# taz.de -- Nach dem Gerichtsbeschluss: Bezirke in der Pflicht | |
> Eine obdachlose rumänische Familie muss vom Bezirk untergebracht werden, | |
> so ein Gerichtsbeschluss. Das dürfte den Umgang auch mit anderen | |
> EU-Bürgern ändern. | |
Bild: Hier wurden sie vertrieben: Aus dem Haus in der Grunewaldstraße | |
Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Fall einer | |
obdachlosen Familie aus Rumänien dürfte es für die Bezirke schwieriger | |
werden, Familien in ihre Heimat zurückzuschicken statt sie hier | |
unterzubringen. „Es reicht nicht mehr aus, ein Rückfahrticket zu bezahlen, | |
ohne die Zustände in Rumänien zu prüfen“, sagte der Anwalt der Familie, | |
Benjamin Düsberg, am Montag der taz. Das habe das Gericht klargemacht. Wenn | |
in den Herkunftsländern keine zumutbaren Ausweichmöglichkeiten bestünden, | |
seien die Bezirke verpflichtet, den Menschen eine Unterkunft zu stellen. | |
Das Oberverwaltungsgericht hatte vor anderthalb Wochen entschieden, dass | |
der Bezirk Tempelhof-Schöneberg eine alleinstehende Mutter mit ihrem | |
anderthalb und vier Jahre alten Kindern unterbringen muss (taz berichtete). | |
Die aus Rumänien stammende Familie hatte zuvor im sogenannten „Horrorhaus“ | |
in der Grunewaldstraße gelebt, wurde dort aber nach eigenen Angaben | |
rausgeschmissen. Seit Ende Juli übernachten Mutter und Kinder in einem | |
Park. Auch in Rumänien hätten sie keine Bleibe, versicherte die Mutter. | |
Die zuständige Stadträtin, Sibyll Klotz (Grüne), hatte es abgelehnt, für | |
alle Familien aus dem Haus eine neue Unterkunft zu organisieren. Ein Teil | |
der Familien habe keine Ansprüche auf Sozialleistungen, so die Stadträtin. | |
Für sie könne der Bezirk nichts tun – außer ihnen Geld für die Rückfahrt | |
nach Rumänien zu geben. | |
Das ließ das Oberverwaltungsgericht als Argument nicht gelten, da der Frau | |
auch in Rumänien Obdachlosigkeit drohe. Die Richter betonten zudem die | |
Pflicht des Bezirks, die Familie hier unterzubringen und verwies dafür auf | |
das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG). „Unfreiwillige | |
Obdachlosigkeit stellt eine Störung der öffentlichen Sicherheit dar“, so | |
die Begründung. | |
„Der Beschluss hat keine Bindungswirkung über das Verfahren hinaus“, | |
stellte am Montag die Sprecherin des Oberverwaltungsgerichts, Christiane | |
Scheerhorn, klar. Allerdings kämen strittige Fälle, bei denen es um | |
Obdachlosigkeit geht, am Ende immer vor den Ersten Senat des | |
Oberverwaltungsgerichts. In gleich gelagerten Fällen sei zu erwarten, dass | |
die Richter auch gleich entschieden, so Scheerhorn. | |
Nach Angaben der Roma-Hilfsorganisation Amaro Foro ist der Umgang der | |
Bezirke mit obdachlosen Familien aus Rumänien und Bulgarien bislang sehr | |
unterschiedlich. Lediglich Neukölln, Treptow-Köpenick und zum Teil auch | |
Tempelhof-Schöneberg kümmerten sich von sich aus um eine Unterbringung von | |
Menschen ohne Aussicht auf Sozialleistungen, sagte Sprecherin Anna Schmitt. | |
In anderen Bezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg oder Mitte müssten sie | |
regelmäßig vor Gericht ziehen. | |
In Friedrichshain-Kreuzberg will man die jüngste Entscheidung des | |
Oberverwaltungsgerichts nicht zu hoch hängen. „Der Beschluss wird keine | |
180-Grad-Wende bringen“, glaubt Finanzstadträtin Jana Borkamp (Grüne). Die | |
Familie habe Besonderheiten geltend machen können, etwa dass sie in | |
Rumänien keine Bleibe mehr habe. Das sei aber nicht der Standard, so | |
Borkamp. Selbst wenn sich Friedrichshain-Kreuzberg zuständig sehen würde, | |
sei es schwierig, Bedürftige derzeit überhaupt noch irgendwo | |
unterzubringen. „Alle Unterkünfte sind voll“, sagte die Stadträtin. | |
Christian Hanke (SPD), Bezirksbürgermeister in Mitte, sieht das etwas | |
anders. „Der Gerichtsbeschluss kann die Konsequenz haben, dass wir noch | |
mehr Menschen unterbringen müssen – auch jene, von denen das Sozialamt | |
bisher meinte, dass sie keine Ansprüche haben.“ Wenn eine Frau mit zwei | |
kleinen Kindern im Park wohnen müsse, sieht er seine Behörde – genau wie | |
die Richter – in der Pflicht. „Ob wir allerdings jedem jungen Mann, der aus | |
Rumänien kommt und hier im Park schläft, gleich eine Unterkunft stellen | |
werden, wage ich zu bezweifeln“, so Hanke. | |
Ermutigt von dem Gerichtsbeschluss kündigte die Organisation Amaro Foro | |
derweil weitere Klagen an. Anna Schmitt sagte: „Wir haben den Leuten nichts | |
anzubieten, außer den rechtlichen Weg zu gehen. Das werden wir tun.“ | |
19 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
## TAGS | |
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Roma | |
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