Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Querdenker wollen selbst lehren: Schule mit Antisemitismus
> Seitdem die Präsenzpflicht durch die Pandemie ausgesetzt ist, bilden sich
> private Lerngruppen. Was frei und selbstbestimmt klingt, hat üble
> Wurzeln.
Bild: Kein Geschichtsunterricht? Querdenken ist vielleicht einfach so ähnlich …
Hamburg taz | Kein Lehrplan, keine Inhaltsvorgaben vom Staat: Freies Lernen
möchte die sogenannte „School of Bliss“ (SoB) möglichst bald anbieten. In
Zukunft solle sie ein „modernes Lernkonzept mit glücklichen Kinder und
Lernbegleitern“ umsetzen, heißt es im Telegram-Kanal „School of bliss – …
Life in Flow“ mit 4.446 Abonnent:innen.
In der Coronapandemie mit dem längerfristigen Wegfall der Präsenzpflicht
haben sich vielerorts private Lerngruppen gebildet. Lehrende und Eltern
bestärken sich gegenseitig in ihrer Suche nach neuen Bildungsideen. Eine
SoB soll im Raum Lüneburg entstehen. Initiatorin Jacky Herder aus dem
schleswig-holsteinischen Heide betreut Interessierte.
Seit Anfang des Jahres werden die Zoom-Konferenzen mit Herder auf
norddeutscher SoB-Ebene beworben. Die Unternehmerin berichtet online vom
„Martyrium“ ihrer Kinder durch Maskenzwang und Politikunterricht. Sie habe
beschlossen, zum 1. September 2021 eine eigene Schule in Dithmarschen zu
eröffnen und wünsche sich eine weitere Vernetzung: „Je größer wir werden,
desto unaufhaltsamer werden wir!“
Die Eltern aus den SoB-Gruppen seien „erst einmal daran interessiert, eine
gegenstaatliche Schule zu gründen – fernab von Schulgesetz und
Bildungsplan“, erklärt eine Person mit Zugang zu den geschlossenen Gruppen
der taz. Die Ablehnung von Coronatests und Impfungen treibe die meisten an,
doch auch rechte Inhalte würden „am laufenden Band“ unwidersprochen
gepostet. Bereits vorgefertigte Musterbriefe an Schulleitungen gegen
staatliche Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen finden sich auch in diesen
Telegram-Kanälen.
## „Parasitäres System“
Die strategische Vorgehensweise ähnelt denen von ElternStehenAuf und
Klagepaten, Initiativen innerhalb des „Querdenken“-Spektrums. In den
bundesweiten SoB-Gruppen werden Videos und Audios eines „Dawid Snowden“
verbreitet, der das „parasitäre System entmachten und entsorgen!“ will und
über die „Drecks-Regierung“ und die „Armleuchter“ von Polizei wettert.
„Snowden“ spielt wütend darauf an, dass jede Tyrannei in der Geschichte,
„nur mit einem Krieg gegen diese Strukturen“ abgewendet worden sei.
Eine zentrale Inspiration für die „School of Bliss“ stellt die
„Anastasia“-Buchreihe von Wladimir Megre dar. Der russische Unternehmer
heißt eigentlich Pusakow. Sein zehnbändiges Epos wechselt zwischen
fiktionalen Passagen und direkter Anrede der Leser:innen, um die Botschaft
der erdachten Hauptfigur Anastasia zu verbreiten. Dazu gehört, dass Juden
und Jüdinnen „die Macht über die Menschen“ bekommen wollten und „viel
Geld“ konzentrierten, weswegen sie verfolgt würden. Auch heißt es, der
erste Geschlechtsakt von Frauen würde deren spätere Kinder prägen. Die
widerlegte Vererbungsvorstellung der Telegonie geht in den Büchern so mit
altbekannter antisemitischer Hetze einher. Im Geiste der Buchreihe hat sich
von Russland aus eine rechts-esoterische Bewegung formiert, deren deutsche
„Familienlandsitz“-Projekte eigene Schulen anvisieren.
Irem H., Wortführerin der Schulgründungsinitiative Lüneburg versichert im
internen Kreis, sie seien regional „super vernetzt“. Ein Austausch von
Talenten sei bereits im Gang, mal böte ein Elternteil oder ein
SoB-Lernbegleiter Kochen, Basteln, unternehmerisches Denken oder Physik an.
„Wir machen was Gutes und sind energetisch geschützt, weil wir fokussiert
sind“, betont sie.
## Ein typisches antisemitisches Bild
Eine Formel aus dem Spektrum der SoB lautet: „Sobald wir uns von dem alten
Schulsystem gelöst haben, soll es in freies Lernen übergehen.“ Genaueres
wird nicht preisgegeben. Zur Lüneburger Gruppe zählt auch Vincent Dietz.
