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# taz.de -- Verletzungen der Schulpflicht: Die Schulen der „Querdenker“
> In mehreren Bundesländern richten Coronaleugner:innen für ihre
> Kinder eigene Bildungsstätten ein. Sie wollen die Maskenpflicht umgehen.
Bild: Querdenker*innen-Demonstration in Nürnberg am 9. Oktober
Berlin taz | Es ist eine Form der Instrumentalisierung von Kindern in der
Pandemie, eine ziemliche niederträchtige sogar. Nach Streit um die
Maskenpflicht und andere Coronaregeln an Schulen haben „Querdenker“ jetzt
eigene Bildungsstätten aufgebaut. Zum Beispiel am Stadtrand von Grimma in
Sachsen, in der ehemaligen Gaststätte „Schützenklause“ auf einem
abgelegenen Grundstück nahe der Ortschaft Neuneunitz.
[1][Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) recherchierte], dass sich dort
teilweise bis zu 20 Kinder aufhalten sollen, am Vormittag, während der
Schulzeit, den Ranzen dabei. Das Blatt zitiert die zuständige Amtsleiterin
der Stadt Grimma, Jana Kutscher, mit den Worten: „Wir wissen aus sicherer
Quelle, dass dort viele Kinder ihren Tag verbringen.“
Zugleich seien Kutschers Amt erstmals seit Jahresbeginn eine ganze Reihe
von Verletzungen der Schulpflicht gemeldet worden. Oberbürgermeister
Matthias Berger (parteilos) sagte: „Hier treffen sich wohl Leute aus der
Querdenker-Szene und machen Unterricht.“
Die Eltern wollen nicht, dass Kinder auf das Coronavirus getestet werden
und eine Maske tragen müssen. Von einem Trend zum „Homeschooling“ ist
beschwichtigend die Rede, und angeblich gibt es allein im sächsischen
Muldental drei weitere ähnliche Projekte. Eine Frau, die sich dieser Szene
zugehörig fühlt, sagte der LVZ: „Es handelt sich nicht um Nazis, sondern um
Eltern, denen das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt.“
Die Behörden in Sachsen reagieren zum Teil beschwichtigend. Aus dem
Kultusministerium in Dresden heißt es auf Anfrage der taz, die bisherigen
Informationen seien „diffus“, weitere Aufklärung sei notwendig. Und
überhaupt: Erst einmal sind, noch bis zum Wochenende, Schulferien in
Sachsen. Auch das Landesamt für Schule und Bildung hat zwar Hinweise, dass
in der ehemaligen Gaststätte „Schützenklause“ Grundschüler und einige
wenige Oberschüler unterrichtet werden. Das Amt sieht sich allerdings, wie
eine Sprecherin der LVZ sagte, nicht als Ermittlungsbehörde. Das Landesamt
fahre für so eine Sache „nicht mit dem Auto durchs Land“.
## Konsequenzen in Bayern
In Bayern ist man weiter. Dort schlossen die Behörden eine illegale Schule
bei Rosenheim. Sogar der Verfassungsschutz wurde [2][nach Informationen des
Bayerischen Rundfunks (BR)] in die Ermittlungen einbezogen. Wie der Sender
berichtete, hatte eine verbeamtete Lehrerin, Veronika G., über Telegram
Pädagogen und Lehrer gesucht, die „das Schulsystem nicht mehr weiter
bedienen wollen und eine Alternative suchen“. 50 Kinder besuchten die
„Querdenker-Schule“ zwischenzeitlich, laut Behörden alle aus Familien, die
Coronatests an Schulen ablehnen.
Auch in Bayern sollte es, so der BR, nicht das einzige Projekt sein. In
zwei Regierungsbezirken habe es sogar Anträge auf Schulgründungen gegeben.
Beispielsweise habe eine Frau im Allgäu, die auf „Querdenken“-Kundgebungen
auftrat und bei der Initiative „Eltern stehen auf“ aktiv war, im März 2021
einen Antrag auf Neugründung einer Grund- und Mittelschule gestellt – sie
arbeitet, wie sie auf Telegram schreibt, weiter an dem Plan. Im
österreichischen Villach flog im Oktober eine illegale Lernstätte für
Kinder von Kritiker:innen der Coronamaßnahmen auf. Es gab dort mehrere
Razzien bei einem Verein, der zur „Querdenker“-Szene gehört.
Es ist nur eine Facette im Kampf gegen Coronaregeln an Schulen. Allein in
Thüringen gab es in diesem Jahr in diesem Zusammenhang mehrere Dutzend
Angriffe auf Lehrer:innen. In Sachsen bekommen einzelne Schulen inzwischen
sogar Polizeischutz, wenn dort getestet wird.
## Kampagne gegen Maskenpflicht
„Querdenken“ hat schon vor Monaten die Maskenpflicht für Schüler:innen
zum „Verbrechen“ erklärt – und Mitstreiter:innen gefunden. Der
ehemalige Potsdamer Jugend- und Familienrichter Hans-Christian Prestien bot
Coronaverharmloser:innen Mustervorlagen für Klagen gegen die
Maskenpflicht an Schulen. Und fand damit Unterstützung, beispielsweise bei
einem Verein von Väterrechtlern, dem „Väteraufbruch“. Dessen Kieler Ableg…
lud Prestien im April zur Diskussion ein und warnte vor einer „deformierten
Generation“. Dazu hieß es: „Wer Kindheitstraumata sät, wird Totalitarismus
ernten. Die Coronamaßnahmen hinterlassen eine Schneise der Verwüstung in
unzähligen Kinderseelen.“
Prestiens Musterklagen beschäftigten jetzt sogar den Bundesgerichtshof. Der
stellte am Mittwoch klar, dass zwei Familiengerichte im thüringischen
Weimar und im oberbayerischen Weilheim im Frühjahr ihre Kompetenz
überschritten haben, als sie selbst eine Aufhebung der Maskenpflicht
anordnen wollten. Coronaskeptiker:innen jubelten damals, unter
Jurist:innen gab es vor allem Kopfschütteln. Der BGH entschied: „Die
gerichtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns – auch hinsichtlich
Infektionsschutzmaßnahmen in den jeweiligen Schulen – obliegt hierbei
allein den Verwaltungsgerichten.“
Die Eingaben an die Familiengerichte waren als „Anregung“ formuliert
gewesen. Das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen kam dennoch im Mai zu der
Auffassung, dass die Kosten für die Verfahren von den Initiator:innen
der Sammelklagen getragen werden müssten. Prestien als Autor des Vordrucks
habe gegenüber Lai:innen „grob schuldhaft“ den Eindruck zu vermitteln
versucht, dass Familiengerichte zur Entscheidung kompetent wären, so das
Amtsgericht damals. Diese Kostenentscheidung wurde allerdings schon im Juni
vom Oberlandesgericht München wieder kassiert.
29 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.lvz.de/Region/Borna/Betreiben-Querdenker-in-Grimma-eine-illegal…
[2] https://www.br.de/nachrichten/bayern/illegale-schule-bei-rosenheim-verfassu…
## AUTOREN
Matthias Meisner
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