Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Brutale Adventskalender und Plätze: Die Ausweitung der Fußgänger…
> Die Kolumnistin gruselt sich gern, aber mit schlechtem Gewissen. Auch
> städtisches Elend und elende Stadtplanung setzen ihr zu. Einkaufen hilft
> nicht.
Bild: Alle Jahre wieder schwingt er sein Hackebeil: Hannovers beliebtester Prom…
Als ich vorübergehend nicht in Hannover wohnte, hat mir meine Mama ungefähr
um diese Zeit immer [1][den Hannoverschen Adventskalender] gekauft. Der hat
vor Jahren einmal für Diskussionen gesorgt, weil darauf der Serienmörder
Fritz Haarmann als Comicfigur zu sehen ist.
Das ist natürlich moralisch höchst fragwürdig, brutale Sexualmorde an Jungs
und jungen Männern mal eben so zum unterhaltsamen Detail zu machen. Das
machen wir doch sonst eher mit weiblichen Opfern. Jedenfalls hörte man das
in letzter Zeit öfter in der Kritik an all diesen True-Crime-Formaten.
Marketing-technisch funktioniert das aber hervorragend und weil Hannover
ja auch sonst nicht so viele Prominente hat, druckt man Haarmann jedes Jahr
wieder auf den Kalender. Aufmerksamkeitsökonomie versteht man hier.
Wobei ich als Krimifan ja auch sagen muss: Ich glaube, unser Gehirn
unterscheidet einfach nicht zwischen wahrer Geschichte und fiktivem Tatort.
Es ist immer der gleiche wohlige Grusel, bis du selbst betroffen bist oder
jemand den du liebst – und dann erträgst du auch beides nicht mehr.
Aber möglicherweise bin ich auch einfach total stumpf oder nicht
hinreichend sensibilisiert. Erst seit Fatih Akin in einem Interview über
[2][seinen Film „Der Goldene Handschuh]“ sagte, er habe zeigen wollen, wie
traurig, widerlich und erbärmlich Gewalt gegen Frauen ist (und bei Gott das
hat er getan), ist mir aufgegangen, wie oft ich mir schon Gewaltszenen
angesehen habe, die eigentlich als Wichsvorlage inszeniert sind.
## Haarmanns Gefängnis ist heute eine städtische Problemzone
Etwas, was ich auch erst kürzlich gelernt habe, ist, dass das Gefängnis, in
dem Haarmann verhört und hingerichtet wurde, direkt hinter dem Bahnhof
stand, dort, wo jetzt der Raschplatz und der Pavillon sind. Auf einer der
hohen Backsteinmauern des königlichen Zellengefängnisses wuchs ein
„Hoffnungsbirke“ genannter Baum, [3][über den Theodor Lessing
schwurbelig-sentimentales Zeug] schreibt, während er ansonsten den
Polizeiskandal, der diese Haarmann-Geschichte umgibt, sauber seziert.
Ich weiß nicht genau, ob der Weißekreuzplatz direkt daneben auch noch zu
dem alten Gefängnisterrain gehörte, es würde aber einiges erklären. Das ist
einer dieser Plätze, die einen an der Zurechnungsfähigkeit von Stadtplanern
zweifeln lassen. Die begründen den sicher irgendwie mit
Sichtachsen-bla-fasel.
Es ist aber einfach eine Grünfläche, die sich eher nach Loch als nach Platz
anfühlt. Sie ist so angelegt, wie man früher mal Schulhöfe und
Kindergarten-Freilaufgehege gemacht hat: Eckig, flach und übersichtlich,
damit das Aufsichtspersonal nicht so viel Mühe hat. Natürlich sitzen die
wenigsten Menschen gerne auf einem rasenüberzogenen Präsentierteller,
deshalb sitzen und liegen dort nur noch Leute, deren Probleme erheblich
größer sind als so ein diffuses Unbehagen.
In der Pandemie hat sich die Masse der hier trinkenden oder Substanzen
konsumierenden Elenden und Gestrandeten deutlich vergrößert, mittlerweile
wird man selbst bei der Nutzung der Außengastronomie am Tisch gelegentlich
angebettelt. Fühlt sich an wie Urlaub in einem Entwicklungsland, nur das
Wetter ist schlechter.