Der Pädagoge hat nach eigenen Angaben bei der SoB bereits „Module“ als
„Lernbegleiter“ gebucht. Dietz trat am 3. April auf der Hauptbühne von
„Querdenken“ in Stuttgart auf. Im Reichsideologiesprech verkündete er, dass
das Grundgesetz keine Gültigkeit mehr habe. Daher könnten nun „freie
Lernorte“ geschaffen werden.
Das Konzept der „School of Bliss“ lehnt sich auch an den Lernvorstellungen
von Ricardo Leppe an. In einem Video bekunden Leppe und Herder die
gemeinsamen Bemühungen für ein neues Lernen. Die SoB bietet
kostenpflichtige Lernmodule von Leppe mit an. Die Idee dahinter solle so
aussehen, dass Eltern je nach Möglichkeit die Kinder unterrichten und dabei
von „Lernbegleitern“ unterstützt würden, die „entindoktriniert“ sind.…
Kosten für die Ausbildung in Offline-Modul-Treffen sind nicht öffentlich
einsehbar.
Bekannt ist aber, dass Leppe in Österreich den Verein „Wissen Schafft
Freiheit – Vereinigung zur Stärkung, Aufklärung und Verbreitung von Wissen
und Bildung“ betreibt. Auf der Webseite gibt der Verein Ernährungs- und
Gesundheitsempfehlungen und bewirbt die umstrittene „germanische Heilkunde
von Dr. med. Ryke Geerd Hamer“. Dem vor wenigen Jahren verstorbenen Arzt
war in Deutschland die Zulassung auch wegen seiner Methoden entzogen
worden. Hamer behauptete, die „dumme alte Schulmedizin“ sei eigentlich
„eine jüdische Medizin“ – ein typisches antisemitisches Bild, das schon …
Zeiten des Nationalsozialismus bemüht wurde.
In Hamburg scheiterte jüngst eine Schulgründungsinitiative aus dem
Querdenken-Milieu. Nachdem die [1][taz darüber berichtete,] zog die
Initiative den Antrag bei der Schulbehörde zurück. Sie scheinen stattdessen
nach Schleswig-Holstein ausweichen zu wollen: Die ehemalige Anmelderin von
Querdenken 40 schreibt bei Telegram, dass sie für ihre zukünftige Schule in
Norderstedt die „ganze Einrichtung aus der Gemeinschaftsschule Horn“
geschenkt bekämen.
22 Jun 2021
## LINKS
[1] /Freie-Schule-in-Hamburg-beantragt/!5773020
## AUTOREN
Andrea Röpke
Andreas Speit
## TAGS
Antisemitismus
Schule und Corona
"Querdenken"-Bewegung
Verschwörungsmythen und Corona
Verschwörungsmythen und Corona
Schwerpunkt Coronavirus
Coronaleugner
Antisemitismus
Antisemitismus
Hamburg
Privatschule
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Lamberty und Nocun über Esoterik: „Antisemitismus wird ignoriert“
Esoterik verspricht oft einfache Lösungen. Pia Lamberty und Katharina Nocun
sehen in ihr eine Gefahr nicht nur bei Krankheiten, sondern auch für unsere
Demokratie.
Verletzungen der Schulpflicht: Die Schulen der „Querdenker“
In mehreren Bundesländern richten Coronaleugner:innen für ihre Kinder
eigene Bildungsstätten ein. Sie wollen die Maskenpflicht umgehen.
ARD-Dokumentation „Beziehungskrisen“: Corona wird Geschichte
Wie umgehen mit Verwandten, die glauben, Bill Gates sei für die
Coronapandemie verantwortlich? Die ARD-Doku „Beziehungskrisen“ sucht nach
Antworten.
Antisemitische Vorfälle in Deutschland: Neue Wege für alten Hass
Der RIAS-Bericht zeigt, wie universell und wandelbar Judenhass ist. 2020
spielten die Coronaleugner eine unrühmliche Rolle.
RIAS-Zahlen für das Jahr 2020: Fast 2.000 antisemitische Taten
Von hetzenden Plakaten bis hin zu offener Gewalt: Meldestellen haben im
letzten Jahr über 1.900 Vorfälle im Zusammenhang mit Judenhass registriert.
Gründung einer Querdenkerschule: Antrag zurückgezogen
Der Antrag auf Gründung einer Querdenker-nahen Schule in Hamburg wurde nach
einem taz-Bericht zurückgezogen. Trotzdem wird die Idee weiter beworben.
Freie Schule in Hamburg beantragt: Eine Schule fürs Querdenken
Ein Verein aus dem Milieu der Coronaleugner:innen will eine Freie
Schule gründen. Der Antrag liegt vor, das Konzept lässt sich erahnen.
Verfassungsschutz und Coronaprotest: „Querdenker“ bundesweit beobachtet
Immer wieder kommt es bei Corona-Demos zu Übergriffen. Nun nimmt der
Verfassungsschutz die „Querdenker“ bundesweit unter Beobachtung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.