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# taz.de -- „Zero“ in der ARD: Weltrettung, oldschool
> „Zero“ ist eine Journalismus-Dystopie mit viel Platz für Heike Makatsch.
> Was sich sonst noch Interessantes sagen lässt? Leider nicht viel.
Bild: Heike Makatsch als Cynthia Bonsant, sehr erwachsen
„Also, du warst ja mal so was wie eine Institution“, sagt der Chef des
Onlinemediums beim Bewerbungsgespräch: „Eine Meinungsmacherin. Politik und
Gesellschaft. Und jetzt? Seit zwei Jahren nichts Neues mehr!“ „Aber ich hab
Textproben mitgebracht, keine älter als fünf Jahre“, sagt die Bewerberin.
„Ausgedruckt? Ist das dein Ernst?“ – er lacht sich tot.
Und Heike Makatsch muss sehr glücklich gewesen sein über dieses
Rollenangebot. Hat sie doch jahrzehntelang öffentlich mit dem
„Girlie“-Label gehadert, das ihr seit den lange vergangenen Tagen als
Viva-Moderatorin anhängt. Und nun darf sie in dieser in einer sehr nahen
Zukunft angesiedelten Dystopie den Inbegriff von „oldschool“ verkörpern:
Die altgediente Printjournalistin, die in der schönen neuen, von vorne bis
hinten durchdigitalisierten Welt mit ihrer siebten Bewerbung schlechte
Karten hat und den Spott der Onlineschnösel ertragen muss.
Da erscheint just in diesem Augenblick ein neuer Player buchstäblich auf
dem (Bild-)Schirm: „Zero ist die Stille. Zero ist der Anfang. Zero ist
rund. Zero dreht sich…“ Nein, stopp, sorry. Das ist ja aus dem Manifest der
Künstlergruppe ZERO. Nichts für ungut – aber dafür, dass „Zero“ für d…
Zahl Null steht, gibt es davon wirklich ziemlich viel in der Welt: von der
koffeinhaltigen, aber kalorienfreien Brause bis zum Film, zuletzt (2018)
eine Bollywoodkomödie mit Shah Rukh Khan. Und jetzt also auch noch diesen
Film [1][nach dem gleichnamigen Bestseller des Bestsellerautors Marc
Elsberg.]
Und in dem Film die gleichnamige, an Anonymous und Wikileaks angelehnte
Gruppe: „Wir sind ZERO. Ihr seid nicht mehr ihr selbst. Wen ihr trefft; wen
ihr liebt; was ihr sprecht; mit wem ihr Sex habt; was ihr denkt, ist nicht
mehr eure Entscheidung. Algorithmen entscheiden das. Ihr glaubt mir nicht?
Dann beobachtet eure Regierung! Und vor allem: mit wem sie spricht! Diese
Schlacht haben wir verloren. Aber wir kämpfen weiter. Leute, wacht auf!
Zerstört die Datenkraken! Jetzt!“
## Wann kannst du anfangen?
Schüsse fallen, und die Onlinejournalisten sind begeistert: „Sieben
Millionen Viewer in nicht mal zwei Minuten. Das ist sensationell!“ Und
Heike Makatsch alias Cynthia Bonsant hat einen Job: „Wir brauchen ’ne
Hintergrundrecherche. Und zwar schnell! Wann kannst du anfangen?“
Und los geht die Mär von der Hybris der Start-up-Gurus – hier heißt er Carl
Montik (Sabin Tambrea), so eine Kreuzung aus Steve Jobs und Elon Musk –,
deren hohlem Geplapper das Volk auf den Leim geht. Nur Makatsch/Bonsant
lässt sich nicht beirren: „Es gibt nur zwei Branchen, die ihre Kunden
‚User‘ nennen: Datenfirmen und Drogendealer.“ Nur eine, sie allein kann d…
Menschheit davor retten, in dem Kampf zwischen dem Internetkonzern – dessen
KI sich bald zu verselbstständigen droht, logisch – und den Netzaktivisten
aufgerieben zu werden …
Und während in Berlin die Busse elektrisch verkehren, fährt
Makatsch/Bonsant in einem auch nach heutigen Maßstäben betagten Citroen um
das Velodrom an der Landsberger Allee und durch Berlins hässlichste
Neubauviertel (am Hauptbahnhof). Man kennt das von früheren Filmdystopien.
Wahrscheinlich war die dämmputzfreie Architektur damals einfach besser und
Regisseur Jochen Alexander Freydank ([2][dessen Oscar für seinen Kurzfilm
„Spielzeugland“ in Besprechungen immer erwähnt werden muss)] musste eben
mit dem vorlieb nehmen, was Berlin heutzutage (nicht) zu bieten hat.
Interessant ist jedenfalls die Annahme der Filmemacher (Buch: Johannes
Betz), dass in dieser an sich nicht so rosigen Zukunft – es soll, wie
gesagt, eine Dystopie sein – immerhin das Wohnungsproblem gelöst worden zu
sein scheint. Während in der Gegenwart die Wohnungen in Berlin immer teurer
und dabei kleiner werden, logiert die zu Beginn des Films arbeitslose
Makatsch/Bonsant in einer Art Loftdomizil, in dem allein das Schlafzimmer
Ausmaße hat, die die einem Berliner von heute durchschnittlich zur
Verfügung stehenden 39,6 Quadratmeter übersteigen.
Und wenn ein Schlafzimmer das Bemerkenswerteste in einem Film ist, bei dem
man sich einerseits fragt, worum es da nun eigentlich genau gehen soll und
bei dem man sich andererseits wundert, ob man ihn nicht doch schon einmal
gesehen hat, vor zehn Jahren vielleicht: nun ja. Aber Heike Makatsch muss
sehr glücklich gewesen sein über dieses Rollenangebot.
3 Nov 2021
## LINKS
[1] /Thriller-Serie-auf-Joyn-Plus/!5804091
[2] /Die-Szenenbildnerin-hinter-dem-Oscar-Erfolg/!5166745
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Filmrezension
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