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# taz.de -- Coronavirus in Deutschland: Planlos in den Winter
> Die Zahl der Neuinfektionen steigt trotz Impfungen immer weiter.
> Intensivstationen könnten bereits in zwei Wochen an ihre
> Kapazitätsgrenzen stoßen.
Bild: Mit steigenden Infektionszahlen wird es wieder wichtig, sich strenger an …
Berlin taz | Es war Oktober, als die Lage eigentlich offenkundig wurde. Die
Zahl der Corona-Infizierten nahm täglich zu. Die 7-Tage-Inzidenz stieg. Die
Kliniken und ihre Intensivstationen meldeten eine wachsende Belastung. Und
Menschen starben, immer mehr. Anfang November waren es an manchen Tagen
schon 200. Doch die Politik blieb zögerlich.
Stückchenweise wurden Maßnahmen ergriffen, um der neuen Coronawelle Einhalt
zu gebieten. Viele Regelungen kamen zu spät, es dauerte Monate, bis die
Situation unter Kontrolle war. Schulen und Geschäfte mussten dicht machen.
Und eigentlich war allen klar: So etwas durfte nicht noch einmal passieren.
Immerhin, es gab Hoffnung. Bald würden die Impfungen kommen. So war es Ende
2020.
Jetzt, nach zehn Monaten Impfkampagne und ein ganzes Jahr später, sieht es
so aus, als werde sich der Winter 2020 trotz allem wiederholen. Die Zahl
der Infizierten nimmt erneut täglich zu – und wie. Nie steckten sich an
einem Tag so viele Menschen mit Sars-CoV-2 an wie am 4. November 2021, für
den das RKI vergangene Woche 37.120 Neuinfektionen meldete. Nie lag die
7-Tage-Inzidenz in diesem Jahr so hoch wie am Montag dieser Woche, als sie
die 200 überschritt.
Und wer gehofft hatte, zwei Drittel Geimpfte würden zumindest die Folgen
einer vierten Welle mildern, kann sich nun nicht mehr so sicher sein. Die
Covid-19- und Intensivstationen füllen sich seit Wochen, dieses Mal mit
jüngeren Patienten. Am 3. November erreichte die tägliche Zahl der
Coronatoten erneut 200. Und die Politik?
Sie zögert. Eine Impfpflicht wollen die Minister trotz vieler Todesfälle in
Altenheimen und massiver Ansteckungswellen in den Schulen weder für
Pflegekräfte noch für andere Berufsgruppen aussprechen. Maßnahmen
entscheiden wieder die Länder je nach Lage. Dort, wo es längst schon viel
schlimmer ist als im Bundesdurchschnitt, sollen 2G-Regeln für Restaurants
und Veranstaltungen die völlig desolate Situation entspannen. So zum
Beispiel in Sachsen, das mit einer 7-Tage-Inzidenz von mehr als 500 derzeit
Coronaspitze in Deutschland ist.
Der Landkreis mit der höchsten Inzidenz liegt derweil in Bayern: In Bad
Tölz-Wolfratshausen kletterte die Zahl der Infektionen pro Woche und pro
100.000 Einwohner erstmals auf einen vierstelligen Wert, sie betrug am
Montag knapp 1.040. Wie kann das sein? Und wie gefährlich ist diese massive
Verbreitung des Virus im zweiten Jahr der Pandemie, jetzt, wo doch immerhin
zwei Drittel der Bevölkerung geimpft sind? Es kann sicherlich niemand
sagen, dass diese Entwicklung nicht absehbar gewesen wäre.
Bereits im Sommer hatten Expert:innen ausdrücklich vor einem erneuten
Coronawinter gewarnt. Grund dafür war und ist noch immer die niedrige
Impfquote. Mindestens 85, besser noch 90 Prozent der Bevölkerung müssten
nach Angaben der Robert-Koch-Instituts vollständig geimpft sein, um die
Verbreitung des Virus hinreichend zu bremsen und schwere Erkrankungen
weitestgehend zu vermeiden.
Derzeit beträgt die [1][Quote der vollständig Geimpften] jedoch nur rund
67,1 Prozent. Und weil der Schutz nach zwei Dosen oder einer durchgemachten
Erkrankung nicht ewig, sondern vermutlich nur etwa sechs Monate hält, sinkt
die Zahl der wirklich gut geschützten Menschen auch schon wieder.
