| # taz.de -- Mitorganisator über Roma Resistance Day: „Wir kämpfen für unse… | |
| > Am 16. Mai findet der Roma Resistance Day statt, nur leider nicht im | |
| > Berliner Roten Rathaus. Kenan Emini weiß auch sonst wenig Gutes zu | |
| > berichten. | |
| Bild: Kenan Emini 2016 beim Gespräch mit einer Roma-Familie, die für ihr Blei… | |
| taz: Herr Emini, nur einmal fand 1981 ein Weltkongress der Roma in | |
| Deutschland statt. Nun haben Sie in Berlin den [1][World Roma Congress] | |
| mitorganisiert. Aber im Roten Rathaus ist kein Platz für Sie? | |
| Kenan Emini: Nach einer Zusage und einem halben Jahr Planung hat uns die | |
| Berliner Senatskanzlei am 8. Mai den Raum abgesagt. Wir mussten eine Woche | |
| vor der geplanten Veranstaltung einen neuen Ort finden. Das hat zum Glück | |
| noch geklappt. | |
| Mit welcher Begründung kam die kurzfristige Ausladung? | |
| Uns wurde mitgeteilt, Veranstaltungen der „Hausleitung“ hätten Priorität. | |
| Die neue CDU-geführte Berliner Landesregierung hatte also kurzfristig | |
| andere Pläne? | |
| So viel zum Umgang der Institutionen mit Roma. Im Rahmen des Weltkongresses | |
| wollten wir am 16. Mai im Roten Rathaus eigentlich den [2][Roma Resistance | |
| Day] begehen. | |
| Der Gedenktag ist nicht allen bekannt. | |
| Am 16. Mai 1944 haben Tausende Roma in Auschwitz-Birkenau Widerstand | |
| geleistet und sich gegen ihre Ermordung durch die SS gewehrt. Sie konnten | |
| die Vernichtung nur verzögern. Am 2. August 1944 wurden die verbliebenen | |
| 4.300 Roma in dem Lager in einer Nacht vergast. Der 2. August ist daher der | |
| Holocaust-Gedenktag für die ermordeten Roma und Sinti. Der Impuls, auch an | |
| den Widerstand der Roma am 16. Mai zu erinnern, kam vor einigen Jahren in | |
| Frankreich auf. Für uns steht der Tag auch für den aktuellen Widerstand, da | |
| Roma bis heute für ihre Rechte kämpfen müssen. | |
| Was ist der Anlass für den neuen World Roma Congress? | |
| Die Lage der Roma in den meisten Gesellschaften überall auf der Welt ist | |
| schlecht. Diskriminierung, Rassismus und Marginalisierung sind alltäglich. | |
| Vor einem Jahr waren wir mit einer internationalen Delegation im | |
| EU-Parlament. Dort haben wir beschlossen, selbst einen Kongress zu | |
| organisieren. | |
| Warum waren Sie in Brüssel? | |
| Wegen der Vertreibung eines Großteils der ehemals 150.000 Roma aus dem | |
| Kosovo nach dem Krieg 1999. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg die größte | |
| Katastrophe für Roma in Europa. Sie haben seit Jahrhunderten dort gelebt. | |
| Wir wollten eine Verbesserung der aktuellen Situation erreichen, unter | |
| anderem in Bezug auf die Häuser der Roma, die nach den Vertreibungen von | |
| Kosovoalbanern besetzt wurden. Dieses Problem ist nach mittlerweile 24 | |
| Jahren immer noch nicht geklärt. | |
| Der erste Welt-Roma-Kongress fand 1971 in England statt. Da wurde eine | |
| Romaflagge und das Lied „Gelem, Gelem“ als Hymne festgelegt. Seitdem gab es | |
| zehn weitere Kongresse. Stehen Sie in dieser Tradition? | |
| Ja und nein. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Grattan Puxon, Mitinitiator und Generalsekretär des ersten | |
| Welt-Roma-Kongresses in England, ist nach wie vor dabei. | |
| Aber? | |
| Mit dem Kongress möchten wir eine neue Richtung einschlagen und eine | |
| Plattform schaffen, auf der die realen Probleme gelöst werden können. Die | |
| Roma wurden in der Gesellschaft nie als gleichwertig akzeptiert, sondern | |
| blieben Bürger zweiter Klasse. Bis heute wird das Problem der strukturellen | |
| und institutionellen Diskriminierung nicht systematisch angegangen. Eine | |
| umfassende Reform der Romapolitik ist notwendig. | |
| Wurden auf den vergangenen Weltkongressen nicht die Grundsteine gelegt, an | |
| die Sie heute anknüpfen? Die Anerkennung des NS-Völkermords an den Sinti | |
| und Roma kam erst 1982. Damals empfing Bundeskanzler Helmut Schmidt eine | |
| Delegation des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma um deren Vorsitzenden | |
| Romani Rose … | |
| Es wurde viel erreicht und es war ein harter Weg bis zu dieser Anerkennung. | |
