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# taz.de -- Gezeichnete Autobiografie: Mangaboheme und Dämonen
> Shigeru Mizuki macht im dritten Band seiner gezeichneten Autobiografie
> seinen großen Appetit zum selbstironischen Leitmotiv.
Bild: Ausschnitt aus einer Seite aus Shigeru Mizuki, „Mangaka“
Hamm!“ – „Krnnsch!“ -„Mjam!“ … In seinen autobiografischen Comics…
sich Shigeru Mizuki oft selbst als gierigen Esser, der die Mahlzeiten nur
so in sich hineinschaufelt. Selbst als er während des Zweiten Weltkriegs an
Malaria erkrankte und mit dem Leben rang, gierte er nach Essbarem.
Und in späteren Jahren, als er ein gutbürgerliches Leben als anerkannter
Zeichner führte, schockierte er die eigene Familie mit kannibalischen
Gelüsten, da ihn eine von einer Südseereise mitgebrachte „Fressmaske“ zu
beherrschen schien. Könnte da die Fantasie des Zeichners mit ihm
durchgegangen sein?
In „Mangaka“, [1][dem dritten und abschließenden Teil seiner
Autobiografie], stellen Shigeru Mizukis großer Appetit und sein „robuster
Magen“ ein selbstironisches Leitmotiv seines Lebens dar, das von 1922 bis
2015 fast ein Jahrhundert dauerte und insgesamt rund 1.500 Mangaseiten
füllt. Mizuki veröffentlichte die Trilogie in Japan bereits 2001. Seine
Begeisterung für alte japanische Volksmythen, die sich um Geister und
Dämonen – sogenannte Yōkai –, drehen, spielt dabei eine noch zentralere
Rolle als das Essen.
Die Trilogie begann mit dem Band „Kindheit und Jugend“, in der er sein
Aufwachsen im ländlichen Japan in den 1920er und 30er Jahren bis zum
Zweiten Weltkrieg beschrieb. Im zweiten Band, „Kriegsjahre“, erzählte er
auf erschütternde Weise, wie eine Generation junger Soldaten im
Pazifikkrieg aufgerieben wurde. Höhepunkt ist das Kapitel, in dem der junge
Shigeru an Malaria erkrankt und im Lazarett während einer Bombardierung
seinen linken Arm verliert – den Arm, mit dem er zeichnet.
## Die von Hunger und Armut geprägte Nachkriegszeit
In der von Armut und Hunger geprägten Nachkriegszeit schlägt sich Mizuki
fortan mit Gelegenheitsjobs herum, unter anderem als Fischhändler, und
studiert an einer Kunstschule. Der junge Zeichner lernt, mit dem rechten
Arm zu arbeiten, und entdeckt das Kamishibai-Papiertheater als Medium für
sich, einen Vorläufer des Comics. Jedoch ist mit dieser allmählich
sterbenden Kunst kaum noch Geld zu verdienen, sodass Mizuki sich im –
ebenfalls schlecht bezahlten – Zeichnen von Mangas für Leihbibliotheken
versucht.
„Mangaka“ (Comiczeichner) knüpft hier an und beginnt mit der Darstellung
einer prekären Boheme, da damals selbst berühmte Mangaka am Hungertuch
nagten. Mizukis Privatleben erfährt eine Wendung, als seine Eltern ihm eine
Braut zuführen, Nunoe, die den 37-jährigen Eigenbrötler aus seinem
Junggesellendasein reißt. Die finanziellen Probleme bleiben lange präsent,
sodass der Zeichner häufiger Pfandleihen als Verlagshäuser aufsucht.
Doch Ende der 1950er Jahre stellen sich erste Erfolge ein, und allmählich
wird Mizuki zum etablierten Künstler, der sogar mehrere Assistenten
einstellen kann, die in seinem Haus in Kobe arbeiten. Das immense
Arbeitspensum und manche nervtötenden Assistenten führen Mizuki in einen
Burn-out. Auch deprimierende Episoden seines Lebens erzählt der Zeichner
auf unnachahmlich (tragi-) komische Weise, sodass die Lektüre durchweg
amüsant bleibt.
Gelegentlich lässt Mizuki auch der Fantasie freien Lauf, wenn er vom
Vertreter einer „Jenseitsversicherung“ aufgesucht wird, die ihm ewiges
Glück verkaufen möchte. In solch satirischen Episoden deutet er den
erstarkenden Wohlstand im wirtschaftlich blühenden Japan an.
## Seine Sehnsucht nach der Südsee
Von großer persönlicher Bedeutung sind für Mizuki die Passagen, in denen
ihn die Sehnsucht nach „dem Süden“ überkommt, nach der Insel Neubritannien
in Papua-Neuguinea, auf der er im Zweiten Weltkrieg stationiert war und wo
er sich nach Kriegsende niederlassen wollte. Die paradiesisch anmutenden
Landschaften und seine Freundschaft zum dortigen Stamm der „Waldmenschen“,
seine tiefe Freundschaft zu einigen von ihnen, veranlassen ihn eines Tages,
wieder dorthin zu reisen.
