# taz.de -- Umweltrassismus in Deutschland: Sinti-Siedlung neben Müllhalde | |
> Umweltrassismus ist in Deutschland nahezu unerforscht. Eine Untersuchung | |
> zeigt nun, wie verbreitet das Phänomen tatsächlich ist. | |
Bild: Unterkünfte für aus Deutschland abgeschobene Roma im „Camp Osterode�… | |
Berlin taz | Roma-Siedlungen an Müllhalden, Bau von Giftmülldeponien in | |
Vierteln mit hohem Schwarzem Bevölkerungsanteil, stärkere Betroffenheit von | |
Menschen mit weniger Geld und Migrationshintergrund von Luftverschmutzung – | |
Umweltrassismus hat viele Facetten. In einer Kurzstudie der | |
Heinrich-Böll-Stiftung untersuchen Imeh Ituen und Tatu Hey Umweltrassismus | |
in Deutschland. [1][Der Studien-Titel „Der Elefant im Raum“] ergibt Sinn: | |
Umweltrassismus sei hierzulande „fast gänzlich unerforscht“, schreiben die | |
Autorinnen. | |
Herbert Heuß erinnert sich noch gut daran, wie er Anfang der 1980er Jahre | |
ins hessische Bad Hersfeld kam: „Das war ein Skandal. Die Sinti-Siedlung | |
lag am Fuß einer Müllhalde, die nicht abgedichtet war. Die Menschen hatten | |
deswegen verschiedene Krankheiten“, erzählt der heutige wissenschaftliche | |
Leiter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma der taz. „Besonders bei | |
Regen war es eine große Schweinerei. Die Straße war voller Schlamm, sie war | |
nicht geteert.“ Diese Siedlung sei dann auf eine Wiese neben einer Autobahn | |
verlegt worden. „Es gab eine Sondergenehmigung, dass die Sozialwohnungen | |
unter dem Standard gebaut werden durften: Betonwände ohne Verputz und | |
Isolation, Ofen- statt Zentralheizung“, berichtet Heuß. „Dieser gnadenlose, | |
extrem rassistische Umgang der Stadt macht mich bis heute sprachlos.“ | |
Bad Hersfeld ist damit nicht alleine: Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten | |
Sinti und Roma in Freiburg am Rande des Rieselfeldes – also neben Abwässern | |
leben. Auch in Darmstadt wurden Sinti*zza und Rom*nja 1985 an den | |
Stadtrand verdrängt, neben einer Müllhalde und einer Kläranlage. 2004 wurde | |
ihnen in Heidelberg ein von Chemieabfällen stark verunreinigtes Grundstück | |
übereignet, im selben Jahr passierte in Hamburg Ähnliches. | |
In den USA startete die Umweltgerechtigkeitsbewegung bereits in den 1980er | |
Jahren eine Debatte über die rassistischen Effekte der ungleichen | |
Verteilung von Umweltgütern und -risiken. Für von Rassismus betroffene | |
Gruppen war damals die Wahrscheinlichkeit, in der Nähe von Gift- und | |
Sondermülldeponien zu leben, fünfmal so hoch wie die anderer Menschen. Ihre | |
Lebenserwartung ist heute noch niedriger aufgrund erhöhter | |
Umweltbelastungen im Arbeits- und Wohnumfeld. | |
## Umweltrassismus in Europa weit verbreitet | |
Immerhin habe sich seitdem die [2][Situation für Sinti*zza und Rom*nja | |
in Deutschland] verbessert, sagt Zentralrats-Leiter Heuß. Nach wie vor lebe | |
die [3][Minderheit] aber oft außerhalb der Städte. Manche | |
Wohnungsbaugesellschaft habe sogar interne Regeln, sie nicht in ihre Häuser | |
zu lassen. | |
„Das ist ein Skandal, aber meist kein Umweltskandal“, sagt Heuß. | |
Umweltrassismus gegen Sinti und Roma ist in Europa weit verbreitet. In | |
Mitrovica im Kosovo leben sie neben einer Bleimine. Im rumänischen | |
Cluj-Napoca wurden Roma zwangsumgesiedelt. Sie leben nun neben einer | |
Müllhalde in Containern und selbst gebauten Hütten, berichtet Heuß. | |
Nicht nur Sinti*zza und Rom*nja sind betroffen: Studien deuten darauf | |
hin, dass Haushalte in Kassel mit niedrigerem sozioökonomischen Status und | |
Migrationshintergrund stärker von Luftverschmutzung betroffen sind. Eine | |
Hamburger Untersuchung zeigt, dass der Ausländer*innenanteil in einem | |
Viertel am besten voraussagt, wie nah sich giftige Stoffe befinden. „Das | |
ist schon perfide, wie marginalisierten Bevölkerungsgruppen Umweltrisiken | |
systematisch und strukturell aufgebürdet werden“, sagt Studienautorin | |
Ituen. | |
## Problem Hitze | |
Die Klima- und die Coronakrise werfen nun ein neues Licht auf das Thema – | |
und verstärken seine Effekte. „Die Klimakrise trifft nicht alle gleich, | |
sondern verstärkt bestehende Ungleichheiten“, so Hey. Für die USA weisen | |
das Studien bereits nach. Erste Erhebungen deuten darauf hin, dass das | |
Klima auch in Deutschland zu mehr Umweltrassismus führt. | |