## Als würde alles gut, wenn bloß die Autos weg wären
Ich habe ja prinzipiell eine hohe Toleranz, was Lärm und Schmutz und Chaos
angeht – das erleichtert mir das Leben mit meinen Kindern kolossal, aber
hier wird mir langsam wirklich mulmig. Man kann ja Empathie auch nicht
beliebig weit runterregeln, obwohl ich das hier jetzt versuche.
Die Stadt ist so rat- und hilflos wie alle anderen, irgendwas mit
Sozialarbeit, Ordnungsdienst, Beratungsstellen verlagern, murmelt man.
Gleichzeitig wird das Areal mit verschiedensten Stoßrichtungen „überplant�…
wie der Fachmann sagt. Von einem Radschnellweg war schon die Rede, und von
einer Ausweitung der Fußgängerzone.
Das scheint überhaupt die Antwort auf alle Fragen derzeit zu sein, vor
allem bei den Grünen. Mehr Fußgängerzone! Vor dem Bahnhof, hinter dem
Bahnhof, rund um die Marktkirche. Als würde alles gut, wenn bloß die Autos
weg wären.
Wie das mit den schrumpfenden Handelsflächen und der ohnehin schon tristen
Einkaufstraßenrealität der vorhanden Fußgängerzone zusammengeht, ist mir
ein Rätsel. Aber wahrscheinlich verstehe ich Einkaufsachsen genauso wenig
wie Sichtachsen.
13 Nov 2021
## LINKS
[1] https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/Freizeit-Sport/Feste-Saisonales/Wei…
[2] /Berlinale-Der-goldene-Handschuh/!5568976
[3] /!821572/
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Stadtplanung
Hannover
taz-Adventskalender
Kolumne Provinzhauptstadt
Kolumne Provinzhauptstadt
Kolumne Provinzhauptstadt
Hannover
Kolumne Provinzhauptstadt
taz-Adventskalender
True Crime
Serienmörder
Schwerpunkt Berlinale
## ARTIKEL ZUM THEMA
150. Geburtstag von Theodor Lessing: Lessing-faire in Hannover
Er ist einer der großen Söhne Hannovers und leider fast vergessen. Schade
eigentlich, findet die Kolumnistin. Lessing hilft doch sogar gegen
Haushalt.
Christmas Garden in Hannover: Ostalgisches Jahresanfangsgefunkel
Die Kolumnistin steht lange nach Weihnachten für den Christmas Garden an
und fragt sich, wer hier eigentlich ihren Blick auf Selfie-Kulissen prägt.
Weihnachtsbeleuchtung im Ex-Brennpunkt: Melancholisches Jahresendgefunkel
Zwischen diesen Corona-Jahren wird die Kolumnistin sentimental, aber
irgendwer leuchtet ihr schon heim – auch wenn da kein Altbau ist.
Straßengrabenkämpfe in Hannover: Road Rage auf der Einkaufsstraße
Die Kolumnistin findet Autofahren in der Innenstadt überflüssig, die CDU
und Vergleiche mit Saarbrücken aber eigentlich auch.
taz.berlin-Adventskalender (1): Kennenlernen vor der Kasse
Normalerweise spricht man die Menschen in der Supermarktschlange ja nicht
einfach so an. Oder doch? Über eine unverhoffte Begegnung.
Dokuserie „I'll be gone in the dark“: Der Versuch, es anders zu machen
Das Genre „True Crime“ wird zunehmend problematisiert. In der Sky-Serie
„I'll be gone in the Dark“ liegt der Fokus auf einer Rechercheurin und
Opfern.
Das Buch „Haarmann. Ein Kriminalroman“: Der Mann mit dem Hackebeil
Auch wegen ihres Nachnamens hat unsere Autorin Frauke Hamann den neuen
Roman über den Serienmörder Fritz Haarmann mit besonderem Interesse
gelesen.
Berlinale „Der goldene Handschuh“: Kaputte unter Kaputten
Fatih Akins Wettbewerbsbeitrag „Der goldene Handschuh“ ist ein Horrorfilm
nach realen Ereignissen. Und ein ambivalentes Kinoerlebnis.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.