| Die Vorarbeit wurde auch 1981 auf dem dritten Welt-Roma-Kongress in | |
| Göttingen geleistet. Damals kamen über 600 Delegierte aus 28 Ländern. Das | |
| hat Eindruck gemacht. Aber es wurde auch gestritten und es gab Kritik. | |
| Inwiefern? | |
| Die Anerkennung des Völkermords, die 1982 folgte, bezog sich nur auf | |
| Deutschland und auf Sinti und deutsche Roma. Dabei reden wir über ein | |
| Verbrechen in ganz Europa. Viele der Überlebenden aus Osteuropa waren Teil | |
| des Kongresses von 1971 und folgende. Dass Sinti und Roma in Deutschland | |
| während der Zeit des Nationalsozialismus umgebracht wurden, ist | |
| mittlerweile einigermaßen bekannt. Aber nicht darüber hinaus. Das ist in | |
| vielerlei Hinsicht problematisch. Zum Beispiel wenn wir über aktuelle | |
| Fragen in der Migrations- und Flüchtlingspolitik sprechen. Wenn es also um | |
| Familien aus Serbien, Kosovo oder aus Nordmazedonien geht, die kein | |
| Bleiberecht erhalten und abgeschoben werden sollen. | |
| Sie meinen, es spielt keine Rolle, dass es sich um NS-Überlebende und deren | |
| Nachfahren handelt? | |
| Es spielt in Deutschland gar keine Rolle und das ist skandalös. Das wäre | |
| vielleicht anders, wenn die Anerkennung des Genozids 1982 auch für die Roma | |
| aus den ehemals besetzten Gebieten Ost- und Südosteuropas erfolgt wäre. Wir | |
| sehen das zum Beispiel nun wieder bei Geflüchteten aus der Ukraine. Für | |
| jüdische Geflüchtete aus der Ukraine gibt es ein vereinfachtes | |
| Zuwanderungsverfahren. Das ist richtig so! Für Roma aus der Ukraine gilt | |
| das aber nicht, im Gegenteil. | |
| Roma aus der Ukraine wurden teilweise an der Grenze abgewiesen und nicht | |
| wie alle anderen Flüchtlinge behandelt. | |
| Wir sprechen von Rassismus bei der Flucht, in den Transit- und | |
| Aufnahmeländern, aber auch von Diskriminierung zuvor in der Ukraine. 2016, | |
| 2017, 2018 gab es zum Beispiel dort Pogrome gegen Roma. Letztes Jahr | |
| berichteten mir Flüchtende, mit denen ich in Polen gesprochen habe, dass | |
| sie vor russischen Bomben fliehen und vor Schlägen der Ukrainer. | |
| In ganz Europa gehören Roma oft zu der ärmsten Gruppe innerhalb der | |
| Bevölkerung. Inwiefern spielt das bei der Diskriminierung eine Rolle? | |
| Die Umstrukturierungen in Ost- und Südosteuropa nach dem Ende des Kalten | |
| Krieges und dem darauf folgenden Wachstum des Nationalismus und | |
| reaktionärer Ideologien haben zu gravierender Marginalisierung und | |
| Verarmung von Roma geführt. Roma hatten normale Jobs und waren dann die | |
| Ersten, die ihre Arbeit verloren. Der Rassismus trieb die Leute in die | |
| Armut. Und die Armut verstärkt den Rassismus. Heute haben viele Roma kaum | |
| eine Zukunftsperspektive. Auch wenn sie akademische Abschlüsse haben, | |
| finden sie keine Arbeit. | |
| Wie lässt sich dieser Kreislauf durchbrechen? | |
| Der größte Faktor ist die Mehrheitsgesellschaft. Sie ist nicht richtig | |
| sensibilisiert und hat kein Bewusstsein für Diskriminierung, obwohl Roma | |
| seit Jahrhunderten in Europa leben. Medien reproduzieren Stereotype und | |
| Angst einflößende Bilder von Roma. Dieses Problem müssen wir lösen. | |
| Wie kann das gelingen? | |
| Beispielsweise auch über mehr Sichtbarkeit von Roma in popkulturellen | |
| Medien. Ich gebe ein Beispiel: In den Marvel- und DC-Comics gibt es viele | |
| Romacharaktere, deren Herkunft in den Verfilmungen nicht erwähnt oder | |
| verfälscht wird: zum Beispiel „Dr. Doom“, „Scarlet Witch“ oder „Dick | |
| Grayson“, also „Robin“ bei Batman. Diese Charaktere sollten ihre | |
| Romaherkunft bei den Verfilmungen behalten, auch durch eine entsprechende | |
| Auswahl der Darsteller. Wegen „Dr. Doom“ sind wir mit Marvel im Gespräch. | |
| Das ist einer der Wege, mit der Mehrheitsgesellschaft zu kommunizieren. | |
| Über den anderen Weg, den politischen, sprechen wir auf dem Kongress in | |
| Berlin. | |
| 16 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://worldromacongress.org/ | |
| [2] https://www.roma-center.de/16-mai-international-roma-resistance-day/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
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