# taz.de -- Rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern: Es geht auch ohne Lie… | |
> In Mecklenburg-Vorpommern werden die Koalitionsverhandlungen so | |
> harmonisch inszeniert, als seien sie ein Werbespot für Kaffee. | |
Bild: Sicher ginge es noch herzlicher. Aber muss das auch wirklich sein? | |
Konflikte? Streit? Nein, so etwas habe es nicht gegeben sagt | |
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig über die Gespräche, bei denen ihre SPD | |
und Die Linke ausbaldowert haben, wie sie Mecklenburg-Vorpommern in den | |
kommenden fünf Jahren regieren wollen. Gleich in ihrem Eingangsstatement | |
zur [1][Präsentation des Koalitionsvertragsentwurfs] Anfang dieser Woche | |
erlaubt sie sich mit Blick auf ihre neue Partnerin „die Frau Oldenburg zu | |
zitieren“, die am Anfang der ersten Verhandlungsrunde gesagt habe, ihr | |
Wunsch sei, dass alle Vorhaben der kommenden Legislaturperiode „gemeinsame | |
Vorhaben“ seien. | |
Also gemeinsam. Alles gemeinsam. Gemeinsam mit ihr und gemeinsam mit Simone | |
Oldenburg, die bestimmt Bildungsministerin werden wird, gemeinsam von SPD | |
und Linkspartei, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern, gemeinsam mit | |
der kommunalen Ebene, du ahnst gar nicht, wo überall sich das gute alte | |
Adjektiv einfügen lässt, fast auf jeder Seite des Vertrags einmal und damit | |
dreimal so oft, wie im großkoalitionären rot-schwarzen Vorgängerdokument. | |
„Hier“, schreibt die Schweriner Volkszeitung mit Blick auf die neue | |
Partnerschaft, „haben sich offenbar zwei gefunden.“ | |
Der Kommentar bemüht die Metapher der Liebesheirat: Von Anfang der | |
Koalitionsverhandlungen an haben sich Manuela Schwesig und Simone Oldenburg | |
als ein harmonisches Duo entworfen, als Partnerinnen. Und auch wenn die | |
filmerfahrene Ministerpräsidentin (in dem späten DDR-Film „Verbotene Liebe�… | |
von Helmut Dziuba aus dem Jahr 1990 spielte die damals 15-Jährige eine | |
Nebenrolle) ihr darstellerisches Potenzial bei den Auftritten an der Seite | |
der designierten Bündnispartnerin nicht abruft und die Inszenierung | |
insgesamt eher hölzern bleibt: das Bild verfängt. Dass die Chemie stimme, | |
war die Standardfloskel der Berichterstattung. | |
Wie das kommt, wo die zwei doch in der vergangenen Legislatur naturgemäß | |
auf Konfrontationskurs waren, bleibt unerörtert, und was das bedeutet, erst | |
recht. Die persönliche Übereinstimmung wird selbst zum Sujet, einem Claim, | |
der auch Kaffeewerbung sein könnte: [2][Rot-rote Koalition – wunderbar!] | |
Es gibt, wohlgemerkt, keine Anzeichen dafür, dass diese konstruktive | |
Atmosphäre nur vorgetäuscht wäre. Sie erklärt das Tempo und ist | |
entscheidend fürs Gelingen der Gespräche. Liebe, eine innige Freundschaft | |
der zwei Frauen, die einander konsequent siezen und auch im Wahlkampf keine | |
Neigung zu bratwurstigem Bierzeltdistanzverlust gezeigt hatten, war dafür | |
nicht vonnöten. | |
## Abschied ohne Schmerzen | |
Sich von einer schon vor der Wahl quengeligen und immer wieder [3][mit | |
Nazikontakten] auffälligen CDU zu trennen, kann Schwesig keine schlaflosen | |
Nächte bereitet haben. Und dazu politische Angriffe persönlich zu nehmen, | |
