# taz.de -- Lobbyismus bei Impfstoffbeschaffung: Anonym im Namen der EU | |
> Die gemeinsame Beschaffung der EU-Staaten von Covid-19-Impfstoffen ist | |
> für Hersteller enorm lukrativ. Wer hat hier verhandelt? | |
Bild: Produktion des Corona-Impfstoffs von Pfizer-Biontech im belgischen Puurs | |
BERLIN taz | Als die EU-Kommission die Aufgabe übernahm, im Namen der Union | |
Impfstoffe gegen Covid-19 zu beschaffen, setzten die 27 Mitgliedsstaaten | |
einen Lenkungsausschuss ein, der die Ausschreibungen überwachen sollte. | |
Zugleich benannten sie ein [1][siebenköpfiges Team], das die Verhandlungen | |
mit der Industrie führen sollte. Dafür entsandten Frankreich, Spanien, | |
Schweden, Deutschland, die Niederlande, Italien und Polen je eine_n | |
VertreterIn. | |
Diese vereinbarten den Kauf von 4,6 Milliarden Dosen und sicherten so die | |
Impfstoffversorgung für alle 448 Millionen EU-Bürger. Aber im Gegenzug | |
[2][beugten sie sich den Forderungen der Hersteller] und gewährten den | |
Pharmakonzernen Pfizer und Moderna große Gewinnspannen. Diese kassieren | |
19,50 beziehungsweise 22 Euro pro Impfdosis. Dabei kostet die Produktion | |
des modernen mRNA-Impfstoffs lediglich rund einen Euro pro Schuss, wie | |
[3][eine Studie des Imperial College London] zeigt. Dazu kommen zwar die | |
Entwicklungskosten. Aber auch die wurden zu großen Teilen aus den | |
Staatskassen finanziert. | |
Doch obwohl so viele Milliarden Euro an Steuergeldern freihändig vergeben | |
werden, sollen die EU-BürgerInnen nicht wissen, wer da in ihrem Namen | |
verhandelt. Würden die Personen bekannt, könnten sie „unter Druck“ gerate… | |
rechtfertigt die zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides die | |
Geheimhaltung. Und das könne „den Verhandlungsprozess und sein Ziel, Zugang | |
zu einem sicheren und erschwinglichen Covid-19-Impfstoff zu erhalten, | |
gefährden“, erklärte sie [4][auf eine parlamentarische Anfrage]. | |
Das will das EU-Parlament nicht akzeptieren und [5][fordert explizit die | |
Offenlegung] sowohl der Namen der VerhandlungsführerInnen als auch der von | |
ihnen vereinbarten Verträge. [6][„Transparenz ist eine Grundvoraussetzung, | |
um die Legitimität der gemeinsamen Beschaffung in der EU zu | |
gewährleisten“], erklärte die konservative spanische Abgeordnete Dolors | |
Montserrat, die den Parlamentsbericht verfasste. | |
## Verbindungen zur Pharmabranche | |
„Die Öffentlichkeit hat das Recht zu wissen, wer im Namen der EU | |
verhandelt“, sagt auch Olivier Hoedeman, Chef des Corporate Europe | |
Observatory (CEO), einer Nichtregierungsorganisation, die den Einfluss der | |
Industrie in Brüssel verfolgt. Nur mit Nennung der Verantwortlichen sei es | |
möglich, „deren potenzielle Interessenkonflikte zu beurteilen.“ Das | |
Journalistenteam Investigate Europe (IE) ist darum der Identität der | |
geheimen Dealmaker nachgegangen. | |
Der schwedische Verhandlungsführer Richard Bergström war am leichtesten zu | |
finden. Als [7][Impfstoffkoordinator des Landes] macht er keinen Hehl aus | |
seiner Beteiligung am Verhandlungsteam der EU. Er ist der einzige der | |
Beteiligten, der zunächst auf die Fragen von IE geantwortet hat. „Ich sehe | |
keine Notwendigkeit für diese Geheimhaltung, weil meine Regierung der | |
Meinung ist, dass es nicht geheim sein kann, dass ich diesen Job mache“, | |
erklärte er schon im September. | |
Bergström hat aber nicht immer für die schwedische Regierung gearbeitet. Er | |
verbrachte fast drei Jahrzehnte im privaten Pharmasektor, darunter fünf | |
Jahre als Leiter des europäischen Lobbyverbandes Efpia. Befragt nach dieser | |
Vita, wich er aus: „Das ist schon lange her. Die Ergebnisse haben bewiesen, | |
