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# taz.de -- Abschied von Merkel und Kurz: Rote Rosen und ein Baby
> Angela Merkel zeigte bei ihrem Abschied als Kanzlerin Haltung.
> Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz hingegen demonstrierte nochmal, wie
> klein er ist.
Bild: „Das kann sie sich jetzt gönnen“, Merkel mit Rose beim Zapfenstreich…
Komm, wir wetten, wann sie heult, sagte der Sohn, als wir zusammen vor dem
Bildschirm Platz nahmen. Großer Zapfenstreich für Angela Merkel, live aus
dem Bendlerblock – das war ein Pflichttermin. Und, in Anbetracht der
sonstigen Umstände – draußen dunkel, Krankheitsfälle im persönlichen Umfe…
rücken näher – war das auch das einzige Wohlfühlevent der Woche.
Ist es nur eine weitere Skurrilität in Coronazeiten oder schon
besorgniserregend, wenn eine demokratisch gewählte Kanzlerin mit
militärischen Ehren verabschiedet wird wie eine Königin?ƒ
Auch Demokratien brauchen ein bisschen Pomp und Rituale der
Selbstvergewisserung. Aber es ist schon auch was Besonderes, dass jemand
freiwillig und selbstbestimmt dieses Amt aufgibt, an dem Vorgänger wie Kohl
oder Schröder bis zuletzt klebten wie kleine Jungs.
Deshalb warten alle so sehnsüchtig auf [1][die letzte Rede der Kanzlerin]:
Wird sie ihr Vermächtnis darlegen? Wird sie uns den Weg weisen in dunkler
Zeit? Natürlich nicht. Merkel ist erfahren, aber nicht weise. Und einen
wirklichen Plan hat sie auch nicht.
## Ironie-Schlager aus dem Osten
„Mit Fröhlichkeit im Herzen an die Arbeit“, schön und gut. Aber wenn sie
Radikalisierung, Klimakrise und Digitalisierung als so dringende Probleme
empfindet – warum hat sie nach 16 Regierungsjahren dann einen solchen
Handlungsstau hinterlassen?
Dass im Vorlauf des Zapfenstreichs so ausufernd spekuliert wurde über die
Liedauswahl der Kanzlerin, die mit einem [2][Ironie-Schlager aus dem Osten]
(getextet übrigens von einem Mann, der nach der Wende wegen
Kindesmissbrauch verhaftet wurde – aber das thematisierte kaum jemand),
einem Balladenklassiker und einem Kirchenlied aus dem Amt scheidet, liegt
wohl vor allem daran, dass die allgemeine Nachrichtenlage so düster ist,
dass man nach jedem Farbfilm und jeder roten Rose greift, die man kriegen
kann. Und auch nach Gott, für die, denen das hilft.
Es könnte aber auch daran liegen, dass sich die Kanzlerin in ihren 16
Regierungsjahren so übermenschlich diszipliniert und im Politischen wie
Privaten ungreifbar präsentiert hat, dass man sie jetzt wirklich mal die
Contenance verlieren sehen wollte. „Das kann sie sich jetzt gönnen“, sagte
der Nachwuchskommentator neben mir auf dem Sofa.
Die Bundeswehr und die ausrichtende Verteidigungsministerin gaben
jedenfalls alles: Trommelwirbel und funkelnde Posaunen, Fackeln und weiße
Glacéhandschuhe, Helm ab zum Gebet und schultert das Gewehr. Doch erst bei
Hilde Knefs roten Rosen hieß es „Wasser marsch“ bei Merkel –
selbstverständlich protestantisch gebremst. Was für eine Haltung! Und Olaf
Scholz schaute auf der Tribüne unter seiner Maske drein, als dämmerte ihm
erst jetzt, welche Verantwortung auf ihn zukommt.
## Sebastian Kurz: larmoyant und trotzig
Wie klein und armselig dagegen der andere Abschied dieser Woche: Man habe
ihn regelrecht gejagt, dabei sei er auch nur ein Mensch. Und kein
Verbrecher, was er schon noch beweisen werde. So larmoyant und trotzig
[3][verabschiedete sich Österreichs Ex-Kanzler und zuletzt ÖVP-Chef
Sebastian Kurz] von allen politischen Ämtern.
Gekaufte Meinungsumfragen, geschmierte Journalisten, Vetternwirtschaft: Der
Jungpopulist, dem in seinem Amtsverständnis stets jegliche Demut gefehlt
hat, zieht sich jetzt ins Private zurück. Und nimmt seinen Nachfolger und
seinen Finanzminister gleich mit.
Gemeinsam rein, gemeinsam raus, nach uns die Sintflut: Nicht nur in seiner
Migrationspolitik, sondern auch im Amtsverständnis ist der Jungkonservative
das Gegenmodell zu Merkel. Ihr glaubt man, dass sie die Macht einfach
ausziehen kann wie einen ihren berühmten Blazer. Dem eitlen Kurz aber nimmt
man seine neue Papa-Rolle höchstens als PR-Move ab, um, scheinbar
geläutert, seine erneute Rückkehr an die Macht vorzubereiten.
Nein, einen Zapfenstreich hat Sebastian Kurz nicht verdient, aber wenn man
sich zu seinem Abgang ein Lied vorstellen kann, dann [4][Falcos „Egoist“]:
Ganz oben auf der Liste. Ja da stehe ich. Du mußt mir schon verzeih’n. Aber
ich liebe mich.
3 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=7tGYAEabLpA
[2] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/av7/video-berlin-angela-merkel-zapfen…
[3] /Das-politische-Ende-von-Sebastian-Kurz/!5816003
[4] https://www.youtube.com/watch?v=bysD5pKE4p8
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
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