hatte ihr Oppositionspolitikerin Oldenburg höchstens 2019 mal Gelegenheit | |
gegeben: dass die Schwesigs ihre Kinder lieber auf eine Schule in freier | |
Trägerschaft schicken, hatte die Ministerpräsidentin damals umgehend als | |
rein private Entscheidung gelabelt. | |
Umgekehrt ist für Die Linke die Machtbeteiligung eine Art Rettung vorm | |
Untergang. Woher ihr Wahldebakel in Mecklenburg-Vorpommern rührt, ist so | |
ohne Weiteres rational nicht zu erklären. Sie hatte hier ja fast alles | |
anders als im Bund – sprich: richtig gemacht. Gleich nach der Wahl war 2016 | |
die Spitze erneuert worden: Landestochter Simone Oldenburg, | |
Grundschulrektorin, löste den Apparatschik Helmut Holter ab. | |
Versierte Bildungspolitikerin, strukturierte Fraktionsvorsitzende, innere | |
Streitigkeiten befriedet, die CDU-Skandale angeprangert, die sachliche | |
Krisenarbeit mitgetragen – [4][trotzdem abgestraft mit knapp über 11 | |
Prozent bei der Wahl;] da kann man doch fast verzweifeln. Aber dann … Also, | |
sie sei überrascht gewesen und habe sich über den Anruf gefreut, hat | |
Oldenburg gesagt, mit dem Frau Schwesig ihr die Juniorpartnerschaft antrug, | |
sehr sogar. | |
Die Demut, mit der Die Linke in die Regierungsbildungsvorbereitung sich | |
einschmiegt, hätte die SPD nur mit einem herrischen Auftreten kaputtmachen | |
können. | |
Aber Unterwerfungsrituale sind Teil einer Machokultur. „Vielleicht spielt | |
es eben doch eine Rolle, dass zwei Frauen verhandelt haben“, so die | |
ehemalige Bundesministerin, „dafür, dass es nicht ganz so poltrig | |
zugegangen ist.“ Souverän ist, wer sich nicht immer beweisen muss, der | |
Policy-Dictator zu sein. Die Linie des Koalitionsvertrags heißt – dem | |
Wahlergebnis angemessen: Weiter so. Mit besserem Gefühl. | |
## Der Feind steht rechts | |
Inhaltlich starke Differenzen zu einem Koalitionsvertrag mit der Union gibt | |
es dagegen nur zwei: Beim Kampf gegen politischen Extremismus fehlt die für | |
Christdemokrat*innen obligatorische Beschwörung des Hufeisens. | |
Stattdessen steht da nun der empirisch gedeckte Satz: „Die größte Bedrohung | |
für die demokratische Gesellschaft stellt nach wie vor der | |
Rechtsextremismus dar.“ | |
Und, das ist eine echte Setzung, zum NSU-Komplex wird ein parlamentarischer | |
Untersuchungsausschuss eingerichtet, der zudem „um das Thema rechtsextremes | |
Netzwerk,Nordkreuz' erweitert“ werden soll. [5][Dagegen hätte sich die CDU | |
ganz sicher gewehrt]. | |
Schwesigs Wiederwahl ist für Montag geplant. Zuvor, nämlich am Freitagabend | |
nach Redaktionsschluss und Samstag, [6][wird der Koalitionsvertrag] durch | |
die beiden Parteitage hindurchgegangen sein wie ein angewärmtes Messer | |
durch die weiche Butter fürs Frühstückscroissant. | |
13 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gerechtes-mv.de/ | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=WsY1dJ6kcqc | |
[3] https://www.deutschlandfunkkultur.de/philipp-amthor-laesst-sich-mit-neonazi… | |
[4] https://www.laiv-mv.de/Wahlen/Landtagswahlen/2021/ | |
[5] /Nordkreuz/!t5611278 | |
[6] https://spd-mvp.de/meldungen/koalitionsvertrag | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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