# taz.de -- Vertreibung von Mieter:innen: Das ist unser Haus! | |
> Ein von Rom:nja bewohntes Haus in Friedrichshain will die Eigentümerin | |
> abreißen. Bewohner:innen, Bezirk und Initiativen kämpfen für den | |
> Verbleib. | |
Bild: Die Bewohner:innen wollen bleiben: das Haus in Friedrichshain | |
2015 zogen die ersten Familien in das damals fast leer stehende Gebäude | |
ein, inzwischen wohnen fast 350 Menschen in dem fünfstöckigen Plattenbau in | |
der Straße der Pariser Kommune. Sie alle sind Rom:nja aus demselben Dorf | |
in Rumänien, einer 6.000-Seelen-Gemeinde bei Bukarest. Medien schreiben in | |
teils rassistisch aufgeladenen Berichten von einem „Problemhaus“ oder | |
„Brennpunkt“ in Friedrichshain. Auch [1][angesichts antiziganistischer | |
Diskriminierung] will die Community zusammenhalten. | |
Doch nach einem Vermieterwechsel 2018 soll das Haus nun abgerissen werden, | |
auf dem Grundstück soll stattdessen ein Wohn- und Arbeitskomplex entstehen. | |
Auf dem ohnehin schon angespannten Wohnungsmarkt haben die jetzt dort | |
wohnenden Familien aber kaum eine Chance, ein neues Zuhause zu finden. | |
Seit Oktober 2019 gehört die Immobilie der neu gegründeten „Str. der | |
Pariser Kommune 20A-E UG“, deren Geschäftsführerin Natalia I. (ehemals | |
Natalia P.) ist. Diese soll nach der Scheidung von ihrem Ehemann | |
Eigentümerin geworden sein. Natalia I. ist inzwischen Geschäftsführerin | |
eines Geflechts neugegründeter Immobilienfirmen, die alle an der gleichen | |
Adresse in Friedrichsfelde angemeldet sind. Dem Wirtschaftsportal | |
CompanyHouse zufolge kommt sie aus Moskau, laut ihrem privaten | |
Facebook-Profil wohnt Natalia I. inzwischen in Berlin. Mit dem Abriss des | |
Gebäudes und der Entwicklung des Neubaus hat sie eine russische | |
Immobilienfirma beauftragt. | |
Seit Natalia I. Eigentümerin des Wohnhauses in Friedrichshain ist, häufen | |
sich dort die Mängel. Das Gebäude ist in einem verwahrlosten Zustand, | |
Bewohner:innen kritisieren gefährliche Wasserrohre und Stromleitungen. | |
Auch Wasserschäden an den Decken, kaputte Heizungen und eine unzureichende | |
Müllentsorgung gehören zu den Mängeln. Im Sommer dieses Jahres wurde der | |
Keller mit Fäkalien überschwemmt, nachdem ein Abwasserrohr geborsten war. | |
Zwei Wochen vergingen, bevor das Problem behoben wurde. | |
„Wäre das in einem anderen Bezirk passiert, wo nur Deutsche leben, hätte | |
das Bezirksamt in zwei Tagen alles geregelt“, klagt David, einer der | |
Hausbewohner, der seinen Nachnamen nicht veröffentlichen will. Die | |
Eigentümerin versuche „alles Mögliche, um uns hier rauszukriegen“, sagt d… | |
22.Jährige, der Soziale Arbeit studiert und sich selbst ehrenamtlich in | |
einer Rom:nja-Selbstorganisation engagiert. Im Juli 2021 hatte das | |
Bezirksamt eine Wohnung für unbewohnbar erklärt, die Familie musste in eine | |
andere Wohnung im Haus umziehen. | |
So will die Eigentümerin die Bewohner:innen, die allesamt unbefristete | |
Mietverträge haben, offenbar loswerden. Sie werfen ihr vor, regelmäßig Müll | |
im Hinterhof abzuladen. Oder sie bekommen Räumungsklagen aus nichtigen | |
Gründen, wie etwa einem Mietzahlungsverzug von einem Tag, der Jahre | |
zurückliegt. Nach der Scheidung von ihrem Ehemann trug Natalia I.s Anwalt | |
dem Jobcenter auf, die Mieten der Bewohner:innen gesplittet auf | |
verschiedene Konten zu überweisen. Das Ergebnis: ein Chaos und schließlich | |
Kündigungen, da angeblich ein Teil der Miete gefehlt habe. | |
„Wir sind alarmiert über die noch immer ausbleibenden Lösungen für die | |
Wohnsituation der Bewohner*innen“, schreibt das [2][„Bündnis gegen | |
Antiziganismus und für Roma*-Empowerment“ (BARE)], einem Zusammenschluss | |
