die Bremer Polizei stellt seit September entsprechende Quittungen aus. Die | |
| Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP) teilte mit, dass man diese Regelung | |
| nicht notwendig finde. Polizeiliches Handeln in Berlin sei auch jetzt schon | |
| transparent, jede Maßnahme könne auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. | |
| Auch die Einführung einer Benachrichtigungspflicht über die Speicherung in | |
| polizeilichen Datenbanken berührt einen sensiblen Punkt. Allein in der | |
| Datei „PHW“ (Personengebundende Hinweise) waren Ende August 123.860 | |
| Personen gespeichert. Die in 36 Kategorien unterteilte Sammlung wird von | |
| der Polizei aus Gründen der Eigensicherung bei Einsätzen und als | |
| Ermittlungshilfe geführt. „Einmal darin gespeichert, kommt man kaum wieder | |
| raus“, sagt Lux. „Meistens erfährst du gar nicht, dass du gespeichert | |
| bist“, sagt Schrader. Der Linken-Politiker hat sich in der Vergangenheit | |
| immer wieder mit parlamentarischen Anfragen um das Thema verdient gemacht. | |
| In der PHW-Datei gibt es Kategorien wie „Ansteckungsgefahr“, | |
| „Freitodgefahr“, „Clankriminalität, relevantes Umfeld“ oder politisch | |
| motivierte Straftäter links und rechts. Die größte Gruppe mit 46.723 | |
| gelisteten Personen sind allerdings „Betäubungsmittelkonsumenten“. | |
| Eigentlich, sagt Schrader, sei die PHW-Datei „eine riesengroße | |
| Kifferdatei“. Schon ein Krümel Gras reiche, um gespeichert zu werden. | |
| Generell soll nun bei der Speicherung in Polizeidateien eine | |
| Benachrichtigungspflicht eingeführt werden, denn nur so können Betroffene | |
| dagegen vorgehen. Auch nach der Einstellung von Ermittlungs- oder | |
| Strafverfahren soll es künftig automatische Löschungsfristen geben. Diese | |
| Datenbanken seien ein einziger Moloch, sagt Schrader. Lux ergänzt, man | |
| verspreche sich von der Neuerung eine deutliche Bereinigung. | |
| Und wenn die SPD am Ende nicht mitzieht? Auch im letzten Koalitionsvertrag | |
| hatten sich Grüne und Linke mit den Sozialdemokraten auf fortschrittliche | |
| Vorhaben wie die Einführung eines unabhängigen Polizeibeauftragten | |
| verständigt. Das Gesetz dazu lag aber jahrelang auf Eis, weil die SPD ihre | |
| Zustimmung von einer Verschärfung des ASOG abhängig machte. Das Ergebnis | |
| des langen Tauziehens war, dass der Posten des Polizeibeauftragten nicht | |
| mehr vor der Wahl besetzt werden konnte. | |
| Er rechne nicht mit einer Wiederholung, sagt Schrader. Natürlich werde es | |
| Verhandlungen um die konkreten Formulierungen im ASOG geben. Aber der | |
| Koalitionsvertrag lasse keine riesigen Spielräume für Interpretationen. Lux | |
| spricht von einem Gesamtpaket, das einen großen Erfolg für die Bürgerrechte | |
| beinhalte. | |
| SPD-Politiker Schreiber nennt das Ergebnis ein „Geben und Nehmen“, alle | |
| Seiten müssten mit dem Koalitionsvertrag leben können. Und wenn Grüne und | |
| Linke unbedingt ein Verbot des Racial Profling ins ASOG schreiben wollten, | |
| das ja auch so schon existiere, dann, so Schreiber gönnerhaft, „kann es so | |
| sein, wenn es der Sache dient“. | |
| 7 Dec 2021 | |
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