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# taz.de -- Verwahrlostes Haus in Schöneberg: Angst drinnen, Angst draußen
> In der Grunewaldstraße 87 leben Wanderarbeiter unter schlechtesten
> Bedingungen. Es heißt, der Hauseigentümer wolle so die Altmieter
> rausekeln.
Bild: Die Grunewaldstraße 87 in Schöneberg - seit einiger Zeit eine berühmt-…
Sie ist eine stolze Frau Anfang 40. Ihren gepflegten Händen mit den rosa
lackierten Nägeln sieht man weder Alter noch ihre Tätigkeit als
Reinigungskraft an. Auch nicht die letzten sechs Jahre Obdachlosigkeit, in
der Olguta Carciumaru mit ihrer Familie leben musste. Oder die Sorgen und
die Angst, mit dem drei Monate alten Enkelkind erneut auf der Straße zu
landen. Doch nach der letzten Räumungsaktion sei ihr dunkles Haar, in dem
sie hinter dem Ohr eine kokette rote Haarspange befestigt hat, innerhalb
einer Woche stark ergraut. Mit ironischem Lächeln sagt sie das und streicht
sich über den Kopf.
Olguta Carciumaru ist eine der knapp 100 neuen MieterInnen in der
Grunewaldstraße 87. Sie stammt aus Rumänien und wohnt in dem Haus, das die
Medien als „Horrorhaus“ bezeichnen, seit im Oktober vergangenen Jahres
immer mehr Menschen hier einquartiert wurden. Mehr als 200 sollen zeitweise
hier gelebt haben – unter undenkbar schlechten Bedingungen.
Damit veränderte sich auch die Situation in der Straße. In einem Umkreis
von einigen hundert Metern rund ums Haus sammelte sich Müll an. Versiffte
Matratzen, ausgeschlachteter Plastikschrott, Autoreifen, Möbelreste. Und
dazwischen immer wieder menschliche Fäkalien. In der nahen Kita kamen auf
einmal Kinderwagen und Laufrädchen weg, die Eltern zeigten sich alarmiert.
Ladendiebstähle, Anzeichen von Prostitution, Pöbeleien, besonders gegenüber
Frauen, all das war nun an der Tagesordnung.
Monatelang hielten die AnwohnerInnen ihren Unmut in Zaum. Sie beobachteten,
was da vor sich ging. Manche berichten von bedrückenden Szenen. Frauen
sollen an den Haaren über die Straße gezogen oder nachts zusammengeschlagen
worden sein. Laut hupend seien mitten in der Nacht Autos mit dröhnenden
Boxen in den Hof des Gebäudes gefahren und hätten ihnen den Schlaf geraubt.
Alle mit Nummernschildern aus den Niederlanden oder Großbritannien, zum
Teil sehr neue und luxuriöse Fahrzeuge.
Nachbarn erzählen auch von schrankgroßen und -breiten Männern, die sie
anschnauzten, wenn sie zu viele Fragen stellten oder sich gar beschwerten.
Immer wieder kam die Polizei. Früher im Kiez verächtlich „Bullen“
geschimpft, werden die Beamten jetzt dringend herbeigesehnt.
## Schimmelige Löcher
„Die Kriminalität stinkt zum Himmel. Schlimmer als die Scheiße selbst“,
beschreibt ein Anwohner die Lage, der – wie die meisten anderen auch –
seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Sie haben sich inzwischen
organisiert, um sich gegen die Zustände in ihrem Kiez zu wehren. Und um der
Angst etwas entgegenzusetzen. „Entweder wir ziehen weg oder wir tun was“,
lautet der Tenor. Die Grunewaldstraße 87 ist zum Politikum geworden.
Während sich in der Straße Protest formiert, gibt es für die BewohnerInnen
im Haus keinen Ausweg aus der Misere. Sie hausen in schimmeligen Löchern,
werden terrorisiert und bedroht, Krankheiten gehen um. Es sind
menschenunwürdige Zustände, wie man sie mitten im reichen Deutschland nicht
vermuten würde.