von Berliner Selbstorganisationen von Roma* und Sinti*, das in engem | |
Kontakt zu den Bewohner:innen des Hauses steht, in einem offenen Brief | |
an die Friedrichshain-Kreuzberger Stadträtin und künftige | |
Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne). Darin wirft BARE ihr vor, | |
die Obdachlosigkeit von ungefähr 30 Familien bewusst in Kauf zu nehmen. | |
Auf mehrere Stellungnahmen und Brandbriefe zur Situation in der Straße der | |
Pariser Kommune habe der Bezirk bis heute nicht reagiert. Auf einer | |
Mieter:innenversammlung im Juni hatte der Baustadtrat des Bezirks, | |
Florian Schmidt (Grüne), beteuert, dass niemand auf der Straße landen | |
werde. Danach sei Schmidt nicht mehr erreichbar gewesen, so BARE, was der | |
gegenüber der taz allerdings dementiert. | |
Auf Anfrage teilt eine Pressesprecherin des Bezirks | |
Friedrichshain-Kreuzberg mit, dass es seit zwei Jahren Gespräche mit der | |
Eigentümerin gegeben habe. Seit April 2020 seien insgesamt 16 | |
Wohnungsaufsichtsverfahren aufgrund von Mängeln im Haus gestartet und sechs | |
Begehungen durchgeführt worden, heißt es weiter. „Die Verfahren laufen | |
teilweise noch“. | |
Manche Räumungen habe der Bezirk „entschärfen“ können, indem mehr Zeit | |
dafür gewonnen wurde, eine Ersatzwohnung zu finden. „Darüber hinaus konnten | |
wir die Nichtigkeit einiger Kündigungen erreichen“, so die Sprecherin. Für | |
16 Haushalte mit 47 Menschen habe der Bezirk zusammen mit der | |
Mieterberatung Asum geeignete Umsetzwohnungen finden können. „Die | |
bisherigen Bemühungen haben gezeigt, dass ausreichend Ersatzwohnraum in | |
Friedrichshain-Kreuzberg nur sehr schwer zur Verfügung steht.“ | |
Laut Baustadtrat Schmidt wurde nun ein Sozialplanverfahren mit der | |
Eigentümerin vereinbart, über das die russische Immobilienfirma informiert | |
wurde. Nach diesem Plan sollen die Bewohner:innen nach Fertigstellung | |
des Neubaus zu bezahlbaren Mieten wieder einziehen dürfen. „Darauf haben | |
sie ein Recht“, betont Schmidt. Auf die Kritik von Bewohner:innen und | |
BARE sagt er zur taz: „Ich habe mich noch nie so intensiv mit einem Haus | |
beschäftigt.“ | |
Ein mutiges Zeichen der neuen Koalition in Berlin wäre seiner Meinung nach, | |
das Haus durch eines der landeseigenen Wohnungsunternehmen zu kaufen: | |
„[3][Ein Haus für Roma] könnte so entstehen“. Gespräche zwischen WBM und | |
Eigentümerin habe es bereits gegeben, diese seien aber aus unbekannten | |
Gründen gescheitert. Die Eigentümerin sei aber weiterhin bereit, zu | |
verkaufen, so Schmidt. | |
Das Bündnis BARE betont, wie wichtig es für die Familien sei, in | |
Friedrichshain zu bleiben – nicht zuletzt wegen der sozialen | |
Unterstützungsangebote vor Ort und der bürokratischen Hürden für | |
Leistungsbezug beim Bezirkswechsel. „Für die Kinder und Jugendlichen ist es | |
eine Katastrophe“, erklärt Irene Eidinger, Pressesprecherin von BARE, | |
gegenüber der taz. „Menschen, die mehrfach diskriminiert werden, werden aus | |
ihrem sozialen Umfeld, aus ihrer Community herausgerissen.“ Denn der Abriss | |
und Neubau des Hauses würden lange dauern. | |
Er habe „Angst, dass wir auf der Straße oder in irgendwelchen Wohnheimen | |
landen, wo viele Menschen auf engstem Raum wohnen“, sagt Bewohner David: | |
„Ich habe Angst um meine kleinen Geschwister.“ | |
31 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlin.de/ba-treptow-koepenick/ueber-den-bezirk/willkommen/aktu… | |
[2] https://www.facebook.com/bare.berlin/ | |
[3] /Roma-in-Berlin/!5030477 | |
## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
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