dass wir ziemlich gute Verhandlungspartner waren, ich möchte nicht über | |
mich selbst sprechen.“ | |
Aber Bergström unterhält bis heute Verbindungen zur Pharmabranche. Nach | |
seinen [8][Angaben bei Linkedin] ist er Senior Partner bei Hölzle Buri | |
Partners Consulting (HBPC) und Geschäftsführer bei Bergström Consulting | |
GmbH. HBPC unterstützt nach eigenen Angaben den US-Pharmaverband PhRMA. Zu | |
dessen Mitgliedern gehören AstraZeneca, Johnson & Johnson, Pfizer und | |
Sanofi – alles Unternehmen, die Impfstoffverträge mit der EU haben. | |
Einer der Geschäftsführer der Bergström Consulting wiederum ist Walter | |
Peter Hölzle, Eigentümer von HBPC und ehemaliger Chef des Schweizer | |
Pharmaverbandes Vips. HBPC und Bergström Consulting haben sogar die gleiche | |
Adresse in Zug, Schweiz. | |
Darüber hinaus war Bergström bis vor Kurzem zuständig für die | |
Kundenentwicklung bei PharmaCCX, das er [9][2016 mit begründet] hat. Das | |
Unternehmen entwickelt Lösungen, die „Geschäfte zwischen Kostenträgern und | |
Pharmaunternehmen erleichtern“. Im Februar 2021, als er bereits | |
EU-Verhandlungsführer war, erschien Bergström [10][in einem Werbevideo mit | |
Nathan Sigworth], seinem damaligen Partner bei PharmaCCX, und bekannte | |
offen: „Ich war der Cheflobbyist für Pharma in Brüssel.“ | |
Gleichwohl unterschrieb auch Bergström genau wie alle weiteren | |
EU-Verhandlungsführer [11][eine Erklärung, dass keine Interessenkonflikte | |
bestehen]. Wie das zu seinen Verbindungen zur Pharmaindustrie passt, | |
kümmerte die EU-Kommission anscheinend nicht. Personen, die den | |
Verhandlungen nahestehen, erklärten gegenüber IE, dass die EU-Beamten | |
häufig auf Bergströms Fachwissen zurückgreifen. „Er war von Anfang an der | |
fachkundigste Vertreter“, versichert einer der Insider. | |
Ein hochrangiger Gesundheitsbeamter aus einem nordischen Land meint sogar, | |
er „verfüge über Kompetenzen, die bei Verhandlungen von großer Bedeutung | |
sind. Er weiß, wie weit man gehen kann.“ Das überzeugt den Lobbyexperten | |
Olivier Hoedeman von CEO nicht. Bergström habe „eindeutig | |
Interessenkonflikte und hätte nie in das gemeinsame Verhandlungsteam | |
aufgenommen werden dürfen“, kritisiert er. „Er ist ideologisch auf der | |
Seite von Big Pharma und ihrem Modell der Monopolpatente.“ | |
Die anderen EU-Regierungen wählten VertreterInnen ohne direkte Verbindung | |
zur Pharmaindustrie. Die spanischen Behörden ernannten María Jesús Lamas | |
zum Mitglied des Lenkungsausschusses und César Hernández García zum | |
Mitglied des Verhandlungsteams. Beide stehen an der Spitze der spanischen | |
Arzneimittelbehörde (AEMPS). | |
## Deutschlands Gesundheitsministerium schweigt | |
Die niederländische Regierung wählte Roland Driece für beide Aufgaben aus. | |
Er ist Direktor für internationale Angelegenheiten im niederländischen | |
Gesundheitsministerium. In Italien bestätigte der Epidemiologe des | |
Gesundheitsministeriums Giovanni Rezza, dass er dem Lenkungsausschuss | |
angehört. Wer für das Land im Verhandlungsteam sitzt, mochte die | |
italienische Regierung dagegen nicht sagen. | |
In Polen gehen Kenner davon aus, dass die Verhandlungsführer für die URPL | |
arbeiten, die Arzneimittelagentur des Landes. Ein Sprecher lehnte aber eine | |
Stellungnahme ab. Keiner der Genannten war bereit, sich zum Verlauf der | |
Verhandlungen und zu den hohen Preisen zu äußern. | |
Die französische Regierung wiederum sandte Beamte des Wirtschafts- und | |
Finanzministeriums. Zwei Namen sind Insidern bekannt: Pierre Cunéo für das | |
gemeinsame Verhandlungsteam und Edgar Tilly für den Lenkungsausschuss. | |
Beide sind Mitglieder der französischen Covid-19-Impfstoff-Taskforce. Cunéo | |
