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# taz.de -- Umweltrassismus gegen Roma: „Es sind keine Einzelfälle“
> Roma in Europa sind überdurchschnittlich oft von Umweltrassismus
> betroffen, sagt Forscherin Katy Wiese. Was die Politik dagegen
> unternehmen sollte.
Bild: Müll und Häuser im Roma-Viertel Stolipinowo in der bulgarischen Stadt P…
taz: Frau Wiese, was bedeutet Umweltrassismus?
Katy Wiese: Der Begriff stammt aus den USA. Da wurde festgestellt, dass
Deponien, Verbrennungsanlagen und Entsorgungsstätten für gefährliche
Abfälle überproportional in den Gebieten von bestimmten ethnischen Gruppen,
vor allem People of Color, Indigenen oder Schwarzen Personen platziert
wurden. Es handelt sich um [1][Umweltrassismus], wenn die Vor- und
Nachteile von Umweltpolitik oder Umweltkatastrophen ungleich verteilt
werden, bewusst oder unbewusst. Oft sind diskriminierte
Bevölkerungsschichten und Ethnien stärker von den Nachteilen betroffen. Es
geht dabei auch um Mitspracherechte, denn marginalisierte Gruppen werden in
der Gesellschaft zu wenig wahrgenommen.
In einer [2][Studie von 2020] haben Sie dargelegt, inwiefern
Rom*nja-Gemeinschaften in Mittel- und Ost-Europa von Umweltrassismus
betroffen sind. Was kam dabei heraus?
Umweltrassismus gegen Rom*nja-Gemeinschaften ist ein strukturelles und weit
verbreitetes Problem, es sind keine Einzelfälle. Räumliche Segregation,
also die räumliche Absonderung von Menschen, spielt eine entscheidende
Rolle dafür, dass Umweltrassismus überhaupt möglich ist. Sie geht häufig
mit ungünstigeren Umweltbedingungen einher. Die Mehrheit der
[3][Rom*nja-Gemeinschaften in Mittel- und Osteuropa] lebt in
abgeschnittenen Siedlungen am Rande kleinerer Städte oder in isolierten
Dörfern, wo grundlegende Infrastruktur fehlt und das Risiko für
Umweltkatastrophen besonders hoch ist.
Was heißt das genau?
Rom*nja-Gemeinschaften haben [4][zum Beispiel keinen Zugang zu sauberem
Wasser], es fehlen sanitäre Anlagen, eine Kanalisation und Abfallentsorgung
– bei der Bevölkerung in benachbarten Gebieten ist das nicht so. Zudem
haben Rom*nja-Gemeinschaften oft keine andere Wahl, als in ökologisch
geschädigten und verschmutzten Gebieten zu leben oder zu arbeiten. Dabei
handelt es sich etwa um Bergbaukomplexe, kontaminierte Industriestandorte
oder Mülldeponien. Diese Gebiete sind auch besonders anfällig für
Naturgefahren wie Überschwemmungen, die durch den Klimawandel noch
wahrscheinlicher werden.
In der Studie steht, dass Rom*nja-Gemeinschaften auch Nachteile durch
Umweltprojekte haben können.
Genau, das hat mich sehr schockiert! Rom*nja-Gemeinschaften werden immer
wieder aus Regionen vertrieben, etwa aus Gebieten mit wertvollen
natürlichen Ressourcen, weil dort Platz geschaffen werden soll. Platz für
neue Häuser oder Straßen, Tourismus, aber auch für Entwicklungsprojekte und
Naturschutz. Dadurch werden sie de facto gezwungen, in verseuchte Gebiete
zu ziehen. Für die Rom*nja hat das verheerende Folgen, soziale und
gesundheitliche. Die Gemeinschaften sind besonders häufig von
Infektionskrankheiten betroffen, die Bevölkerung leidet unter psychischen
Problemen.
Wie kann so etwas passieren?
Dass Rom*nja Umweltbelastungen häufiger ausgesetzt sind, ist eine der
vielen Dimensionen von Antiziganismus, also der rassistisch motivierten
Diskriminierung und Ausgrenzung von Sinti*zze und Rom*nja.