Doch die größere Sorge bereiten die Ungeimpften. 27 Millionen Menschen in
Deutschland sind nicht gegen Covid-19 immunisiert, die meisten wollen
Umfragen zufolge auch in Zukunft nichts daran ändern. Wer sich von den
knapp fünf Millionen Genesenen nicht zusätzlich hat impfen lassen, darf
sich keinesfalls auf einen natürlichen Schutz verlassen, der lässt nach
sechs Monaten nämlich ebenfalls nach.
Dem Virus bleiben also viele Wirte, die es potenziell noch anstecken und
sehr krank machen kann. Und das ist aus zwei weiteren Gründen möglich: Zum
einen, weil das Virus durch die lange Dauer der Pandemie die Gelegenheit
bekommen hat, sich zu verändern. Die Deltavariante, die jetzt in
Deutschland grassiert, ist deutlich ansteckender als das aus Wuhan
verbreitete Virus.
Zum anderen hat der weitgehend coronafreie Sommer zur Rücknahme vieler
Maßnahmen geführt. Die Schulen sind offen, es finden wieder Veranstaltungen
statt, Menschen besuchen Restaurants, Klassentreffen, feiern Geburtstage
mit Freunden – auch in geschlossenen Innenräumen.
Und selbst wenn alle Anwesenden geimpft oder genesen sind: Eine
Immunisierung schützt die Geimpften zwar vor schwerer Erkrankung, aber
nicht sehr gut vor Ansteckung. Und die Immunisierten können andere
infizieren. Zwar ist das Risiko einer Infektion, die von Geimpften ausgeht,
insgesamt reduziert. Aber es ist nicht gleich null. Angesichts der vielen
Ungeschützten bleiben auch die Geimpften deshalb noch ein Faktor in der
Pandemierechnung.
## Weniger Intensivbetten als letztes Jahr
Wegen der Impfungen ist es eine andere Rechnung als im vergangenen Herbst.
Doch die Parameter haben sich trotz vieler Diskussionen und Entscheidungen
über die Kennzahlen der Pandemie nicht verändert. Im Mittelpunkt steht
weiterhin die 7-Tage-Inzidenz und wie stark sie sich verändert. Sie
spiegelt noch immer gut, wie dynamisch das Infektionsgeschehen gerade ist
und womit die Krankenhäuser in den folgenden Wochen rechnen müssen.
Zwar wird nur ein kleiner Teil der Infizierten schwer krank oder muss gar
auf die Intensivstation. Dieser Anteil ist unter den Geimpften sehr viel
geringer als vor einem Jahr, als es noch keine Impfungen gab. Aber je höher
die Inzidenz, desto mehr Ungeimpfte sind betroffen – und für die ist nichts
anders als im Jahr 2020. Sie werden die Situation in den Kliniken prägen.
Heikel ist die Lage dort schon jetzt. Die Zahl der Intensivbetten hat seit
vergangenem Jahr deutlich abgenommen, vor allem aufgrund des
Personalmangels. Laut DIVI-Intensivregister gibt es landesweit aktuell nur
noch Behandlungskapazitäten für 2.886 Erwachsene auf den Intensivstationen.
Eine ECMO, also eine Beatmung bei schwerst geschädigten Lungen, steht sogar
nur noch für 377 Coronapatienten zur Verfügung. Patienten müssen teils
schon in andere Kliniken ausgeflogen werden, um sie überhaupt
intensivmedizinisch versorgen zu können. Und sollte die Inzidenz im
gleichen Tempo zunehmen wie derzeit, sind die Stationen bald alle voll.
Der Mathematiker Andreas Schuppert von der RWTH Aachen und der
Intensivmediziner Christian Karagiannidis von der Universität
Witten-Herdecke haben jüngst ausgerechnet, dass eine bundesweite Inzidenz
von 400 das System sättigt. Das könnte bereits in gut zwei Wochen der Fall
sein. Boosterimpfungen kommen deshalb zu spät. Experten fordern längst
[2][strengere Maßnahmen]. Sie werden umso härter ausfallen müssen, je
länger sich die Politik noch Zeit lässt. Vorausgesetzt, sie will überhaupt
noch Leben retten.
8 Nov 2021
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## AUTOREN
Kathrin Zinkant
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