# taz.de -- Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt: Erst verdrängt, dann abgezo… | |
> Rom*nja-Familien in einem Haus in Niederschöneweide droht der | |
> Rausschmiss. Einige waren zuvor schon aus ihrem Zuhause verdrängt worden. | |
Bild: Die ehemaligen Bewohner*innen der Straße der Pariser Kommune 20 halten z… | |
BERLIN taz | Adrian Stoica ist verzweifelt. Von einem Tag auf den anderen | |
sollen er, seine Frau und ihre sieben Kinder ihre Wohnung in | |
Niederschöneweide verlassen. „Meine Kinder gehen hier zur Schule, haben | |
hier Freunde, wir können nirgendwo anders hin“, sagt der Mann aus Rumänien, | |
der in Wirklichkeit anders heißt, aus Angst vor negativen Konsequenzen aber | |
nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen will. | |
Stoica ist Rom und wohnt seit fünf Monaten in dem Haus, in dem auch viele | |
andere Rom*nja-Familien wohnen. „Die meisten zahlen ihre Miete in bar“, | |
sagt er. Manche hätten nicht mal Mietverträge, weil sie immer wieder | |
vertröstet würden. Einmal im Monat komme eine Frau und sammle die Miete | |
ein, dafür bekämen die Bewohner*innen eine Quittung in die Hand | |
gedrückt. | |
Ende April standen dann auf einmal mehrere Männer vor seiner Tür und | |
sagten, sie müssten sofort ausziehen, ihr Mietvertrag sei abgelaufen. | |
Stoica selbst war zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause, erzählt er, seine Frau | |
habe ihn angerufen, völlig eingeschüchtert von den fremden Männern mit | |
Hunden, die sie rausschmeißen wollten. „Sie wollten uns Angst einjagen“, | |
ist sich Stoica sicher. | |
Große Haushalte haben es in Berlin besonders schwer, eine Wohnung zu | |
finden. Die 9-köpfige Familie war also froh, überhaupt eine Wohnung | |
gefunden zu haben – auch wenn diese mit zwei Zimmern viel zu klein ist. | |
Sogar 6.000 Euro „Vermittlungsgebühr“ habe er bezahlt, sagt Stoica – eine | |
illegale Praxis, mit der dubiose Makler*innen die Not von Geflüchteten | |
und anderen diskriminierten Menschen auf dem Berliner Wohnungsmarkt | |
ausnutzen. | |
Um nach achtmonatiger Wohnungslosigkeit endlich wieder ein eigenes Dach | |
über dem Kopf zu haben zahlte die Familie – obwohl sie dafür nur einen auf | |
vier Monate befristeten Mietvertrag erhielt, der nun abgelaufen ist. „Uns | |
wurde eine Verlängerung versprochen, doch wir wurden belogen“, sagt Stoica | |
enttäuscht. | |
## Der Eigentümer sieht sich als Opfer | |
Der Eigentümer bestreitet gegenüber der taz die Vorwürfe. Matteo Colusso | |
ist Geschäftsführer der IPG V GmbH, die das Haus mit den 50 Wohnungen vor | |
zwei Jahren gekauft hat. Hauptmieter war seinerzeit die „Wohnen auf Zeit | |
GbR“, die auf taz-Anfrage nicht zu erreichen war. „Der Hauptmieter hat uns | |
jahrelang nicht bezahlt, aber die Miete kassiert“, sagt Colusso. „Das ist | |
für uns ein Millionenschaden.“ | |
Also habe die IPG V das Unternehmen verklagt – und gewonnen. Weil derzeit | |
noch mehrere Verfahren laufen würden, will sich Colusso nicht näher dazu | |
äußern. „Ich habe den Bewohnern immer gesagt, dass das nur eine | |
kurzfristige Lösung ist, bis wir einen neuen Hauptmieter haben“, sagt | |
Colusso. | |
Darüber, wie viele Menschen und wer genau derzeit in dem Haus wohnt, habe | |
er keine Kenntnis. Nur, dass auf das Firmenkonto nur von einer Handvoll | |
Mietparteien Geld eingezahlt würde. Wo das ganze Bargeld hingeht und wer | |
die Frau ist, die die Miete einsammelt, wisse er auch nicht. | |
## Neuer Hauptmieter mit dubiosen Methoden | |
Seit November gibt es nun einen neuen Hauptmieter: Kai Berger, | |
Geschäftführer der HKI Consulting GmbH. Im Gespräch mit der taz bestätigt | |
er, dass er mit mehreren Security-Leuten und Hund von Haustür zu Haustür | |
gelaufen ist, um den Bewohner*innen zu sagen, dass sie sofort ausziehen | |
müssten. Dass der Schäferhund bedrohlich gewirkt haben soll, mag er aber | |
nicht glauben. „Das war eher eine Kuschelattacke.“ | |
Als er das Haus übernommen habe, um es zu sanieren und weiterzuvermieten, | |
habe er von den vielen Mieter*innen auch gar nichts gewusst, sagt | |
