# taz.de -- Europäische Union in der Pandemie: Europa ohne Plan | |
> Trotz der akuten Pandemielage tut sich die EU schwer, angemessen auf die | |
> Krise zu reagieren: Klare Ansagen und einheitliche Regeln fehlen. | |
Bild: Ob Szenen des Protests gegen Coronamaßnahmen wie zuletzt in Rotterdam di… | |
BRÜSSEL taz | Lockdown in Österreich, Boosterstreit in Deutschland, | |
gewalttätige Proteste gegen Corona-Maßnahmen in Brüssel und Rotterdam: | |
[1][Die Coronalage spitzt sich in vielen EU-Ländern bedrohlich zu]. Nach | |
Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Europa erneut zum | |
Epizentrum der Krise geworden – die Lage ist ernster als in den USA, Asien | |
oder Südamerika. | |
Doch die Europäische Union tut sich wie schon zu Beginn der Pandemie Anfang | |
2020 schwer, angemessen zu reagieren. Europa stolpert in die vierte Welle, | |
neue Notmaßnahmen und alte EU-Versprechen wollen nicht mehr zusammenpassen. | |
Das Europaparlament probt deshalb den Aufstand. | |
Parlamentspräsident David Sassoli wollte die 705 Abgeordneten aus dem | |
Homeoffice holen und zur Präsenzpflicht zurückkehren. Die Plenartagung in | |
der kommenden Woche in Straßburg solle wieder wie gewohnt „physisch“ | |
stattfinden, kündigte Sassoli an. Dank der Corona-Impfung und umfassender | |
Kontrollen könne das Parlament endlich wieder normal tagen. | |
Doch der Italiener hatte die Rechnung ohne seine Kollegen aus den | |
Krisenländern gemacht. 180 Abgeordnete aller Fraktionen unterschrieben | |
einen Brandbrief, in dem sie eine Rückkehr zu strengeren Coronamaßnahmen | |
und die Rücknahme der Präsenzpflicht fordern. „Es wäre absolut | |
unvernünftig, mitten in der vierten Welle ein politisches | |
Superspreader-Event in Straßburg abzuhalten“, sagt der Grünen-Abgeordnete | |
Daniel Freund der taz. Sassoli habe sich verrannt und müsse einlenken. | |
## Eine gemeinsame Strategie ist nicht zu erkennen | |
Der Protest zeigt Wirkung: Ab Montag tagen die Abgeordneten in Straßburg | |
wieder im „hybriden Modus“, Abstimmungen können online abgehalten werden. | |
Er habe die Sorgen vieler Parlamentarier vernommen, erklärte Sassoli nach | |
seinem Rückzieher. Die pandemische Lage habe sich verschlechtert, darauf | |
müsse man reagieren. | |
Doch dass es erst eine Revolte der Abgeordneten brauchte, zeigt, wie | |
schlecht das Europaparlament vorbereitet war. Nicht viel besser sieht es in | |
der EU-Kommission aus. Behördenchefin Ursula von der Leyen behauptet immer | |
noch, die europäische Impfkampagne sei ein voller Erfolg; neue Maßnahmen | |
hat sie bisher nicht angekündigt. „Impfen, impfen, impfen“ – das ist all… | |
was man aus der Brüsseler Behörde hört. Die Impfquote von 70 Prozent der | |
Erwachsenen, die von der Leyen schon im Sommer gefeiert hatte, reicht | |
offenbar nicht mehr aus. Doch eine neue, höhere Zielmarke hat sie bisher | |
nicht vorgegeben. Auch zur Boosterimpfung gibt es keine klare Ansage. | |
Die EU-Kommission verweist auf die Experten von der Europäischen | |
Arzneimittelagentur EMA – doch die bleiben vage. Eine Auffrischung mit den | |
Vakzinen von Biontech/Pfizer und Moderna könne „erwogen werden“, heißt es | |
in der letzten EMA-Empfehlung vom 25. Oktober. Allerdings erst „mindestens | |
sechs Monate“ nach der zweiten Dosis. | |
Ein Aufruf zum „Boostern für alle“ ist das nicht. Die EMA ist vorsichtiger | |
als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der die Boosterimpfung | |
schon nach fünf Monaten möglich machen will. Spannungen gibt es auch um die | |
Impfung für Kinder. Spahn will damit vor Weihnachten beginnen – doch die EU | |
hat bisher nicht einmal die Zulassung erteilt. Sie könnte am 24. November | |
kommen, heißt es in Berlin – eine Bestätigung aus Brüssel steht noch aus. | |
Deutschland drängelt, die EU zögert, eine gemeinsame Strategie im „Team | |
Europa“ ist nicht zu erkennen. Dabei war 2020 eine enge EU-Koordinierung | |
vereinbart worden. Sie funktioniert immer noch nicht, wie sich auch beim | |
europäischen Impfausweis zeigt. Österreich und Frankreich wollen Impfungen | |
nur noch dann anerkennen, wenn sie nicht allzu lange zurückliegen. Für | |
einige Gruppen soll schon nach sechs Monaten Schluss sein. Paris und Wien | |
wollen damit das Boostern erzwingen. Für Brüssel ist das ein Problem. | |
Freies Reisen ist nämlich nur dann möglich, wenn für das Impfzertifikat | |
einheitliche Regeln in ganz Europa gelten. Die sind nun in Gefahr, die | |
EU-Kommission muss auch hier nachbessern. | |
21 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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