Warum haben Sie sich in Ihrer Studie auf Mittel- und Osteuropa fokussiert?
Wir haben für die Studie 32 Fälle in Nordmazedonien, Rumänien, Bulgarien,
Ungarn und der Slowakei untersucht. Insgesamt sind dort rund 154.000
Menschen direkt betroffen. Wir haben uns für die fünf Länder entschieden,
weil wir wussten, dass es dort viele Fälle von Umweltrassismus gibt.
Außerdem wussten wir, dass es sich bei den untersuchten Fällen um
Situationen handelt, in denen die Mehrheit der betroffenen Bevölkerung
eindeutig zu einer Rom*nja-Gemeinschaft gehört. Die in den angrenzenden
Dörfern, Städten oder Stadtteilen lebende Bevölkerung ist vergleichsweise
wenig von den beschriebenen Auswirkungen betroffen. Das haben wir gemeinsam
mit dem Ergo Network entschieden, einer Organisation, die sich für die
Rechte der Roma einsetzt. Die Fälle sind im [5][Global Atlas for
Environmental Justice], kurz EJ Atlas gelistet. Auf der Atlas-Website
werden Fälle von Umweltrassismus weltweit gesammelt. Die
Organisator*innen des Projekts waren auch an der Studie beteiligt. Um
die 32 Fälle in unserer Studie zu analysieren, haben fünf Forschende, die
teilweise selbst Rom*nja sind und die Sprachen sprechen, viele Interviews
vor Ort geführt.
In der Studie diskutieren Sie auch, was die EU-Politik für die Rechte von
Rom*nja-Gemeinschaften tut.
Es geht um Umwelt- und Klimagerechtigkeit. Rom*nja-Gemeinschaften wird oft
der Zugang zu Informationen und das Recht auf gesellschaftliche Beteiligung
verweigert – gerade wenn es um Entscheidungen in Umweltangelegenheiten
geht, die ihr Leben beeinflussen. Es gibt sehr wenig öffentliche Besorgnis
über die ungleiche Verteilung der Umweltrisiken in der EU und in den
betroffenen Ländern. Die Politik in Europa hat sich bisher nicht angemessen
um Umweltrassismus gekümmert. Dabei gefährdet er die Umsetzung der Ziele
für nachhaltige Entwicklung der EU.
Was müsste sich ändern?
Die Vorurteile gegenüber Rom*nja müssen abgebaut werden. Die EU, ihre
Mitgliedstaaten und die Beitrittskandidaten müssen Umweltrassismus gegen
Rom*nja-Gemeinschaften angehen. Der EU-Rahmen für die
Rom*nja-Integrationspolitik wurde nach Veröffentlichung unserer Studie
angepasst, jetzt wird der Umweltrassismus gegen Rom*nja als spezifische
Erscheinungsform von Antiziganismus anerkannt. Allerdings muss noch mehr
getan werden. Es hapert vor allem an der Implementierung. Die EU könnte,
wenn die Staaten von ihr Geld bekommen, sie im Gegenzug dazu verpflichten,
die Situation der Rom*nja-Gemeinschaften zu verbessern. Mehr Analysen und
Monitorings könnten auch helfen. Deutschland sollte seine starke Rolle in
der EU wahrnehmen, damit Umweltrassismus endlich mit mehr Nachdruck
bekämpft wird. Denn auch in Deutschland ist Umweltrassismus gegen Rom*nja
ein Problem, das zeigt der EJ Atlas.
7 Apr 2024
## LINKS
[1] /Umweltrassismus-in-Deutschland/!5823791
[2] https://www.ibanet.org/article/8BE6FDB8-7DFB-44C1-BBFE-D72EB3DA3397
[3] /Diskriminierung-von-Romnja-in-Rumaenien/!5967794
[4] /Romaday-2023-in-Berlin/!5923395
[5] https://ejatlas.org/
## AUTOREN
Carlo Mariani
Nanja Boenisch
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Umweltschutz
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