# taz.de -- Völkisch inspirierte Seminare: Freies Lernen wie in Russland | |
> In Niedersachsen lassen sich Eltern für eigene Lernangebote schulen. Die | |
> Kinder sollen staatlicher Kontrolle entzogen werden. | |
Bild: Ort für das 13-tägige „Freianleitersemester“: das Schullandheim For… | |
LÜSCHE taz | Kinder toben auf einem Anwesen in Lüsche im Landkreis Gifhorn. | |
„Schullandheim“ kann man auf einem verwitterten Holzschild über der Zufahrt | |
lesen. Am Eingang steht auf einem Schild: „Vereinsgelände des ideellen und | |
gemeinnützigen Vereins Gaudium in Vita – Zutritt nur für Fördermitglieder�… | |
Nicole Wolf ist die ehrenamtliche Präsidentin des Vereins, dessen | |
lateinischer Name mit „Freude im Leben“ übersetzt werden kann. Seit wenigen | |
Jahren wohnen sie und ihr Mann Steffen mit ihren Kindern auf dem 10.000 | |
Quadratmeter großen Anwesen. Im Internet bieten sie die 44 Betten und drei | |
Gruppenräume zum Mieten an. | |
Der Verein mit offiziellem Sitz in Österreich ist eng mit der | |
„Internationalen Schul-, Sport- und Kultur-Akademie“ (ISKA) verwoben. Die | |
selbsternannte Akademie hat vom 13. bis 26. März zu einem | |
„Lernanleitersemester“ geladen. Der Veranstaltungsort wurde erst nach | |
Anmeldung kurz vor Beginn bekanntgegeben – es war Lüsche. Günstig ist der | |
Kurs nicht: Der „Lernanleiter“ kostet für Eltern 1.350 Euro, für Kinder 3… | |
Euro plus Essen und Unterbringung. Das Geld wird „bevorzugt in bar“ | |
angenommen. In der Broschüre wurde nicht nur auf „vegetarisches Essen“ | |
hingewiesen – die Frauen wurden auch gebeten, „gerne Röcke und Kleider“ | |
einzupacken. | |
An die vierzig Erwachsene und Kinder sind Ende März aus dem gesamten | |
Bundesgebiet zu dem Kurs in der niedersächsischen Gemeinde angereist. Eine | |
eingeschworene Gemeinschaft, die eine freie Schulerziehung jenseits | |
staatlich vorgegebener Bildungspolitik anstrebt. Freude und Liebe, | |
Miteinander und Zusammen, sind Worte, die in diesem Kreis oft fallen. Sie | |
wollen anders leben und vor allem sollen ihre Kinder anders lernen. | |
## Angehaltene Hinwendung zu Traditionen | |
Ihre Pläne für ein „neues Bildungssystem im deutschsprachigen Raum“ nach | |
dem Modell von Michail Petrowitsch Schetinin soll bisher nur Gleichgesinnte | |
erreichen: Eltern, die ihre Kinder selbst zu Hause unterrichten möchten. | |
Auf der Website führt „Gaudium in Vita“ vermeintlich moderat aus, dass „… | |
Zahl der beteiligten Freilernerfamilien in Deutschland“ steige – „denn | |
immer mehr Familien wollen wieder mehr als nur Versorgungsstation sein, sie | |
wollen das Zusammenleben umfassend genießen“. | |
Die Ganzheitlichkeit steht auch in der Pädagogik von Schetinin im Zentrum. | |
Das Programm sei an die „Tekos-Schule angelehnt“, heißt es in der Einladung | |
von ISKA. Am Schwarzen Meer im russischen Dorf Tekos hatte Schetinin das | |
Lyzeum-Internat über Jahre aufgebaut und geführt. In der Selbstdarstellung | |
wird eine ganzheitliche Pädagogik suggeriert, in der die Kinder die | |
„Mitautoren des Bildungssystems“ seien. Hier wird aber auch erklärt, dass | |
der 2019 verstorbene Gründer ein besonderes Ziel hatte: „Das Hauptziel von | |
Michail Petrowitsch Schetinin ist die geistige Wiederbelebung Russlands.“ | |
Die „geistige und ethisch-moralische Entwicklung“ der Kinder soll auch | |
vermitteln, dass sie das „Schicksal des Vaterlandes“ als ihre Verantwortung | |