war zuletzt Direktor von Opale Defense, einem Konsortium, das mit dem | |
Aufbau des neuen französischen Verteidigungsministeriums beauftragt war. Er | |
wurde erstmals bei einer Senatsanhörung im Juni 2021 öffentlich mit der | |
Impfstoffbeschaffung in Verbindung gebracht. Tilly ist ein ehemaliger | |
Redenschreiber des französischen Finanzministers Bruno Le Maire. Die | |
Regierung lehnte es ab, die Namen zu bestätigen. | |
Auch in Deutschland verweigert das Gesundheitsministerium jede Auskunft. | |
Kenner berichten, Thomas Müller, Leiter der Abteilung für Arzneimittel, und | |
Thiemo Steinrücken, einer seiner Stellvertreter, seien für die | |
Bundesregierung dabei. Demnach sitzt Müller im Lenkungsausschuss, während | |
Steinrücken „für so ziemlich alles zuständig ist, was mit der Beschaffung | |
von Impfstoffen zu tun hat“. | |
## Sprachrohr der Pharmaindustrie | |
Auf EU-Ebene hätten sich die Deutschen häufig als Sprachrohr der | |
Pharmaindustrie betätigt, behaupten mehrere Personen, die bei den | |
EU-Verhandlungen zur Impfstoffpolitik dabei waren. „Deutschland setzt sich | |
für die Interessen der Industrie ein, vor allem international“, sagt einer. | |
Und der Pfizer-Konzern sei „der absolute Gewinner in dieser Situation. Sie | |
können die Regeln diktieren. Weil sie sich als der zuverlässigste Verkäufer | |
erwiesen haben, können sie es sich leisten, zu verlangen, was sie wollen.“ | |
Pfizer und sein deutscher Partner Biontech sind denn auch in der letzten | |
Vertragsrunde mit [12][1,8 Milliarden bestellten Dosen] die | |
Hauptlieferanten der EU geworden. | |
Zur Vorbereitung auf künftige Pandemien plant die Bundesregierung nun, mit | |
den Herstellern eine Produktionskapazität von [13][600 Millionen Impfdosen | |
pro Jahr] vertraglich zu sichern, ein Drittel der geplanten Produktion für | |
die gesamte EU. Das geht aus einem als „strikt vertraulich“ deklarierten | |
Dokument der Taskforce Impfstoffe des Bundes hervor, das IE vorliegt. | |
Demnach verfolgen die Verantwortlichen noch immer ausschließlich das | |
nationale Interesse. Die künftigen Vereinbarungen enthalten die | |
Verpflichtung, „Produktionsstätten in Deutschland“ zu errichten, heißt es | |
darin. Eine „Übertragbarkeit in die EU“ soll nur „im Bedarfsfall möglic… | |
sein. Die Verantwortung für die weltweite Verteilung wird nicht erwähnt. | |
Maxence Peigné und Harald Schumann sind Teil des multinationalen | |
Rechercheteams [14][Investigate Europe]. | |
4 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://ec.europa.eu/info/live-work-travel-eu/coronavirus-response/safe-cov… | |
[2] https://www.investigate-europe.eu/de/2021/eu-negotiators-covid-19-vaccine-p… | |
[3] https://www.citizen.org/article/how-to-make-enough-vaccine-for-the-world-in… | |
[4] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/E-9-2020-005067-ASW_EN.html | |
[5] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0435_EN.html | |
[6] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/CRE-9-2021-09-16-ITM-013_EN.h… | |
[7] https://www.government.se/articles/2020/07/about-the-covid-19-virus-for-old… | |
[8] https://www.linkedin.com/in/richard-bergstrom-62ab07198/?originalSubdomain=… | |
[9] https://www.pharmaccx.com/about | |
[10] https://www.moneyhouse.ch/en/company/bergstroem-consulting-gmbh-11506835021 | |
[11] https://www.asktheeu.org/en/request/9317/response/32074/attach/2/declarati… | |
[12] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_21_2548 | |
[13] https://www.reuters.com/world/europe/germany-build-up-reserve-vaccine-capa… | |
[14] https://www.investigate-europe.eu/de/ | |
## AUTOREN | |
Harald Schumann | |
Maxence Peigné | |
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