# taz.de -- Performance zur Geschichte des Hasses: Aus Angst mach Hass und Mord | |
> Die Berliner HAU führt „Hate Hate But Different“ auf. Die Performance | |
> versucht sich an einer Analyse der rechtsradikalen Mobilisierung. | |
Bild: Ingo Tomi von Futur II Konjunktiv bei der Performance „Hate Hate But Di… | |
Der Abend beginnt mit einer kleinen Provokation. „Wir müssen uns den Nazi | |
als einen ängstlichen Menschen vorstellen“, sagt Ingo Tomi. Und während | |
diese Worte so langsam ins Bewusstsein sickern und vor dem inneren Auge | |
Bilder von Demonstrationen vorbeiziehen, auf denen stiernackige Männer mit | |
kahl geschorenen Schädeln und vor Hass verzerrten Gesichtern Wut aus ihren | |
Schlünden herausquellen lassen und im Hintergrund andere mit jener | |
aufgepumpten Mannhaftikgkeit marschieren, die schon Klaus Theweleit für die | |
weißen Männer der Freikorps beschrieben hat, wird die Berechtigung dieses | |
Satzes immer deutlicher. | |
Denn die rechtsradikalen Morde der letzten Jahre, [1][angefangen vom NSU | |
über den Mord an Walter Lübcke] und das Attentat in Halle bis hin zu den | |
Hanauer Morden, verbindet vor allem Heimtücke und Feigheit. Sie sind, folgt | |
man dem, was über die Motivationen der Täter und der einen Täterin bekannt | |
ist, von Hass getrieben, der sich selbst aus Wahnvorstellungen von Ängsten | |
sowie echten Abstiegsängsten und Frustrationen speist. Sich den Nazi mal | |
als ängstlichen Menschen vorzustellen, könnte tatsächlich ein Schlüssel zum | |
Verstehen des Phänomens sein. | |
Die Berliner Gruppe Futur II Konjunktiv verlässt in ihrer Performance „Hate | |
Hate But Different“, die im HAU 3, einer Spielstätte des Hebbel-Theaters in | |
Berlin, uraufgeführt wurde, leider zwischenzeitlich diesen Weg. Tomi und | |
seine Bühnenpartnerin Agnes Mann verlegen sich aufs Predigen vor den | |
bereits Bekehrten. Die Häufigkeit der neonazistischen Gewalttaten wird | |
betont, die oft laxe Ermittlungsarbeit der Polizei kritisiert. Die | |
[2][rechten Netzwerke in Polizei und Justiz] werden beklagt. Das sind alles | |
Tatsachen, gewiss, leider. Ihr Referieren verleiht diesem Theaterabend aber | |
weder Gewicht noch Tiefe. | |
## Der Weg des Attentäters | |
Die Performance gewinnt erst wieder an Kraft, als Mann und Tomi einen | |
[3][Besuch in Hanau] schildern. Sie fahren die Orte ab, die auch der | |
Attentäter Tobias R. abfuhr. Sie beschreiben die Morde, die ganze schlimme | |
Banalität des neunfachen Tötens. Sie geben zugleich den Opfern ihre Namen, | |
ihre Gesichter zurück. Sie sprechen auch vom Gedenken der Angehörigen an | |
ihre toten Kinder und Geschwister. | |
Der Gedanken und Emotionen des Schützen werden sie allerdings nicht | |
habhaft. Wie auch, R. fuhr nach der Tat zurück in sein Elternhaus, erschoss | |
dort seine 72-jährige, bettlägerige Mutter und dann sich selbst. [4][Sein | |
Vater, der selbst mit rechtsradikalen und rassistischen Schreiben] auffiel, | |
und deswegen letzte Woche vom Amtsgericht Hanau auch verurteilt wurde, | |
behauptet gern, der Sohn sei Opfer einer Geheimdienstoperation. | |
Auch in diesen Kopf kann man mit den Mitteln des Theaters nur schwer | |
gucken. | |
Über einen Umweg, zugleich dem stärksten Teil der Vorstellung, gelingen | |
Mann und Tomi immerhin Einblicke in eine werdende Radikalisierung. Sie | |
schildern eine Dresdner Rede von B. H.. Die Anspielungen legen nahe, dass | |
es sich bei dem Redner um Björn Höcke handelt. Beschrieben wird das | |
Einverständnis im Publikum. Es breitet sich eine Ahnung aus, wie dort die | |
kollektive Furcht um ein Deutschland, das von Migration und Multikultur, | |
von Kapitalismus und Globalisierung bedroht sei, immer neue, größere und | |
gespenstischere Formen annimmt. | |
Dann schlägt diese Angst in Hass um, der jeden und jede Anwesende umspült, | |
erfüllt und erhöht und letztlich zu einer wandelnden Zeitbombe macht. Nur | |
der Zündmechanismus ist noch nicht in Gang gesetzt. Geschieht das, muss im | |
Nachgang wieder über die nächsten Einzeltäter ermittelt werden. | |
[5][Einzeltäter allerdings, die aus einem kollektiven Einverständnis heraus | |
handeln]. Diesen Zusammenhang modelliert dieser spekulative Theaterabend | |
dann doch sehr eindrücklich heraus. | |
Auch eine kleine medienhistorische Delikatesse ist eingebaut. Hitler & Co. | |
mussten in die frühen Mikrofone ihrer Zeit noch schreien, weil die | |
technische Qualität von Aufzeichnung und Übertragung nicht so gut gewesen | |
sei, argumentiert Tomi. Technologische Notwendigkeit und individuelle | |
Vorlieben führten also zur besonderen Performanz des A. H. B. H. und dessen | |
Zeitgenossen könnten aber mit leiser Stimme locken, werben und klagen. | |
Eine neue Wehleidigkeit, nicht in diesem Maße überliefert bei den Nazis des | |
letzten Jahrhunderts, beobachten Futur II Konjunktiv bei den heutigen | |
Oratoren der extremen Rechten. Eine Charakterveränderung, nur weil die | |
Mikrofone besser werden. Ein schräger Aspekt. Und ein weiteres Argument | |
dafür, dass man sich den Nazi vielleicht tatsächlich als ängstlichen | |
Menschen vorstellen kann. Das bedeutet nicht bemitleiden. Denn feige | |
Bösartigkeit gipfelt immer wieder im Tötungsverbrechen. | |
15 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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