Nach wie vor leben auch viele alteingesessene MieterInnen in der
Grunewaldstraße 87, die fest entschlossen sind, sich nicht vertreiben zu
lassen. Sie leiden unter diesen Zuständen. Genau wie die Wanderarbeiter,
von denen viele eigentlich auf der Suche nach einem besseren Leben sind.
So wie Olguta Carciumaru, die 2008 aus Rumänien gekommen ist. In Berlin
sucht sie drei Dinge: eine Wohnung, eine Arbeit und eine bessere Zukunft
für ihren Sohn. Eine Arbeit hat sie. Carciumaru fährt mehrmals wöchentlich
ins brandenburgische Oranienburg und putzt in einem Büro. Eine Wohnung–
zumindest etwas, das diesen Namen verdient – hat sie nicht. Zu Hause in
Brila, nahe der ukrainischen und moldauischen Grenze, lebte sie in einem
Haus, aber dort gab es kaum etwas zu essen.
Ihre Bleibe im dritten Stock des Hinterhauses der Grunewaldstraße 87 war in
erbärmlichem Zustand, als sie einzog. Kein Strom, kein Warmwasser. Der etwa
25 Quadratmeter große Raum war völlig verdreckt. Herd, Kühlschrank und
Waschmaschine für die winzige Küche kaufte Olguta Carciumaru von ihrem
Lohn. Ebenso wie Teppiche und ein Regal.
Waschmöglichkeiten oder eine Toilette gibt es hier nicht, nur ein Außenklo.
Wie viele Menschen das benutzen, weiß sie nicht, „aber es sind viele“. Drei
Matratzenlager füllen den Großteil des Zimmers aus. Auf ihnen schlafen vier
Erwachsene und die zwei kleinen Kinder ihres Sohnes und seiner Frau.
Die kleine Miriuna ist gerade mal drei Monate alt. So wie die Erwachsenen
wird sie in einer Schüssel gewaschen. Sie schläft dicht unter dem komplett
verschimmelten Fensterrahmen.
Wie viel Geld Carciumaru für die Unterkunft monatlich abdrücken muss? Sie
möchte es nicht sagen – sie hat Angst.
Angst haben auch die Altmieter. Marija Kühn-Doboš traut sich kaum noch aus
ihrer Wohnung. Die ältere Dame wohnt allein. Eine Freundin kommt sie
täglich besuchen, kauft für sie ein und leistet ihr Gesellschaft. Marija
Kühn-Doboš erzählt, dass sie aus ihrem Fenster im dritten Stock das Kommen
und Gehen beobachte. Erst wenn „bestimmte Personen“ das Haus verlassen
haben, fühle sie sich sicher und komme heraus. Dann sieht man sie, eine
Zigarette nach der anderen rauchend, zum Beispiel einem jungen Paar aus
Rumänien den Brief der Arbeitsagentur erklären.
## Gerüchte wabern herum
Es gibt Leute, die nicht wollen, dass Fragen gestellt werden, die wollen,
dass alles so bleibt, wie es ist. Für sie ist Marija Kühn-Doboš ein
Ärgernis. Denn sie geht an die Öffentlichkeit und beschwert sich zudem
lautstark. Zum Beispiel über den Müll, den sie an ihrem Fenster
vorbeifliegen sieht, den über ihr wohnende MieterInnen einfach aus dem
Fenster schmeißen.
Wer schuld daran ist, dass sich die Dinge so entwickelt haben, ist nicht
ganz klar. Gerüchte um das „Horrorhaus“ wabern durch den Kiez. Der neue
Eigentümer und gleichzeitige Geschäftsführer der Firma Alphaplan GmbH wolle
die Altmieter aus ihren Wohnungen rausekeln, um Luxuswohnungen daraus zu
machen, erzählt man sich. Deshalb habe der Eigentümer [der Name liegt der
Redaktion vor – Anm. d. Red.], der selbst aus Rumänien stammen soll, ihnen
diese Roma ins Haus gesetzt.