Hitze ist ein Problem. Nach China und Indien hat Deutschland die meisten | |
Hitzetoten. Statistiken aus Berlin zeigen, dass die Wärmebelastung in | |
dichten Innenstadtgebieten wie Nord-Neukölln, Wedding/Gesundbrunnen, Moabit | |
oder Kreuzberg-Nord besonders hoch ist. Hier leben viele Menschen mit | |
Migrationshintergrund. Auch Corona wirkt sich aufgrund von Umweltrassismus | |
stärker auf marginalisierte Menschen aus, wie Studien aus den USA und | |
Großbritannien zeigen: Schwarze Menschen erkranken dort häufiger an | |
Covid-19. Ursachen: ihre schlechteren Wohn- und Arbeitsbedingungen, die das | |
Abstandhalten erschweren, aber auch Vorerkrankungen, die teilweise mit | |
erhöhter Belastung durch Umweltverschmutzung zusammenhängen. | |
„Ich war sehr überrascht, dass wir so wenige Studien zu Umweltrassismus in | |
Deutschland fanden. Denn es gibt Berichte von deutschen Sinti und Roma | |
bereits aus den 1980ern. Die haben aber kein Gehör gefunden“, so Ituen. Die | |
beiden Forscherinnen erzählen, dass sich große deutsche Umweltverbände wie | |
Greenpeace und BUND noch nicht mit Umweltrassismus auseinandergesetzt | |
haben. „Das hat mich wahnsinnig schockiert“, sagt Ituen. | |
Rassismus sei immer noch ein Tabuthema, in Deutschland werde soziale | |
Gerechtigkeit bei Umweltthemen oft nicht mitgedacht, da die Natur | |
unabhängig vom Menschen gesehen werde. „Diese künstliche Trennung erscheint | |
nur für privilegierte Menschen sinnvoll. Man kann die Umwelt nicht | |
zerstören, ohne Menschen zu zerstören“, betont Ituen. | |
## Verstoß gegen das Grundgesetz | |
Umweltrassismus verstößt für die Autorinnen gegen Menschenrechte – und auch | |
gegen das Grundgesetz, das die „Herstellung gleichwertiger | |
Lebensverhältnisse“ garantiert. „Diese Rechte lassen sich nicht einlösen, | |
wenn keine Daten vorliegen und sich keine Akteur*innen dafür einsetzen“, | |
beklagt Hey. Politik, Zivilgesellschaft sowie Stadt- und Raumplanung fehle | |
es auch an Daten, um Umweltrassismus anzugehen. | |
Hey und Ituen fordern deshalb detailliertere Erhebungen zu migrantisierten | |
und rassifizierten Menschen, um deren Lebensrealität greifbarer zu machen. | |
„Die Verstrickungen müssen zusammengedacht werden“, sagt Hey. „Klima, | |
Umwelt, Rassismus, Sexismus sind verflochten – nur so können wir etwas | |
wirklich verändern.“ | |
Hinweis: Die Autorin ist Studienstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung, | |
war aber mit der besprochenen Untersuchung nicht befasst. | |
10 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.boell.de/sites/default/files/2021-12/E-Paper%20Der%20Elefant%20… | |
[2] /Kampf-gegen-Antiziganismus/!5803476 | |
[3] /Antiziganismus-Bericht-fuer-Deutschland/!5781261 | |
## AUTOREN | |
Mareike Andert | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Klimagerechtigkeit | |
Studie | |
Sinti und Roma | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Zwangsräumung | |
Roma | |
Antiziganismus | |
Sinti und Roma | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Umweltrassismus gegen Roma: „Es sind keine Einzelfälle“ | |
Roma in Europa sind überdurchschnittlich oft von Umweltrassismus betroffen, | |
sagt Forscherin Katy Wiese. Was die Politik dagegen unternehmen sollte. | |
Romaday 2023 in Berlin: „An schädliche Orte gezwungen“ | |
Die ohnehin verfolgte Minderheit der Sinti:zze und Rom:nja ist von | |
Umweltrassismus besonders betroffen, sagt Nene Opoku vom Black Earth | |
Kollektiv. | |
Zwangsräumungen in Berlin: Keine Ersatzwohnung gefunden | |
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat die Zwangsräumung von zwei Familien | |
ausgesetzt. Doch abgesagt ist die Räumung damit nicht. | |
Vertreibung von Mieter:innen: Das ist unser Haus! | |
Ein von Rom:nja bewohntes Haus in Friedrichshain will die Eigentümerin | |
abreißen. Bewohner:innen, Bezirk und Initiativen kämpfen für den | |
Verbleib. | |
Kampf gegen Antiziganismus: Umsetzung verschleppt | |
Die Bundesregierung unternimmt wenig im Kampf gegen die Diskriminierung von | |
Sinti und Roma. Das liegt auch am nahenden Ende der Legislaturperiode. | |
Antiziganismus in Berlin: Beim Jobcenter diskriminiert | |
Menschen mit Roma-Hintergrund werden in Bundesbehörden oft benachteiligt. | |
Das Landesantidiskriminierungsgesetz schützt nicht. |