| # taz.de -- Aktivist über Holocaust-Gedenktag: „Der Duft von Kölnisch Wasse… | |
| > Alltägliches ist nicht zu lösen von Erinnerung, sagt Hamze Bytyçi. Er ist | |
| > Kurator einer Ausstellung zum Holocaust-Gedenktag für Sinti* und Roma*. | |
| Bild: Denkmal für die von den Nazis ermordeten Sinti* und Roma* in Berlin | |
| taz: Herr Bytyçi, am 2. August 1944 ermordeten die Nazis die letzten | |
| verbliebenen Sinti* und Roma* im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. | |
| Wie steht es um die Erinnerung an diesen Genozid heute, 79 Jahre später? | |
| Hamze Bytyçi: Die aktuelle Lage erinnert mich an Zeiten, die ich nicht noch | |
| mal erleben will. Das klingt vielleicht polemisch. Aber die AfD hat gerade | |
| einen [1][Rechtsradikalen zum Spitzenkandidaten für die Europawahl gekürt], | |
| alle sprechen über die Brandmauer nach rechts, und ich muss sagen: Für die | |
| Sinti- und Roma-Community ist diese schon lange gefallen. | |
| Das reicht vom sogenannten [2][Asylkompromiss 1993] über die Definition | |
| „sichere Herkunftsländer“, was sich explizit gegen Sinti* und Roma* vom | |
| Balkan richtete, bis heute, wo täglich auf brutale Art Menschen nach Moldau | |
| abgeschoben werden. Da sitzen weinende Mädchen, weil die Mutter an der | |
| Bushaltestelle abgepasst und abgeschoben wurde, oder [3][minderjährige | |
| Kinder gehen den Behörden „verloren“]. | |
| Die Ampelregierung hat erstmals einen Antiziganismusbeauftragten | |
| eingesetzt. Ist das nicht auch ein gutes Zeichen? | |
| Natürlich ist es gut, diesen Beauftragten zu haben. [4][Mehmet Daimagüler] | |
| ist absolut fähig und hat als Jurist mehrfach Hinterbliebene und Betroffene | |
| als Nebenkläger vertreten. Aber es ist vor allem eine symbolische Figur und | |
| ich hätte mir gewünscht, dass jemand aus der Community berufen wird. | |
| Sie sind Kurator einer Ausstellung anlässlich des Europäischen | |
| Holocaust-Gedenktags für Sinti* und Roma*: Ein [5][Dynamic Memory Lab mit | |
| dem Titel „Codes of Memory“]. Was kann man sich darunter vorstellen? | |
| Wir wollen klarmachen, dass wir Teil dieser Gesellschaft sind, und zwar mit | |
| unseren Ritualen, Bräuchen und Codes. Das können ganz unterschiedliche | |
| Dinge sein – Gegenstände, Gerüche, Geschmäcker. Dinge, die essentiell mit | |
| der Geschichte, Kultur und den Erfahrungen der Community zu tun haben. | |
| Können Sie ein paar Beispiele nennen? | |
| Wir haben in der Ausstellung Hajmalije, kleine dreieickige Ornamente mit | |
| Leder oder Stoff, die Sinnsprüche zum Schutz vor Verwünschung beinhalten. | |
| Oder Hufeisen: Meine Großeltern waren wie viele unserer Menschen Schmiede. | |
| Menschen haben Gerüche beigetragen, die für sie etwas symbolisieren. Sei es | |
| der Duft von Kölnisch Wasser, den der nach Westeuropa migrierte Onkel | |
| ausströmte, oder der nach Weichspüler, der für mich persönlich ein Gefühl | |
| von Angekommensein ausstrahlt. Es geht um Bräuche und Überlieferung – | |
| schneide niemals deine Nägel bei Sonnenuntergang, nimm keine Steine mit in | |
| geschlossene Räume. | |
| Jetzt ist, was jemand mit einem Duft verbindet, ja hochindividuell. Wie | |
| passt das in den Kontext kollektiver Erinnerung? | |
| Es passt, weil man uns immer wieder [6][kollektiv stereotypisiert]. Wir | |
| wollen zeigen, dass es eben nicht die Sinti* oder die Roma* gibt. Das | |
| Alltägliche ist auch nicht loszulösen von der Erinnerung an den Genozid: | |
| Aber glauben wie der, dass schwarze Katzen von rechts Unglück bringen, | |
| verbindet – gleichzeitig ist dieses Warnen unserer Großeltern vor Unglück | |
| und Gefahr Ausdruck einer Generation, die nie offen über ihr Trauma | |
| gesprochen, es aber immer mit sich getragen hat. | |
| Der [7][Holocaust-Überlebende Zoni Weisz] sagt oft: „Unbekannt macht | |
| unbeliebt.“ Insofern ist das Dynamic Memory Lab auch eine Einladung zum | |
| Austausch: Besucher*innen können ihrerseits ihre Codes of Memory | |
| beisteuern, sie aufschreiben oder ein Video aufnehmen. So können Menschen | |
| sich näherkommen, kennenlernen, die Codes der anderen schätzen lernen. | |
| 2 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /AfD-Parteitag-in-Magdeburg/!5947746 | |
| [2] /Der-Asylkompromiss-von-1993/!5853601 | |
| [3] /Polizei-verliert-Kind/!5940367 | |
| [4] /Diskriminierung-von-Sinti-und-Roma/!5929965 | |
| [5] https://www.dialogueperspectives.org/de/dynamic-memory-lab/ | |
| [6] /Antiziganismus-bei-der-Polizei/!5629656 | |
| [7] /Denkmal-fuer-ermordete-Sinti-und-Roma/!5886987 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
| ## TAGS | |
| Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti | |
| Ampel-Koalition | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Diskriminierung | |
| Auschwitz | |
| GNS | |
| Genozid | |
| Sinti und Roma | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Rom*nja-Künstlerin über Frauen: „Gegen Stereotype arbeite ich an“ | |
| Małgorzata Mirga-Tas' Kunst trifft in einer Berliner Ausstellung auf | |
| deutschen Expressionismus. Ein Gespräch über Freundinnen, Nacktheit und den | |
| Genozid. | |
| Mitorganisator über Roma Resistance Day: „Wir kämpfen für unsere Rechte“ | |
| Am 16. Mai findet der Roma Resistance Day statt, nur leider nicht im | |
| Berliner Roten Rathaus. Kenan Emini weiß auch sonst wenig Gutes zu | |
| berichten. | |
| Diskriminierung von Sinti und Roma: „Polizei ist immer das erste Thema“ | |
| Antiziganismus ist weit verbreitet. Auch dort, wo die Minderheit auf den | |
| Staat trifft, kritisiert der Antiziganismusbeauftragte Mehmet Daimagüler. |