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# taz.de -- Corona-Lage in Krankenhäusern: Es trifft auch die anderen
> Die Lage auf den Intensivstationen spitzt sich zu. Leidtragende sind auch
> all jene, deren Operationen verschoben werden müssen.
Bild: In Sachsen werden die Betten jetzt schon bedenklich knapp. Intensivstatio…
Rieke P. wurde immerhin gefragt. Sie hatte Darmkrebs im Frühstadium. Es
würde keine komplizierte Operation werden, sagten ihr die Ärzt:innen. Doch
vier Tage vor ihrem OP-Termin fragte die Klinikleitung, ob sie
einverstanden wäre, dass die OP verschoben werde.
Im Frühjahr 2020 war das. Die Ärzt:innen rechneten im Zuge der ersten
Coronawelle mit einem Ansturm an Covid-19-Patient:innen. Alle Behandlungen,
die nicht dringend notwendig seien, sollten verschoben werden. Auch der
Onkologe riet ihr dazu. Sie wolle schließlich nicht angesteckt werden, wenn
das Krankenhaus voll mit Covid-19-Infizierten werde. P., die mit vollem
Namen nicht genannt werden möchte, willigte ein. Als ihre OP vier Monate
später nachgeholt wurde, hatte der Tumor gestreut.
Nach Schätzungen der Deutschen Krebshilfe mussten in der ersten Coronawelle
rund 50.000 Krebsoperationen verschoben werden. Das entsprach einem Viertel
aller geplanten Eingriffe. Wie viele verschobene Operationen und
Behandlungen es bundesweit in der zweiten und dritten Welle gab, ist
offiziell nicht erfasst. Nach Angaben der Krankenkasse AOK lag das Minus
zwischen Oktober 2020 und Januar 2021 bei 20 Prozent im Vergleich zum
Vorjahreszeitraum, also vor Beginn der Pandemie.
Nun, da die Infektionszahlen seit einigen Wochen wieder dramatisch steigen,
ist die Frage: Wie wirkt sich dies auf die Versorgung in den Krankenhäusern
aus – und zwar nicht nur für Covid-19-Patient:innen?
Derzeit stecken sich täglich sogar mehr Menschen an als Anfang November
vergangenen Jahres. Das Robert-Koch-Institut meldete am Freitag mit 37.120
neuen Coronafällen den höchsten Tageswert in der Pandemie überhaupt. Das
sind 12.452 mehr als noch vor einer Woche. 154 Menschen starben im
Zusammenhang mit dem Virus. Spitzenreiter Thüringen verzeichnete einen
Anstieg der Inzidenz auf 386,9, mehr als doppelt so hoch wie der
Bundesdurchschnitt. Sachsen folgt mit 385,7. Der sächsische
Ministerpräsident Michael Kretschmer nennt die Coronalage dramatisch.
Es ist also wieder sehr viel Virus im Umlauf. Was die Lage in den
Krankenhäusern angeht, herrschen regional im Moment große Unterschiede.
Bundesweit ist die Zahl der Intensivpatient:innen kontinuierlich
gestiegen und lag Mitte der Woche bei 2.220. Während im November vor einem
Jahr die Intensivstationen täglich mehr als 300 Menschen aufnehmen mussten,
sind es dem Institut für Statistik an der Universität München zufolge
derzeit nur etwa halb so viele. Expert:innen führen das auf die Quote
der Doppeltgeimpften von knapp 67 Prozent zurück. Allerdings: In Sachsen
und Thüringen werden die Betten jetzt schon bedenklich knapp.
Grund zur Entwarnung gibt es also nicht. Es kursiert im Vergleich zum
Vorjahr die deutlich ansteckendere Deltavariante, und 25 Millionen
Bundesbürger:innen sind nicht geimpft. Schon jetzt sind nach Angaben
der Deutschen Krankenhausgesellschaft 90 Prozent der
Intensivpatient:innen ungeimpft. Das Kieler Institut für
Weltwirtschaft hat kürzlich ausgerechnet, dass die Behandlung ungeimpfter
Covid-19-Patient:innen im Winter bis zu 180 Millionen Euro pro Woche kosten
könnte.
## „Pandemie der Ungeimpften“
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sprach von einer „Pandemie der
Ungeimpften“ und warnte bereits vor einer Überlastung der Krankenhäuser in
seinem Bundesland. „Wir werden in den nächsten Tagen an die Situation
kommen, dass wir nicht mehr genügend Intensivbetten haben“, sagte der
Linken-Politiker im ZDF. Man könne zwar garantieren, dass jede:r
Erkrankte:r Hilfe bekomme, aber eben nicht mehr in Thüringer
Krankenhäusern.
