# taz.de -- Musical von Schorsch Kamerun: Rettung für die „Affenüberholer“ | |
> Ex-Funpunker Schorsch Kamerun lässt in der Elektropop-Revue „Was?“ im | |
> Berliner Theater an der Parkaue verwirrte Außerirdische die Erde retten. | |
Bild: Das Musical macht sich über die Disziplinargesellschaft lustig | |
Die Idee ist hübsch. Mehrere Extraterrestrische, darunter sogar eine | |
extraterrestrische künstliche Intelligenz, kommen aus den Tiefen des | |
Weltalls als charakterliche Entwicklungshelfer zum Problemplaneten Erde. | |
Auch in fernen Galaxien hat man die zunehmende Menge an Weltraumschrott | |
beobachtet, die dieser „Schmutzplanet“ so in seine Umlaufbahn wirft. Die | |
CO2-Konzentration in der Atmosphäre und das Aufheizen der gesamten Gashülle | |
um den Festkörper wurden ebenfalls festgestellt. | |
Also kommt ein Raumschiff an. Das wurde von Bühnenbildnerin Katja Eichbaum | |
hübsch dezentral konzipiert. Ein Iglu-artiger Käfig ist mitten auf der | |
Bühne aufgebaut, in dem sich sensorbewehrte Wesen tummeln. Auf einem Screen | |
sieht man andere dieser Wesen Körperakrobatik vollführen. Es handele sich | |
um Fitmachübungen für die irdischen Schwerkraftverhältnisse, wird man | |
aufgeklärt. | |
Das sechsköpfige Bewegungsensemble kommt von der Berliner Schauspielschule | |
Die Etage. Das [1][Theater an der Parkaue in Berlin-Lichtenberg] betreibt | |
also in dieser zweiten Ensembleproduktion beträchtlichen personellen | |
Aufwand. | |
Das Raumschiff landet punktgenau im Ring Center, jener Shopping Mall, die | |
sich auch nach irdischen Maßstäben sehr nahe am Theater befindet. Diese | |
Konfrontation wird das gesamte Stück über herzhaft ausgeschlachtet. Die | |
Außerirdischen (Iona Nitulescu und Andrej von Sallwitz) wundern sich über | |
Konzepte wie Geld, Arbeit und Klassenunterschiede. | |
## Anarchische Punktradition | |
In bester anarchischer Punktradition, die Eigentum nur für die | |
allerekligste Form von Diebstahl hält, lässt [2][Autor Schorsch Kamerun] | |
eine klassische Kaufhausdiebin (Elisabeth Heckel) erst über die Bühne und | |
in später gezeigten Videosequenzen auch durch das echte Ring Center | |
strolchen. | |
Damit es dramatisch wird, werden als Gegenfiguren ein Centermanager (Jakob | |
Kraze) und dessen Sicherheitsadlatus (Florian Pabst) aufgeboten. Letzterer | |
trägt einen Overall mit der Aufschrift „Ordnungsamt“. Das kann man als | |
Kritik an den diversen public private Partnerships im Kommerzialisieren | |
jeglicher Lebens- und Austauschprozesse werten. | |
In Zeiten steigender Infektionszahlen zum Zeitpunkt von Proben und Premiere | |
wohnt dem Ordnungsamtmann freilich auch noch der Pandemiebekämpfungsaspekt | |
inne. | |
Wie es sich für eine Revue gehört, sind die Figuren Archetypen und | |
Klischeeverkörperungen. Sie handeln und agieren erwartbar. Aufgelockert | |
wird das Geschehen durch sanft das Ohr streichelnde Elektropop-Songs, die | |
der Musiker und Komponist Patrick Christensen aka PC Nackt aus den Tiefen | |
seines Boards hervorholt und denen Kamerun, Sänger der Hamburger Punkband | |
„Goldene Zitronen“, höchstselbst seine melodisch säuselnde Stimme leiht. | |
## Selbsterkenntnisprozess durch magischen Stein | |
Clou der Menschheitsbeglückung ist ein magischer Stein, dem man Sorgen, | |
Wünsche und Ängste anvertrauen kann und der in seinen Antworten eine Art | |
Mediations- und Selbsterkenntnisprozess einleitet. All das wird mal mehr | |
choreografisch, mal mehr musikalisch, mal mehr sprechtheatral ausagiert. | |
Die Menschen werden von den Außerirdischen im Übrigen als „Affenüberholer�… | |
bezeichnet – eine aparte Wortschöpfung, die sowohl das Immer-mehr und | |
Immer-schneller des Homo Capitalisticus aufnimmt als auch dessen | |
animalische Herkunft aus dem Reich der kletternden Säuger mitreflektiert. | |
„Was?“ ist also ein Nachhaltigkeitsmusical, in dem freilich auch ein paar | |
klassenkämpferische Aspekte mitschwingen. Kamerun vereint demnach das | |
politisch Beste von Grünen und Linken und entwickelt auch den eingängigen | |
Soundtrack plus Choreo dazu. | |
Als kurz vor Ende der Show das Publikum zum Artikulieren von Sorgen, | |
Ängsten und Wünschen aufgefordert wird, kommt als erster Vorschlag prompt: | |
„Kein Corona mehr.“ Da stimmen alle ein; allerdings muss bei der | |
Wunscherfüllung sogar der magische Stein der Außerirdischen klein | |
beigeben. | |
## Premierenfeier abgesagt | |
Die Premierenfeier wurde von den Co-Intendanten Alexander Riemenschneider | |
und Christina Schulz wegen der Coronazahlen abgesagt. Immerhin setzten sie | |
die schöne Tradition fort, namentlich all die zu nennen, die auch Backstage | |
an der Produktion beteiligt waren, und ihnen so zu danken. | |
„Was?“ macht sich leicht und locker über unsere Disziplinargesellschaft | |
lustig und regt an, über eine bessere Zukunft für einen weniger | |
geschundenen Planeten nachzudenken. | |
25 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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