# taz.de -- Berlin Science Week beginnt: Der Welt den Hintern retten | |
> Die „Berlin Science Week“ will mit 200 Veranstaltungen wissenschaftliche | |
> Forschung und Lehre für ein breites Publikum abbilden. | |
Bild: Auch Özlem Türeci, Biontech-Mitgründerin, kommt zur Science Week nach … | |
Wissenschaft sei „das eigentliche Zukunftsressort“: Mit diesen Worten | |
beendet der neue Berliner Bundestagsabgeordnete und Noch-Regierende | |
Bürgermeister Michael Müller am Samstag bei einer Diskussion der | |
[1][Wissenschaftsmesse „Tabula Rasa“ in der Berliner Urania] seine Karriere | |
als Wissenschaftssenator in Berlin. Zwar gebe es bei den | |
Koalitionsverhandlungen für die Bundesregierung jetzt schon Ansprüche, wer | |
das künftige Finanz- oder Klimaministerium politisch führen solle. „Aber | |
ich sehe mit Sorge, dass sich niemand um das Wissenschaftsressort | |
streitet“, sagte Müller. | |
Das sei aber wichtig, denn hier würden zentrale Voraussetzungen für die | |
künftige Entwicklung des Landes gelegt. „Und das muss gestärkt werden“, | |
sagte der SPD-Politiker, der in den letzten fünf Jahren die Zuständigkeit | |
für die Berliner Hochschulen und Forschungseinrichtungen innerhalb der | |
Senatskanzlei mit wahrgenommen hatte. | |
In der Urania-Debatte wurde auch die Klimakrise angesprochen, die derzeit | |
auf der [2][Climate Change Conference COP in Glasgow] politisch verhandelt | |
wird. Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten, dass die Maßnahmen zur | |
Minderung des Klimawandels zu einseitig den Individuen, etwa ihrem | |
Fleisch-Konsum oder Verkehrsverhalten, abverlangt werde. Damit stehle sich | |
die staatliche Seite aus ihrer Pflicht zur Veränderung grundlegender | |
Strukturen. | |
Gegen diese Sicht setzte sich Müller zur Wehr. „Es gibt hier kein | |
Entweder-Oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch“, sagte der Politiker. Die | |
Individuen in der Gesellschaft müssten sich gemeinsam mit dem Staat gegen | |
die Klimabedrohungen engagieren. | |
Müllers Werben für mehr Wahrnehmung der Wissenschaft soll in Berlin in den | |
nächsten zehn Tagen massiv aufgegriffen werden. Im Rahmen der am heutigen | |
Montag beginnenden „[3][Berlin Science Week]“ – für die die Urania-Messe | |
mit 400 Besuchern ein Präludium bildete – soll in 200 Veranstaltungen mit | |
über 500 Referenten die gesamte Bandbreite des Forschens und akademischen | |
Lehrens abgebildet werden. | |
Die Angebote reichen vom wissenschaftlichen Schreibtraining in der | |
Staatsbibliothek über virtuelle Besuchstouren im elektronischen | |
[4][Speicherring Bessy in Adlershof] bis hin zur Live-Schaltung des | |
Raketenstarts des deutschen Astronauten Matthias Maurer (auf den 3.11. | |
verschoben). In dieser Konzentration, nunmehr im sechsten Jahr, wollen die | |
Organisatoren mittelfristig eine „Berlinale der Wissenschaft“ in der | |
Hauptstadt etablieren, sogar von einem „World Science Summit“, einem | |
„Weltwissenschaftsgipfel“ nach dem Wirtschafts-Vorbild Davos ist die Rede. | |
Der [5][Gipfel hatte im vergangenen Jahr] zumindest digitaltechnisch auch | |
schon erste Gestalt angenommen, als nämlich pandemiebedingt alle | |
Präsenzveranstaltungen abgesagt werden mussten und die Berlin Science Week | |
nur online konferierte. Die Teilnehmerzahlen schossen – auch wegen des | |
Gratis-Zugangs – in die Höhe: von 20.000 auf 65.000 Besucher, die | |
allermeisten aus dem Ausland. In diesem Jahr, in dem ein Viertel der Events | |
wieder leibhaftig besucht werden können, rechnet Jürgen Mlynek von der | |