Doch wieder könnte es auch jene treffen, die wegen anderer Erkrankungen im
Krankenhaus behandelt werden müssen. Wenn sich diese Entwicklung entlang
der Prognosen fortsetzt, drohe in den nächsten Wochen auch eine „deutliche
Einschränkung der Versorgung der Nicht-Covid-19-Patientinnen und
-Patienten“, warnte Anfang der Woche Martin Kreis, Chef der
Krankenversorgung in Deutschlands größter Universitätsklinik Charité.
Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für
Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), rechnet mit einer ähnlichen
Überlastung wie im vergangenen Jahr. Der kommende Winter werde sich kaum
vom vergangenen unterscheiden, sagt er. Und wieder müssten Operationen
abgesagt und Pflegepersonal aus anderen Bereichen abgezogen werden,
befürchtet der Intensivmediziner.
Marx weist auf ein weiteres gravierendes Problem hin: Bundesweit gibt es
deutlich weniger Intensivbetten als noch vor einem Jahr. Denn auch in den
Monaten der Pandemie mit sinkenden Coronafallzahlen gab es für die
Beschäftigten insbesondere in den Intensivstationen keine Verschnaufpause.
Viele verschobene Operationen mussten schließlich nachgeholt werden.
Felix Walcher, ebenfalls Präsidiumsmitglied beim Divi, warnte bereits zu
Beginn des Jahres vor einer Überlastung des Personals. Sehr viele seien
ausgebrannt. Es gebe viele Burn-out-Fälle und Rückzugserscheinungen. Die
Angst der Intensivmediziner, in den darauffolgenden Monaten könnten viele
vom Pflegepersonal das Handtuch werfen, hat sich nun bewahrheitet. „Wir
haben zwar nur rund 1.600 Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen“,
rechnet Marx vor. „Gleichzeitig fehlen uns aber mehr als 4.000 Betten im
Vergleich zum letzten Jahr.“
## Personalschwund bei Vivantes
Hinzu kommt außerdem, dass sich die Behandlungsintensität der
Covid-19-Patient:innen teilweise von den vergangenen Wellen unterscheidet.
So heißt es etwa aus dem Berliner Vivantes, Deutschlands größtem kommunalem
Krankenhauskonzern, dass zwar aufgrund der Impfungen kaum noch sogenannte
Kurzlieger stationär aufgenommen werden müssten. Dafür sei die Verweildauer
der älteren und ungeimpften jüngeren Patient*innen relativ länger und
diese Patient:innengruppe müsse häufiger auf einer Intensivstation
behandelt werden.
Bei Vivantes erwartet man ebenfalls einen deutlichen Anstieg der stationär
zu versorgenden Patient*innen im weiteren Pandemieverlauf. Und wie im
bundesweiten Trend sei auch bei Vivantes ein gewisser Personalschwund zu
verzeichnen, „unter anderem, weil Mitarbeitende nach drei Covid-Wellen
zunehmend erschöpft sind und teils den Beruf verlassen haben“, sagte ein
Sprecher.
Weniger Intensivbetten und Prognosen für mehr Patient:innen, die auch noch
länger auf den Intensivstationen liegen müssen: Als Lösung für dieses
Problem fordern sowohl Charité als auch Vivantes, erneut Intensivbetten für
die Behandlung von Covid-19-Patient:innen freizuhalten. Sogenannte
Freihaltepauschalen gab es bereits in vergangenen Coronawellen, um sich auf
den erwarteten Anstieg an Covid-19-Patient:innen auf den Intensivstationen
vorzubereiten. In die Situation schwieriger Triage-Entscheidungen – also
der Priorisierung von Patient:innen, etwa weil nicht genügend
Beatmungsplätze zur Verfügung stehen – will schließlich kein Krankenhaus
kommen.
Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass wieder geplante andere
Behandlungen und Operationen verschoben werden müssten. Schon jetzt sind
laut Divi-Register in manchen Regionen Deutschlands – wie auch in Berlin –
nicht einmal mehr 10 Prozent der verfügbaren Intensivbetten frei.
Seit ihrer nachgeholten OP im Sommer 2020 ist Rieke P. zwei Mal in
chemotherapeutischer Behandlung gewesen. Das eine Mal routinemäßig, um
eventuell bereits gestreute Krebszellen zu eliminieren, das zweite Mal,
weil dann doch neue Krebszellen in der Lunge aufgefallen waren. Ob eine
frühere OP all das verhindert hätte, will ihr keine:r der zuständigen
Ärzt:innen eindeutig beantworten. Ob sie ihre Entscheidung bereut? Eine
Wahl habe sie angesichts der dramatischen Lage während der ersten Welle
wahrscheinlich eh nicht gehabt, sagt sie.
5 Nov 2021
## AUTOREN
Manuela Heim
Felix Lee
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