# taz.de -- Gerhard Steidls Kunsthaus Göttingen: Die Schönheit der Tiere | |
> Das Kunsthaus Göttingen ist Teil von Gerhard Steidls geplantem | |
> Kunstquartier. Die erste Ausstellung gilt dem „Modell Tier“ in der | |
> Fotografie. | |
Bild: Zu sehen im Kunsthaus Göttingen: Jo Longhurst, I know what you are think… | |
[1][An aktuellen Ausstellungen zum Klimawandel mangelt es nicht.] Nun | |
beschäftigen sich zunehmend mehr Künstler speziell mit den Lebensräumen von | |
Tieren und ihrer Darstellung im Bild. Die Schau „Modell Tier“ im Kunsthaus | |
Göttingen stellt acht zeitgenössische Positionen vor. | |
Dass der Schwerpunkt auf fotografischen Arbeiten liegt, verwundert nicht, | |
schließlich war die Kuratorin [2][Ute Eskildsen] bis zu ihrer Pensionierung | |
als Leiterin der fotografischen Sammlung am Museum Folkwang tätig. Dort | |
hatte sie sich bereits 2006 in einer großen Übersichtsschau unter | |
unterschiedlichen Aspekten dem Phänomen Tier gewidmet. In Göttingen stehen | |
der Ausstellungsmacherin nun wesentlich kleinere Räumlichkeiten zur | |
Verfügung. Diese nutzt sie aber dramaturgisch sehr gut, um die | |
ausgestellten Werke in einen Dialog zu setzen. | |
Den Auftakt geben im Erdgeschoss Jo Langhursts Porträts von Windhunden. Die | |
English Wippets stehen einzeln vor einem neutralen Hintergrund und schauen | |
den Betrachter direkt an. Ungewöhnlich ist, dass nicht das ganze Tier | |
abgebildet ist, sondern jeweils nur dessen Kopf und Brust. Dadurch | |
verschiebt sich die Wahrnehmung. Statt der extremen Dürrheit der Jagdhunde | |
steht die Individualität des einzelnen Tieres im Fokus. | |
## Frei lebende Schakale im Nachtsichtgerät | |
Bei Michal Rovner wird der Besucher zum beobachteten Subjekt. Die | |
israelische Künstlerin filmte mit einem Nachtsichtgerät frei lebende | |
Schakale. Die grobkörnig-grauen Videos werden auf zwei gegenüberliegende | |
Wände in einem ansonsten leeren Raum projiziert, sodass der Betrachter | |
gleichsam zwischen den Tieren steht. Verstärkt wird die unheimliche | |
Atmosphäre durch die Augen der Schakale, die aufgrund der Aufnahmetechnik | |
wie weiße Punkte leuchten. | |
Die von Thomas Struth fotografierten Füchse, Bären und Wildkatzen aus der | |
Sammlung eines zoologischen Instituts wurden nicht wie üblich in Haltungen | |
präpariert, die Lebendigkeit vortäuschen. Stattdessen sind sie ganz | |
offensichtlich tot. Ein deutlicher Verweis darauf, dass die abgebildeten | |
Arten vom Aussterben bedroht sind. Wurden in der Geschichte der Kunst | |
beispielsweise Ratten oder Fliegen als Vanitas-Symbole genutzt, so sind die | |
hier abgebildeten Tiere Stellvertreter ihrer eigenen Art. | |
Eines wissenschaftlichen Zugangs bediente sich ebenfalls Sanna Kannisto für | |
ihre poetisch anmutende Rauminstallation. In einem mobilen Feldstudio | |
filmte die Finnin vor weißem Hintergrund kleine Vögel, die auf zierlichen | |
Zweigen sitzen. Wie in den Bildern von Jo Longhurst blendet die Künstlerin | |
den Kontext aus, um den Blick auf die Schönheit und Details der Tiere zu | |
lenken. | |
## Tiergeschichten in Kinderbuchillustrationen | |
Weitere Arbeiten der Ausstellung stammen von Roni Horn, Tomasz Gudzowaty, | |
Olivier Richon und einer Arbeitsgruppe der Universität Göttingen, die mit | |
Fotofallen Tierbestände erfasst. Eine feine Ergänzung zu Film und Foto sind | |
die Illustrationen für Kinderbücher, in denen Wolf Erlbruch kuriose | |
Tiergeschichten erzählt. Die wohl bekannteste handelt vom Maulwurf, dem ein | |
anderes Tier auf den Kopf gemacht hat. Erlbruchs heitere Bilderwelt ist | |
eine wohltuende Auflockerung in dem überbetont sachlich-strengen Kunsthaus. | |
Dessen sachlich-strenge Architektur stammt vom Leipziger Atelier ST, dem | |
zweitplatzierten Büro im 2016 von der Stadt und [3][Gerhard Steidl] | |
ausgeschriebenen Architekturwettbewerb. Das Haus ist Teil von Gerhard | |
Steidls Kunstquartier. Mit ihm will der Göttinger Verleger das eher öde | |
Universitätsstädtchen aufwerten und beleben. | |
Neben dem Verlagshaus und einem Gästehaus, in dem Künstler und Autoren | |
während der Buchproduktion beherbergt werden können, ließ Steidl ein | |
Fachwerkhaus aus dem 14. Jahrhundert zum Günther-Grass-Archiv umbauen. Im | |
vergangenen Jahr eröffnete dann das Kunsthaus Göttingen, in dem | |
Papierarbeiten, Fotografie und neue Medien gezeigt werden. | |
## DGPH-Kulturpreis für Ute Eskildsen | |
Als nun Mitte Oktober im Kunsthaus die Verleihung des DGPH-Kulturpreises an | |
Ute Eskildsen stattfand, stellte Gerhard Steidl zwei weitere Bauprojekte | |
vor. Auch ihre Architekten sind für ihren Minimalismus bekannt, ihren | |
Bauten ist jedoch stets ein Hauch fließender Eleganz eingeschrieben. | |
[4][Peter Zumthor] soll ein Haus für den Kinderbuchverlag Little Steidl | |
bauen, was aber seit Jahren aufgrund des Einspruchs vom Besitzer des | |
Nachbargrundstücks stockt. | |
Neu ist die Nachricht, dass [5][David Chipperfield] einen Turm plant, der | |
alle anderen Gebäude der Stadt überragt. Der Bau soll ein Papiermuseum und | |
einen Teil der privaten Fotobuchsammlung von Manfred Heiting beherbergen. | |
Ebenso gut und vermutlich noch passender, da er eng mit dem Verlag Steidl | |
verbandelt war, wäre sicher die Aufnahme von [6][Karl Lagerfelds] | |
legendärer Buchkollektion. Über deren Verbleib aber rätselt derzeit die | |
Fotoszene. | |
17 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Ausstellung-Ruhr-Ding-Klima/!5775854 | |
[2] https://www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=Ute+Eskildsen+taz | |
[3] https://www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=Gerhard+Steidl+taz | |
[4] https://www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=Peter+Zumthor+taz | |
[5] https://www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=David+Chipperfield+t… | |
[6] https://www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=Karl+Lagerfeld+taz | |
## AUTOREN | |
Markus Weckesser | |
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