# taz.de -- Antiziganismus bei der Polizei: „Nicht vollständig vermeidbar“ | |
> Die Polizei klassifiziert eine abgewiesene Familie als Sinti und Roma. | |
> Das Innenministerium spricht von einem Einzelfall. | |
Bild: Schon im Nationalsozialismus verfolgt: das Mahnmal für die ermordeten Si… | |
BERLIN taz | Eine Familie aus Bosnien und Herzegowina will von Österreich | |
nach Deutschland einreisen. Sie haben nicht alle erforderlichen Papiere | |
dabei, die Bundespolizei weist sie zurück – und veröffentlicht am 22. | |
August eine Pressemitteilung, die nun für Empörung sorgt. Darin heißt es: | |
„Die abgelehnten Asylbewerber, die wohl der Minderheit der Sinti und Roma | |
angehören, waren ohne ausreichende Dokumente unterwegs.“ | |
„Wir kritisieren die wiederholte Erfassung der Zugehörigkeit zu den Rom*nja | |
oder Sinti*ze durch die Bundespolizei aufs Schärfste und fordern die | |
Aufklärung und Einstellung dieser Praxis“, sagte Merdjan Jakupov, | |
Geschäftsführer des Jugendverbands Amaro Drom. Er kritisierte eine „bis | |
heute andauernde Praxis der Kriminalisierung und Verfolgung“ der Gruppen, | |
die „zum [1][Genozid an den europäischen Rom*nja und Sinti*ze während des | |
Nationalsozialismus führte“.] | |
Die Nennung sei in diesem Fall „fehlerhaft“ und sei „entbehrlich“ gewes… | |
räumt auch das Bundesinnenministerium (BMI) in der Antwort auf eine Kleine | |
Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linke) ein, die der taz | |
vorliegt. Es handle sich um einen „Einzelfall“, die Mitteilung sei nicht | |
mehr online. Es erfolge eine „Sensibilisierung“ in den Pressestellen der | |
Bundespolizei. | |
Sinti*ze und Rom*nja kämpfen immer wieder mit dem Vorurteil, sie neigten zu | |
Kriminalität – nicht zuletzt, weil just ihre ethnische Zugehörigkeit immer | |
wieder in Pressemitteilungen der Polizei genannt wird. So hieß es etwa in | |
der Polizeilichen Kriminalstatistik in Berlin 2017 zu einer Deliktgruppe, | |
[2][bei den Tatverdächtigen handle es sich „überwiegend um Angehörige der | |
Volksgruppe der Sinti und Roma“]. Und erst Ende August erging in der | |
bayerischen Polizei eigentlich eine interne Dienstanweisung, eine solche | |
Charakterisierung habe „grundsätzlich zu unterbleiben“. Eine systematische | |
Untersuchung der Problemlage gibt es bislang nicht. | |
## Bitte „Volkszugehörigkeit“ auswählen | |
Jelpke fragte auch nach der Erfassung als „Sinti“ oder „Roma“ in | |
Datenbanken der Bundespolizei. Das BMI erklärte, im | |
Vorgangsbearbeitungssystem könne aus einem Katalog die „Volkszugehörigkeit�… | |
ausgewählt werden. Die Erfassung von Religion oder „einer | |
Gruppenzugehörigkeit, welche zur Zeit des NS-Regimes systematisch verfolgt | |
und sanktioniert wurde“, sei aber „nicht zulässig“. | |
Es gebe allerdings Freitextfelder – in diesem sei für die Jahre 2013 bis | |
2019 bei acht Personen das Wort „Sinti“ oder „Roma“ hinterlegt. Dies se… | |
„individuelle Fehler in der Sachbearbeitung“. Wegen der Notwendigkeit von | |
Freitextfeldern ließen sich diese „nicht vollständig vermeiden“. Das | |
Bundespolizeipräsidium habe nun aber „erste Maßnahmen eingeleitet, um Fälle | |
von unrechtmäßigen Erfassungen rückgängig zu machen“ und eine solche | |
Eingabe künftig zu unterbinden. Auch werde man nochmals entsprechend | |
sensibilisieren und auf die Vorschrift hinweisen. | |
„Eigentlich müssten hier die Alarmglocken schrillen“, sagte die | |
Linken-Politikerin Ulla Jelpke der taz. Besorgniserregend sei, dass die | |
Stabsstelle in München trotz kritischer Nachfragen „erst von ganz oben | |
zurückgepfiffen werden musste“. Antiziganistische Ressentiments stellten | |
„bis in die oberen Etagen der Bundespolizei hinein ein Problem dar“. Die | |
Aussage, dass sich so etwas nicht völlig vermeiden lasse, sei „ein | |
Armutszeugnis“. | |
Auch Anja Reuss vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erklärte, es sei | |
„nicht ausreichend, wenn die zuständigen Behörden auf die Fehlerhaftigkeit | |
und Entbehrlichkeit der Zuschreibung hinweisen“ oder gar darauf verwiesen, | |
dass man dies ja gar nicht dürfe. „Die Realität zeigt, dass Racial | |
Profiling und rassistische Markierungen zur polizeilichen Praxis gehören | |
und System haben“, sagte Reuss der taz. Man kooperiere mit verschiedenen | |
Polizeischulen. „Diese Arbeit muss fortgesetzt und intensiviert werden.“ | |
## „Für die meisten Europäer kaum vorstellbar“ | |
Das Grundproblem sei, „dass deutsche wie auch andere Polizeibehörden immer | |
noch einen kausalen Zusammenhang zwischen Minderheitenzugehörigkeit und | |
Kriminalitätsneigung annehmen und dementsprechend handeln“, sagte Markus | |
End vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin. | |
Er verwies auf die Ermittlungen im Fall „Scara Rulanta“, bei denen | |
Antiziganismus deutlich zu erkennen gewesen sei. So hieß es dazu 2016 in | |
der Zeitschrift der Bundespolizei, die Tatverdächtigen schickten ihre | |
Kinder aus Rumänien nach Deutschland auf „Klautour“: „Zum Stehlen nicht … | |
erzogen und ausgebildet, fühlen sich die Kinder vor allem moralisch ihren | |
Eltern verpflichtet. In der Kultur der Roma besitzt die Verantwortung der | |
Kinder für ihre Eltern einen außerordentlich hohen Stellenwert. Dies rührt | |
auch daher, da ihnen im Kindesalter ein Wertesystem vermittelt wird, das | |
für die meisten Europäer kaum vorstellbar erscheint.“ | |
17 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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