Hier gelingen Mizuki berührende Momente, da er vermitteln kann, dass er
trotz der kulturellen Unterschiedlichkeit im Stamm der Tolai
Geistesverwandte und Freunde fürs Leben gefunden hatte. Im Alter wird der
inzwischen gefeierte Mangaka geradezu reiselustig, wenn er den
verschiedenen Formen von Geistern in anderen Kulturen nachspürt.
Sein Wissensdurst führt ihn nach Taiwan, Australien oder Mexiko, wo er
Geistermasken sammelt oder sich magische Pilze von einer Schamanin
verabreichen lässt. Mizukis spirituell-ethnologische Detektivsuche führte
zur Veröffentlichung zahlreicher Bücher, die wie seine Comics in Japan ein
neues Interesse an den fast vergessenen Mythen weckten.
Dazu passend hat der Reprodukt Verlag die Herausgabe von Mizukis wohl
wichtigster und populärster Comicserie, „Kitaro“, begonnen, geplant sind 13
Bände. Die Grundzüge dazu entstammten einer populären Kamishibai-Serie aus
den 30er Jahren über einen Yokai-Jungen. Mizuki versuchte sich mehrmals
zwischen 1950 und 1960 an Adaptionen, die aber floppten.
## Kitaro, Sohn zweier Yokai
1965 überarbeitete er sein Konzept und machte einen neuen, nun immens
erfolgreichen Anlauf mit „Hakaba no Kitarō“ (Kitaro vom Friedhof) für das
Magazin Shōnen. 1967 wurde die Serie in „Gegege no Kitarō“ umbenannt –
„Gegege“ ist ein japanischer Grusel- oder Ekellaut wie „Iiieh!“ und
zugleich Mizukis Spitzname.
Die vorliegenden, ab 1965 entstandenen Kitaro-Comics haben meist
Kurzgeschichtencharakter, münden manchmal aber auch in längere
Fortsetzungsabenteuer. Kitaro ist der Sohn zweier Yokai, hat nur ein Auge
und trägt eine magische Weste, die aus den Haaren seiner Vorfahren gewebt
ist. Mizuki entwickelte um die Titelfigur Kitaro herum eine diverse Gruppe
von Andersartigen, eine japanische Horrorfamilie, vergleichbar der
US-amerikanischen „Addams Family“.
Sein ständiger Begleiter ist der Überrest seines toten Vaters: ein
lebender, sprechender Augapfel mit einem winzigen Körper. Der stets
besorgte Vater wacht aufmerksam über seinen Sohn und sorgt immer wieder für
den ein oder anderen schleimigen Gag. Obendrein zählt der kauzige
„Rattenmann“ zum festen Ensemble des liebenswerten kleinen Dämons.
In den Geschichten geht es meistens um Dämonen (manchmal auch Vampire oder
Hexen), die menschliche Siedlungen bedrohen. Kitaro, der sich einen Ruf als
Helfer in der Not erworben hat, tritt diesen bösen Yokai mit seinen
Fähigkeiten, seiner Listigkeit und seinen Freunden entgegen, sodass am Ende
das Gute siegt.
## Mizuki ist ein fantasievoller Erzähler mit Humor
Mizuki erweist sich als fantasievoller Erzähler mit Sinn für schräge,
absurd-komische Einfälle. Er greift dabei auf bekannte Horrortopoi zurück,
schöpft aber zugleich aus einem Fundus alter japanischer Legenden, die er
hin und wieder mit westlichen Horrormotiven pfiffig zu verbinden weiß.
Während manche Erzählungen schwarzhumorige Gruselkabinettstückchen bieten
(zum Beispiel „Der Geisterzug“, in den Mizuki sich selbst als bebrillten
Grobian hineinzeichnet) oder Variationen der „Godzilla“-Filmreihe enthalten
(„Das riesige Seeungeheuer“), glückt ihm auch so manch fantastisches
Meisterstück.
„Der Vampirbaum“ überzeugt besonders mit seiner beängstigenden
Visualisierung eines kaum fassbaren Schreckens à la H. P. Lovecraft: ein
Dämon namens „Strecker“ sucht eine Insel heim und dezimiert die dort
lebenden Menschen, verwandelt sie in sterbende Bäume. Mizukis Bilder
erinnern hier an Max Ernsts surreale Landschaften.
Typisch für Mizuki ist die Verbindung von stark karikiert gezeichneten
Charakteren mit detailreichen naturalistischen Hintergründen mit oft
hyperrealen Qualitäten, was an manches Meisterwerk der (westlichen)
Kunstgeschichte erinnert, etwa an Dürer, Brueghel oder Bosch.
Neben genretypischem Grusel kommen immer auch komische Elemente, von grobem
Slapstick, Satire bis hin zu schwarzem Humor zum Einsatz. Shigeru Mizukis
Kitaro-Comics aus den Sixties wirken auch heute noch erstaunlich frisch und
sind für Jung und Alt vergnüglich – sofern keine ausgeprägten Yokai-Ängste
vorliegen. Voll von erzählerischen Überraschungen feiern sie dabei subtil
das, was vom Bekannten abweicht.
15 Nov 2021
## LINKS
[1] /Japanischer-Comic-Grossmeister/!5686863
## AUTOREN
Ralph Trommer
## TAGS
Autobiographischer Comic
Manga
Japan Comics
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Mawil
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