für die Zukunft des Landes annehmen müssen. „Kraftvolles Körpertraining auf | |
der Grundlage des russischen Nahkampfes“ gehört zur Pädagogik. Männliche | |
Absolventen müssen in die Armee: „Fast immer werden sie zum Kommandeur, | |
Vorarbeiter und Feldwebel ernannt.“ Lobende Worte kamen vom russischen | |
Präsidenten Wladimir Putin. Lange erhielt das Internat staatliche Mittel, | |
2019 musste es aber wegen erheblicher Mängel schließen. | |
Die angehaltene Hinwendung zu Traditionen der Schetinin-Schule scheint in | |
Deutschland ganz besonders Interessierte anzusprechen: Nicole Wolf gehörte | |
in der Vergangenheit der zuweilen [1][antisemitischen Kleinstpartei | |
„Deutsche Mitte“] an, sie bezeichnet sich als „friedliche | |
Widerstandskämpferin“. Aus der „Ökologisch-demokratischen Partei“ soll … | |
ausgeschlossen worden sein, weil sie sich weigerte, einen | |
Abgrenzungsbeschluss gegen die AfD mitzutragen. Als Sängerin der „Coline | |
Wolf Band“ trat sie bei Anti-Corona-Protesten in Hannover auf. Ende Februar | |
moderierte sie eine rechte Großdemonstration in Gifhorn. | |
## Nähe zum völkischen Milieu | |
Am ISKA-„Semester“ auf dem Anwesen in Lüsche durften nur Mitglieder | |
teilnehmen, die schon einen Kurs besucht hatten. Dabei war unter anderem | |
Friederike J., die in Wienrode im Ostharz den | |
[2][Anastasia-Familienlandsitz „Weda Elysia“] mit aufbaut. Die | |
völkisch-esoterische Anastasia-Bewegung, die auch aus Russland kommt, | |
bewegt nicht minder freie Lernkonzepte. Mit dem mehrbändigen Epos | |
„Anastasia – Die klingenden Zedern Russlands“ legte Wladimir Megre das | |
politische Fundament. Im dritten Band wird die Schetinin-Schule wohlwollend | |
beschrieben. Schon als Jugendliche nahm J.s Vater sie mit zu Treffen der | |
rechtsextrem-völkischen „Artgemeinschaft – Germanische | |
Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ mit. Die Kerntruppe | |
von „Weda Elysia“ beteiligte sich jüngst am Frühjahrstreffen der | |
„Artgemeinschaft“ in Thüringen. | |
Am „Freianleitersemester“ nahm auch Hildrun H. teil – mit Zopffrisur und | |
langem Rock, dem Erscheinungsbild rechter Bünde. Ihre Familie gehörte laut | |
der neu-rechten „Jungen Freiheit“ 2005 zu den [3][völkischen | |
„Neo-Artamanen“], die in Mecklenburg-Vorpommern Siedlungen wiederbeleben. | |
Sie selbst war im rechtsbündischen „Mädchenwandervogel Solveigh“ aktiv und | |
ging zur Schetinin-Schule. Mittlerweile tritt sie als Referentin von ISKA | |
auf. | |
Die Nähe zum völkischen Milieu deutete sich auch im Februar 2022 an. Ein | |
Seminar am „ISKA Bildungsforschungstag“, das mit dem „Raum Uelzen“ bewo… | |
wurde, fand auf dem Hof einer Familie des rechts-bündischen „Sturmvogel – | |
Deutscher Jugendbund“ in Masendorf statt. In den Schulungen sollen sich | |
Interessierte die Tekos-Methoden und Lernstoff aneignen. | |
Die Strategie der Schulungen scheint nicht zu sein, eine offizielle Freie | |
Schule anzumelden. Vielmehr soll es darum gehen, Lerngruppen aufzubauen, | |
die in [4][eigene Schulen] münden können. | |
12 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Antisemitismus-in-Berlin/!5445092 | |
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[3] /Voelkische-Expansion/!5640852 | |
[4] /Querdenker-wollen-selbst-lehren/!5777380 | |
## AUTOREN | |
Andrea Röpke | |
Andreas Speit | |
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