gemeinnützigen Falling Walls Stiftung wieder mit einer geringern | |
Beteiligung. | |
Für Mlynek, der früher Präsident der Humboldt-Uni war, ist es ein Anliegen, | |
dass sich Wissenschaft öffentlich präsentiert und ihre praktische Bedeutung | |
für die Gesellschaft herausstellt, gerade in Zeiten der Coronakrise. „Die | |
Wissenschaft hat der Welt in den letzten 15 Monaten den Hintern gerettet“, | |
sagt er plakativ unter Anspielung auf den schützenden Impfstoff. Die | |
[6][BioNtech-Gründer] haben denn auch beim großen Falling Walls-Finale am | |
9.11. ihren Auftritt. Dies zeige, welche Kraft in der Wissenschaft stecke, | |
betont Mlynek. „Die Mission der Berlin Science Week, Wissenschaft für alle | |
erlebbar zu machen, ist heutzutage wichtiger denn je“. Das lasse sich nur | |
erreichen, „wenn wir diese Aufgabe als internationale Gemeinschaft | |
angehen“, in der Forschung wie in der Kommunikation. | |
Zahlungskräftige Unterstützer hat er dafür bereits gewonnen: sowohl für die | |
Publikums-Veranstaltung Berlin Science Week wie für die schon zuvor | |
etablierten Fachkonferenzen der Falling Walls-Stiftung, die ihren Namen dem | |
Berliner Mauerfall 1989 verdankt und ihn auf „Durchbrüche in der | |
Wissenschaft“ übertrug. Über zwei Millionen Euro werden pro Jahr | |
ausgegeben, die eine Hälfte stammt aus öffentlichen Mitteln, die andere von | |
privater Seite, etwa von Unternehmen. | |
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert 2021 die | |
Durchführung der Falling Walls Conference und Circle mit 500.860 Euro, des | |
Falling Walls Lab 2021 mit 265.000 Euro, teilte das BMBF der taz auf | |
Anfrage mit. Unabhängig davon bekommt die „Berlin Science Week“ eine eigene | |
Zuwendung aus dem Landessäckel, nämlich 645.000 Euro | |
Im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) wird am Dienstag | |
im Rahmen der Science Week der mit 200.000 Dollar dotierte “A.SK Social | |
Science Award“ verliehen, der in der Fachwelt als Nobelpreis der | |
Gesellschaftswissenschaften gilt. WZB-Chefin Jutta Allmendinger sieht | |
Berlin auch bei einem anderen Thema schon in Spitzengefilden. 1992, zu | |
Beginn ihrer Laufbahn als Soziologin, habe München und nicht Berlin als | |
unbestrittene Hauptstadt der Wissenschaft gegolten. Inzwischen seien in | |
Berlin über 50 Prozent der erstberufenen Professoren Frauen. Eine | |
Ausstellung im Roten Rathaus “Hauptstadt der Wissenschaftlerinnen“ | |
dokumentiert den Wandel. | |
Generell stehe der akademische Bereich jedoch in Sachen Diversität noch in | |
einem Aufholprozess. So ist nur jede fünfte Professur an deutschen Unis mit | |
einer Frau besetzt. Und im Mittelbau ist nur jeder Achte ein nicht aus | |
Deutschland stammender Forscher. „Offensichtlich gelingt es uns noch immer | |
nicht, wichtige Talente und Potenziale für die deutsche Wissenschaft zu | |
gewinnen“, moniert Allmendinger. „Das können und sollten wir uns nicht | |
leisten, denn unsere Wissenschaft braucht mehr Diversität.“ Auch als | |
Standort-Magnet, der internationale Talente an die Spree zieht, soll die | |
Science Week Wirkung entfalten. | |
1 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.urania.de/tabula-rasa-wissenschaft-zum-anfassen | |
[2] /Klimakonferenz-in-Glasgow/!5811412 | |
[3] https://berlinscienceweek.com/de/ | |
[4] https://www.helmholtz-berlin.de/forschung/quellen/bessy/index_de.html | |
[5] /Digitale-Wissenschaftsshow/!5726416 | |
[6] /Aktuelle-Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5754086 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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