Anfangs sei den alten MieterInnen, rund 16 Parteien sind es noch, Geld
angeboten worden, damit sie ausziehen, heißt es. Ein junger Mann habe
angenommen, die anderen wollten bleiben. Einige wohnen seit über 40 Jahren
im Gebäude, entsprechend günstige Mietkonditionen stehen in ihren
Verträgen. Aber erst, wenn sie alle raus sind, könne der Eigentümer die
Pläne, die ihm nachgesagt werden, durchführen.
Er selbst war für die taz nicht zu erreichen. Eine ehemalige
Hausverwalterin, erzählen mehrere Altmieter, habe noch im Oktober mit den
Worten gedroht: „Es werden jetzt Leute hier reingesetzt und Clanstrukturen
aufgebaut. Und ich weiß nicht, wie viele es noch werden.“
Die zuständige Stadträtin im Bezirk, Sibyll Klotz (Grüne), schaltete sich
ein. Die Zustände im Haus bezeichnet sie als „Armutsausbeutung“.
Der Eigentümer wird zum Handeln aufgefordert: Müllentsorgung, Reparaturen,
Grundreinigung der Außentoiletten. Immer kurz vor Fristende wird der
Eigentümer tätig. Und tut jedes Mal nur so viel wie nötig. Auch die Zahl
der rumänischen Wanderarbeiter in dem Haus dezimiert sich auf mysteriöse
Weise.
Die Praxis der Entmietungen sei nichts Neues, sagt Sibyll Klotz. Es gäbe
noch Dutzende Häuser wie dieses.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die rumänischen Wanderarbeiter unter
Druck gesetzt werden – das wird von mehreren Seiten bestätigt. Von zwei
Gestalten ist die Rede, die sich als „Hausmeister“ ausgeben und mit Tod,
Vergewaltigung und Entführung drohen. Sie sollen meist nachts auftauchen
und die Miete einsammeln. Sie seien es auch, die aus heiterem Himmel die
Leute rausschmissen und „Räumungsaktionen“ durchführten.
## Gewalt untereinander
Diesen Gestalten sind im Haus derzeit um die 50 Kinder ausgeliefert.
Kinder, die laut Aussage mehrerer Zeugen morgens mit Autos abgeholt werden
und abends wieder gebracht werden. Was tagsüber mit ihnen geschieht, was
niemand so genau.
Beweise für kriminelle Machenschaften im Haus gibt es nicht. Auch Anzeigen
wegen Bedrohung von Leib und Leben gingen keine ein, berichtet Thomas
Neuendorf, Sprecher der Polizei, auf taz-Anfrage. Lediglich kleinkriminelle
Delikte würden gemeldet, für „die die Polizei eigentlich zum Teil gar nicht
zuständig ist“ – und auch nichts machen könne. Minderjährige
Handtaschendiebe dürfen nicht belangt werden. Ihre Eltern wiederum können
meist kein Bußgeld zahlen, weil sie nichts haben. Neben Diebstahl,
Sachbeschädigung und nächtlicher Ruhestörung hat die Polizei notiert:
Einbruch, Brandstiftung und Gewaltdelikte. Also Schlägereien? Ja, sagt
Neuendorf, aber immer nur untereinander.
Strukturen organisierter Kriminalität kann Neuendorf aber nicht erkennen,
sagt der Polizei-Sprecher der taz. Weshalb auch das Landeskriminalamt (LKA)
nicht hinzugezogen werde.
Das wiederum mag Stadträtin Sibyll Klotz nicht einfach so hinnehmen:
„Natürlich ist das organisierte Kriminalität, was denn sonst? Wenn das LKA
nicht reingeht, weil die Polizei dafür keine Notwendigkeit sieht, dann ist
das eine Einschätzung, für die ich wenig Verständnis habe.“
Noch schwirren Kamerateams und Journalisten um die auskunftswilligen
AltmieterInnen wie die Motten um das Licht. Ob es nun ihnen zu verdanken
ist oder der Polizei – vor dem Haus ist es zuletzt merklich ruhiger
geworden. Weniger Lärm, weniger Müll, weniger verdächtige Gestalten.
Öffentlichkeit schützt. Welche menschlichen Tragödien aber sich im Haus
weiterhin abspielen, bekommt draußen niemand mit.
14 Jun 2015
## AUTOREN
Sunny Riedel
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