Berger. Die müssten jedoch so bald wie möglich raus. „Da ist keiner legal | |
drin“, meint der Unternehmer. Das Haus sei nämlich gar kein Wohnhaus, | |
sondern ein Gewerbeobjekt, das zudem in „katastrophalem Zustand“ sei. | |
Die Türen seien aufgebrochen worden, es gebe einen Wasserschaden, im Hof | |
sammle sich der Müll und locke die Ratten an. Nach der Sanierung könnten | |
die aktuellen Bewohner*innen aber natürlich wieder zurückkommen, sagt | |
Berger – wenn der neue Mieter sie lässt. | |
## Bezirk stellt sich auf Seite der Bewohner*innen | |
Auch der Bezirk Treptow-Köpenick hat sich mittlerweile eingeschaltet. Aber | |
nicht, um, wie von Berger gewünscht, eine Brandschutzbegehung vorzunehmen, | |
sondern um den Bewohner*innen zu helfen. „Die Bau- und Wohnungsaufsicht | |
sieht keinen Bedarf, tätig zu werden“, sagt die zuständige | |
Bezirksstadträtin Claudia Leistner (Grüne) zur taz. „Es geht jetzt erst | |
einmal darum, die Menschen zu schützen.“ Also hat Leistner die | |
Mieter*innenberatung Asum beauftragt, sich der Sache anzunehmen. | |
Die bietet jetzt eine Sprechstunde für die Bewohner*innen an. Für | |
Geschäftsführer Knut Beyer ist die Lage eindeutig: „Das sind Mieter, und | |
sie sind vom Wohnungsmietrecht geschützt – unabhängig vom Status des | |
Hauses.“ Ob es sich bei dem Wohnhaus wirklich um ein Gewerbeobjekt handle, | |
müsse nun erst einmal geprüft werden, sagt Beyer zur taz. Im Grundbuch sei | |
eine GmbH eingetragen, die es längst nicht mehr gäbe. So oder so könnten | |
die Mieter*innen nicht einfach so rausgeschmissen werden, erst recht | |
nicht mit so dubiosen Methoden. | |
Denn um einen Mietvertrag zu befristen, brauche es eine qualifizierte | |
Begründung. Die fehle jedoch in den Verträgen der Bewohner*innen. „Damit | |
sind das zivilrechtlich unbefristete Verträge“, so Beyer. Solange kein | |
Räumungstitel vorliege, hätten die Bewohner*innen also nichts zu | |
befürchten. Zumindest solange sie weiter ihre Miete zahlen – und zwar | |
besser nicht bar an die unbekannte Frau. | |
## Nicht der erste Fall von Verdrängung von Rom*nja | |
Beyer sieht hier ein strukturelles Problem. „Die Unwissenheit der | |
Roma-Familien wird gnadenlos ausgenutzt“, sagt er. Ähnlich sei es auch in | |
der [1][Straße der Pariser Kommune 20] gelaufen. Seit 2015 wohnten dort | |
über 40 Rom*nja-Familien aus einem Dorf in Rumänien. Bis der Plattenbau | |
nahe des Ostbahnhofs 2018 von einer russischen Investorin aufgekauft wurde, | |
die die Bewohner*innen mit fadenscheinigen Begründungen kündigte. Der | |
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg beauftragte daraufhin Asum, die für 25 | |
Familien neue Wohnungen finden konnte. | |
Bei einer Veranstaltung von Bare, dem Bündnis gegen Antiziganismus und | |
Roma*-Empowerment, am Mittwochabend sind viele der ehemaligen | |
Bewohner*innen gekommen. Denn auch ein halbes Jahr, nachdem die letzte | |
Familie das Haus verlassen hat, sind noch viele Fragen offen. So ist | |
unklar, was mit den Familien passiert, die eine Rückkehroption und damit in | |
ihrer neuen Wohnung nur befristete Verträge haben, wenn der Neubau nicht | |
wie geplant in drei Jahren steht. Bislang ist das alte Gebäude nicht einmal | |
abgerissen. | |
Drei der Familien aus der Straße der Pariser Kommune sind mittlerweile in | |
dem Haus in Niederschöneweide gelandet. Zu ihnen gehört auch Adrian Stoica. | |
Er hatte sich seinerzeit für die Abfindung entschieden, zu der ihm die | |
Eigentümerin zusätzlich eine neue Wohnung versprochen hatte. Nachdem er mit | |
seiner Familie dort einzog, stellte sich jedoch heraus, dass er betrogen | |
worden war, sein Vertrag war ungültig und sie mussten wieder ausziehen. | |
Stoica hofft, mit seiner Familie in Niederschöneweide bleiben zu können. Am | |
liebsten wäre er jedoch wieder mit seiner Community aus der Straße der | |
Pariser Kommune vereint: „Ich wünsche mir, dass die Stadt uns ein Gebäude | |
zur Verfügung stellt, wo wir alle wieder zusammen leben und unsere Kinder | |
zusammen spielen können.“ | |
11 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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